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Was war. Was wird. Von der Mitte der Gesellschaft, die auch etwas Optimismus vertragen kann

Ist es schon wieder so weit? Das neue Jahr geht seinen Gang, und die Facharbeiter der IT nehmen in der Mitte der Gesellschaft ihre Arbeit auf. Eine neue Morgenröte? Ach, wär es nur so, darbt Hal Faber, und fordert immer noch mehr Optimismus.

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Eugene Delacroix: Die Freiheit führt das Volk

Die Freiheit führt die Mitte der Gesellschaft. Äh. Das Volk. Oder so.

(Bild: Eugène Delacroix, Musée du Luxembourg, Paris)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Indeed, were it not for the often, in its own terms, highly creative labor of people who proudly claim the title 'hacker,' few of today's sophisticated time-sharing systems, computer language translators, computer graphics systems, etc., would exist. (Joe Weizenbaum)

In der Mitte der Gesellschaft? Auch manch Hacker mag sich heimlich nach den Annehmlichkeiten der Bourgeoisie sehnen, wenn auch nicht nach deren gesellschaftlichen Zwängen.

*** Vor vielen Jahren schrieb Joe Weizenbaum in seinem Buch von "Computers and Human Reason": "In der Tat, gäbe es nicht die – nach ihren eigenen Worten – höchst kreative Arbeit von Leuten, die den stolzen Titel 'Hacker' für sich beanspruchen, so hätten wir heute kaum die modernsten Simultanrechner,. elektronischen Übersetzer, Zeichner etc." Diese kreativen Hacker sollen nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen sein und müssen ab sofort "als Vorbild dienen", befanden Redner und Teilnehmer des Chaos Communication Congresses 31C3. Hacker sind nicht mehr die Nerds am Rand der Informatik, sondern Facharbeiter, Grundschul-Lehrer und Anwälte des Datenschutzes, die ehrenwerten Tätigkeiten nachgehen, etwa Iris-Minutiae aus Wahlplakaten destillieren. So demonstriert vor 12.000 anderen Menschen aus der der Mitte der Gesellschaft beim vorerst letzten Kongress des Chaos Computer Clubs im Hamburg – das Veranstaltungsgebäude CCH wird wegen Renovierung geschlossen. Nach ihrem Jahreskongress kehren die Hacker zurück zu ihrer Arbeit in kräftiger Hilfe, diese Gesellschaft zu stärken, was Datenschutz und Informationsfreiheit angelangt. Wie jede andere Mitte der Gesellschaft hat man hehre Ziele. Man will Kalif werden anstelle des Kalifen und wieder das Netz regieren, das nicht den Konzernen wie Google überlassen werden darf. Die Frage, ob man früher, zu Weizenbaums Zeiten, wirklich regierte, wird mit ein bisschen Hackerfolklore abgetan. Denn man regierte nicht, als mit Regierungsmitteln und Forschungsfreiheit die Grundlagen des Netzes geschaffen wurden.

*** Klar, wie in jeder gesellschaftlichen Mitte gibt es Auffälligkeiten ihrer Mitglieder, wie den Hacker, der sich wie ein Rockstar aufführt und den Beamer zertrümmert, wenn die neuesten Powerpoints der NSA nicht ordentlich auf die Leinwand geworfen werden. Passierte nicht? Wie wäre es mit einem Hacker, der das "Tausendjährige Reich" zitiert, weil ihm eine Antwort eines NSA-Mitarbeiters an Befehlsketten erinnert? Auch fallen aus der Mitte der Gesellschaft immer wieder Hacker-Existenzen aus, entweder als Apostaten gegen die Renegaten oder als Schwarzschafe wie die Hacker, die bei Gamma Technologies und anderen Firmen Überwachungssoftware programmieren, nachdem sie jahrelang begeisterte Besucher des Kongresses gewesen sind.

*** Der Kongress der Hacker in "einer neuen Mörgendämmerung" ist eine bestens laufende Maschinerie geworden, die dafür sorgt, dass man sich treffen kann, quatschen und lernen, wie ein Parteitag, nur ohne Beschlüsse. Denn in der Mitte der Gesellschaft sein, ist anstrengend genug und Vereine gibt es viele, die da zusammenkommen. Da ist man konziliant und gibt einander den Raum zum sprechen. Neben dem CCC etwa Digitalcourage oder die Courage Foundation, deren Mitglied Maria Alyokhina gerade in Russland erneut verhaftet wurde. Dort fehlt der Gesellschaft die selbstbewusste Mitte, die bürgerliche Freiheiten verteidigt.

