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Arbeitsbedingungen im CeBIT-Partnerland China: Fassade und Realität

Unterbesetzte Behörden, korrupte Funktionäre und eine Pseudo-Gewerkschaft: Arbeiterrechte werden in China systematisch missachtet. Doch die Zeichen für Fortschritte mehren sich.

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China Arbeitsrecht

(Bild: Fairphone)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Auf der Cebit präsentiert China die neue, glänzende Fassade seiner IT-Industrie: Das Land stellt ein Fünftel der Aussteller, darunter Schwergewichte wie Huawei und Lenovo. Alibaba-Gründer Jack Ma eröffnete die Messe mit einem lässigen Auftritt, schwärmte von Mitgefühl und Ideen statt Muskelkraft als Schlüssel zum digitalen Erfolg.

"Wir werden sicherstellen, dass die Gesetze die Rechte und Interessen der Arbeiter schützen", verspricht Chinas Premier Li Keqiang.

(Bild: Chatham House, CC BY 2.0)

An den Fließbändern der chinesischen Hardware-Industrie hat sich jedoch erschreckend wenig geändert: 60-Stunden-Wochen sind aufgrund der niedrigen Löhne immer noch der Normalfall, Betrügereien bei der Lohnabrechnung immer noch alltäglich. Auch Fälle von Kinderarbeit und Ausbeutung von Praktikanten werden immer wieder dokumentiert.

Die Medien kritisieren dann stets die Auftraggeber, vor allem Apple und Samsung. Selten gestellt wird jedoch die Frage: Warum lassen chinesische Politiker und Behörden solche Arbeitsbedingungen überhaupt zu?

Offiziell genießen Arbeiter in China ähnlich weitgehende Rechte wie in westlichen Industriestaaten. Doch die Behörden setzen diese nicht durch. Das chinesische Arbeitsrecht ist bislang nur eine Fassade – wie die Hochglanz-Kulissen auf der Cebit.

"Nicht nur neue Gesetze, sondern auch mehr Kontrollen sind nötig, um die Lage zu verbessern", sagt China-Experte Matthias Stepan.

(Bild: Mercator Institute for China Studies (MERICS) )

Beispiel Arbeitszeiten: Laut Gesetz liegt die maximale durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei 49 Stunden. Doch das wird von den Behörden nicht kontrolliert, geschweige denn durchgesetzt.

Das führt zu einer absurden Realität: Apple rühmt sich damit, dass 92 Prozent der geleisteten Arbeitswochen im Jahr 2014 unter der 60-Stunden-Grenze blieben. Das ist besser als noch vor ein paar Jahren und vermutlich unter dem aktuellen chinesischen Durchschnitt, aber gleichzeitig ein systematischer Rechtsverstoß.

Beispiel Gewerkschaften: Offiziell vertritt die Einheitsgewerkschaft ACFTU die Interessen der chinesischen Arbeiter. In der Realität sorgte neulich ein ACFTU-Funktionär weltweit für Schlagzeilen, als er die langen Arbeitszeiten bei Foxconn kritisierte. Solche Statements gab es bis dato nämlich nicht zu hören.

Für die Tatenlosigkeit der Gewerkschaft und der Behörden gibt es mehrere Ursachen. Viele Experten nennen die Abhängigkeit der Lokalregierungen von den Konzernen als Hauptgrund: "Die lokalen Führungen schützen ihre Firmen, wenn diese Rechte verletzen, da sie von den Steuereinnahmen abhängig sind", sagt China-Experte Dirk Schmidt von der Universität Trier.

Matthias Stepan vom Mercator Institute for China Studies betont, dass die lokalen Kontrollbehörden unterbesetzt und unterfinanziert seien. Auch Korruption spiele eine Rolle.

Die meisten Experten sehen aber auch Fortschritte. Einerseits hat die Zentralregierung in den letzten Jahren weitere Arbeiterrechte eingeführt. Premierminister Li Keqiang versprach neulich sogar in ungewohnt konkreten Worten, das Problem der "fehlenden und verspäteten Löhne der Wanderarbeiter" zu lösen. Andererseits funktioniert auch die Umsetzung auf lokaler Ebene etwas besser als früher.

Kevin Slaten von China Labor Watch zufolge sind Kontrollen zwar immer noch die Ausnahme. Bei Beschwerden seien die Behörden aber mittlerweile gewillter, im Sinne der Arbeiter zu entscheiden.

"Bei Beschwerden stellen sich die Behörden in jüngster Zeit öfter auf die Seite der Arbeiter", sagt Kevin Slaten von China Labor Watch.

(Bild: heise online)

Der Trierer China-Forscher Dirk Schmidt unterscheidet zwischen den ärmeren Provinzen im Landesinneren und den Industriezentren an der Küste: "Gerade die reicheren Provinzen leiden unter Arbeitskräftemangel, die können sich eine gravierende Verletzung der Rechte der Beschäftigten nicht mehr ohne weiteres leisten."

Geoff Crothall von der Arbeitsrechtsorganisation China Labor Bulletin betont hingegen, dass die Arbeiter sich die Fortschritte selbst erkämpft hätten: "Die zunehmend selbstbewusste Arbeiterbewegung setzt die ACFTU unter Druck, sich endlich wie eine richtige Gewerkschaft zu verhalten."

Mehr zum Partnerland China finden Sie in unserer Reihe zur CeBIT 2015:

(cwo)