Post aus Japan: Die ultimative Lösung des Roboterauto-Problems

Das größte Hindernis für das Roboterauto sind Akzeptanz durch Fahrer und Versicherer. Gerade die Japaner wissen das. Der Zukunftsforscher Morinosuke Kawaguchi denkt daher über Gedankensteuerung fürs Roboterauto nach. Doch es gibt eine bessere Lösung: Lasst die Fahrer die Algorithmen des Autos mitbestimmen.

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Von
  • Martin Kölling

Das größte Hindernis für das Roboterauto sind Akzeptanz durch Fahrer und Versicherer. Gerade die Japaner wissen das. Der Zukunftsforscher Morinosuke Kawaguchi denkt daher über Gedankensteuerung fürs Roboterauto nach. Doch es gibt eine bessere Lösung: Lasst die Fahrer die Algorithmen des Autos mitbestimmen.

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus – und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends.

Das Roboterauto kommt, doch es kommt langsamer als es kommen könnte. Dies machte Nissan- und Renault-Chef Carlos Ghosn jüngst in Japan deutlich. Bis 2020 werde Nissan bereit sein, "autonome" Autos zu präsentieren. Bei denen greift der Fahrer im Gegensatz zum wahren Automobil im Geiste Googles, das sich voll und ganz selbst steuert, noch hin- und wieder ins Lenkrad. Doch das Chauffeursauto ohne Chauffeur sieht er noch nicht. Die größte Hürde seien zum einen die doch konservative Kundschaft und zum anderen der Staat und die Versicherer.

Das Grunddilemma des Roboterautos ist und bleibt dabei die Frage der Haftung. Und genau dieses Problem diskutierte ich jüngst mit dem japanischen Industriestrategen, Produktdesigner und Futurologen Morinosuke Kawaguchi. Und hierum geht es: Die Kunden mögen sich mit dem Gedanken anfreunden können, sich dem Auto auszuliefern. Doch unser Rechtsstaat ist darauf angewiesen, dass der Mensch Meister seines Lebens ist. Sein Schicksal in die Hand Gottes oder eines Autos zu legen, erlaubt der Staat nicht. Denn die beiden kann man nicht verklagen.

Kawaguchi und ich waren uns einig, dass daher realistischerweise der Mensch rechtlich weiter Herr über die Maschine bleiben müsse, so sich der Privatbesitz des Autos nicht in Car-Sharing und Robotertaxis auflöst. Doch über die Methoden gingen unsere Meinungen auseinander. Kawaguchi schlug die Gehirnsteuerung des Autos für Notfälle vor, in denen der Fahrer blitzschnell die Alternativen abwegen muss. Ich halte eine Mitbestimmung der Wahlparameter des Autos durch den Fahrer vor der Fahrt für notwendig.

Nehmen wir einmal an, dass vor dem Auto plötzlich ein Kind oder auch ein Senior auf die Straße springt. Das Auto hat nun möglicherweise nur die Wahl, entweder den Menschen umzumangeln und wahrscheinlich zu töten oder in den Abgrund zu steuern und den Fahrer mit in den Tod zu reißen. Oder schlimmer noch, in den Gegenverkehr auszuweichen und das Leben des Fahrers sowie der Insassen im entgegenkommenden Fahrzeug zu riskieren. Was tun?

In den bisherigen Denkmodellen der Hersteller muss in diesem Moment der Fahrer blitzschnell die Hände ans Steuer legen und damit die Kontrolle wie die Entscheidung übernehmen, wer geopfert wird, man selbst oder der Passant. Die Krux dabei ist, dass der menschliche Eingriff wahrscheinlich mehr Zeit benötigt als allen Beteiligten bleibt. Kawaguchi glaubt, dass in diesem Fall Gedankensteuerung das Dilemma noch zeitig lösen könnte, da dadurch der physische Griff zum Lenkrad überflüssig wird. So gewinnt man wertvolle Millisekunden.

Diese Art der gedanklichen Entscheidung mag technisch sogar möglich sein, besonders wenn noch ein paar Jahre Entwicklung ins Land streichen. Aber ich bin der Meinung, dass auch das unrealistisch ist. Denn erstens erfordert es weiterhin, dass der Fahrer sein Augenmerk andauernd auf den Verkehr richtet, während das Auto sich selbst steuert. Zweitens wird genau das nicht der Fall sein, weil der Sinn des Roboterautos ja ist, nicht mehr auf den Verkehr achten zu müssen, sondern etwas anderes zu tun. Der Fahrer müsste also im Notfall aufschrecken und aus dem Stand einen Überblick über die Lage gewinnen. Nicht sehr wahrscheinlich.

Mein Vorschlag wäre daher, dass man als Fahrer bewusst die Wahlparameter des Autos mitbestimmen kann – frei nach eigenem Gewissen und den möglichen rechtlichen Folgen. Und vor allen Dingen vor der Fahrt. Beim Kauf könnte das Auto dem Fahrer beispielsweise einige Situation vorstellen, inklusive der Reaktionsmöglichkeiten und rechtlichen Fragestellungen. Und je nach den Antworten wird das Auto im Zweifel eher den Passanten oder den Fahrer opfern.

Der Clou: Der Fahrer entscheidet damit gleichzeitig bewusst über die rechtlichen Belange mit. Wer beispielsweise den Selbsterhaltungstrieb höher gewichtet, hat im Zweifel mit höheren Strafen zu rechnen. Andersherum ist man vielleicht tot, aber straffrei. Auf diese Weise kann sich das Auto auch in Gefahrensituationen selbst lenken, während gleichzeitig der Fahrer rechtlich belangbar bleibt.

Doch werden die Kunden es akzeptieren? Warum nicht, wenn man es nur ordentlich erklärt. Denn im Prinzip ist es ehrlicher und für den Einzelnen berechenbarer als all das, was jetzt läuft. Wer denkt heute beim Autokauf schon daran, dass er sich mit dem Kraftwagen automatisch ein mögliches Ticket in den Knast gekauft hat? Wer spielt Gefahrensituation und die eigenen Reaktionen schon in Gedanken bis zum Ende durch? Und wer reagiert daher im Zweifel nicht instinktiv, um dann womöglich später die eigene Entscheidung zu bereuen? Mit meinem Verfahren ist es weniger wahrscheinlich, dass ein Fahrer sagen kann: Das habe ich nicht gewollt. Und so könnte das Roboterauto nicht zu weniger Verantwortung im Straßenverkehr führen, sondern zu einem bewussteren Umgang mit ihr. ()