*** In der Mitte der Gesellschaft angekommen, fangen die Hacker an, "Lösungen zu bauen und Probleme zu benennen", Schutzmöglichkeiten gegen die Geheimdienste zu programmieren und Warnungen vor dem Internet der Dinge auszusprechen. Das Abhören der Mitte der Gesellschaft soll teuer gemacht werden, wobei die Lösungsmenge nicht unbegrenzt ist, will man doch keine Extreme unterstützen. PEP ist beispielsweise ein Ansatz geworden, von dem man nicht sprechen darf, weil seine Macher den CCC verlassen haben. Dann lieber ein Lob von Tor, verbunden mit einem Aufruf, sich als Nutzer zu Tor zu bekennen, damit Eingreifer merken, dass dort "ganz normale Leute" unterwegs sind, die mit den ganz normalen Porno-Suchereien. Normale Leute haben übrigens niemals bei der Arbeit gestört.

*** Normal ist überhaupt eine gefährliche Kategorie. Für Militärs ist es normal, eine Liste verdächtiger Personen in einem Einsatzgebiet aufzustellen, oder eine Liste der Wissenschaftler und Forscher, die bevorzugt evakuiert werden müssen vor einem vermeintlichen Feind. Die Aufregung der neuen Mitte um die Todeslisten verdeckt den eigentlichen Skandal, dass im Fall von Afghanistan neben wichtigen Personen auf Weisung der US-Militärs Drogenhändler auf den fragwürdigen Listen aufgeführt wurden. Im Bericht der Listenverwalter heißt es, dass seinerzeit der deutsche NATO-General das Verfahren für illegal erklärt hatte, da es internationales Recht verletzte. Ob diese richtige Einschätzung – zwischen Kriegsparteien und Kriminellen muss unterschieden werden – dazu führte, dass deutsche Militärs und ihre Berater das böse Spiel mitmachten, Drogenhändler auf "Obamas Listen" zu erfassen, wird leider nicht diskutiert und kann ohne Veröffentlichung der Listen nicht bewertet werden. Wieder einmal hinterlassen die bruchstückhaften Snowden-Files ein großes Rätselraten, auch bei den Militärexperten am Rande der Gesellschaft. Ob dies Edward Snowden so gewollt hat mit seinem vorbildlichen zivilen Ungehorsam, ist nicht einmal bekannt.

I think that hackers - dedicated, innovative, irreverent computer programmers – are the most interesting and effective body of intellectuals since the farmers of the U.S. Constitution. No other group that I know of has set out to liberate a technology and succeeded. /.../The quietest of all the '60s sub-subcultures has emerged as the most innovative and powerful. (Steward Brand)

Was wird.

Optimistisch ins Neue Jahr starten, das ist eine feine Sache und zur Nachahmung empfehlenswert. Zumal es nicht nur das Ada-Lovelace-Jahr ist, sondern auch ein Boolesches Jahr. Ein Lehrer, der es mit seiner Algebra in die Royal Society brachte, das ist auch was. Wobei gerade die Royals zum Jahresanfang klarmachen, wie das geht mit der Transperenz. Eben gar nicht. Derweil sind ganz ohne Snowden Dokumente aufgetaucht, die zeigen, wie intensiv die streikenden Gewerkschafter in der Amtszeit von Margaret Tatscher überwacht wurden, ganz ohne Internet, aber mit Hilfe von Price Waterhouse.

Forever. Ewigkeit. Die Kathedrale der Gesellschaft, in deren Mitte nun Hacker den Altar bespaßen? Turings Kathedrale war anders gemeint.

(Bild: Die Herren am Ende der Parabel)

Kaum hat der CCC seine Konferenz "A new dawn" in Hamburg beendet, geht es in München mit It's Only The Beginning weiter, veranstaltet von einer anderen Mitte der Gesellschaft. Diese hört lieber Günther Oettinger zu, der drastisch über die Blödheit von Promis urteilte, ganz anders als die Hacker. "Die Achterbahnfahrt geht weiter, die digital Natives fangen gerade an, ihre Zeichen zu setzen". Na, dann möge es kein Einbahnstraßenzeichen sein. Als Musiker übernimmt Giorgio Moroder in München den Part von Alec Empire. Ach, da feiern wir lieber den 80. Geburtstag von Elvis mit seiner besten Show.

A hacker is someone who enthusiastically probes and explores and plays with anything, out of love and intellectual excitement. You can hack anything. You can hack cars or stamp collecting. But to hack computers is the highest art, because COMPUTERS GO ON FOREVER. (Ted Nelson)

[Update 09.01.2015]:

Der CCC legt Wert auf die Feststellung, dass man keineswegs PEP unterdrücken wolle. Hier werrde dem CCC unterstellt, er boykottiere auf dem Chaos Communication Congress 31C3 nach dem Ausscheiden eines Mitglieds nach langjährig aktiver Clubarbeit dessen Projekt. "Ganz im Gegenteil haben wir jedoch im CCC-Jahresrückblick auf ebenjenem Congress ein ganzes Segment eigens dem – aus unserer Sicht sehr begrüßenswerten – Projekt PEP gewidmet." Dies könne man auch in der Aufzeichnung des Vortrags nachschauen. (jk)