Justizminister: Vorratsdatenspeicherung "hält Urteilen der Gerichte stand"

Bundesjustizminister Heiko Maas hat sich nach dem Beschluss des Regierungsentwurfs zur Vorratsdatenspeicherung überzeugt gezeigt, dass dieser mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung vereinbar ist. Doch es gibt viele Angriffspunkte.

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Justizminister: Vorratsdatenspeicherung "hält Urteilen der Gerichte stand"

Bundesjustizminister Heiko Maas

(Bild: heise online, Stefan Krempl)

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Sichtlich erleichtert präsentierte sich Bundesjustizminister Heiko Maas am Mittwoch in Berlin, nachdem das Bundeskabinett seinen Referentenentwurf für eine neue Vorratsdatenspeicherung ohne große Veränderungen angenommen hatte. "Wir können sehr zufrieden sein, dass wir diesen vernünftigen Kompromiss gefunden haben", erklärte der SPD-Politiker. Die Bundesregierung habe einen "sehr ausgewogenen" Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der "Urteilen der Gerichte standhalten" werde.

Vorratsdatenspeicherung

Die ursprüngliche Vorratsdatenspeicherung mit längeren Fristen hatte das Bundesverfassungsgericht 2010 kassiert. Voriges Jahr kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) auch die EU-Richtlinie, er zeigte sich zudem äußerst skeptisch gegenüber jegliche anlasslose Überwachung. Maas selbst hatte monatelang versucht, Forderungen aus den Reihen von CDU und CSU standzuhalten.

Hinter dem nun verabschiedeten Gesetzentwurf stehe er aber, versicherte der Sozialdemokrat, sonst hätte er ihn nicht vorgelegt. Dieser sei weit entfernt von dem, was in den vergangenen Jahren "unter Vorratsdatenspeicherung diskutiert worden ist". Dabei sei es um längere Fristen gegangen, es sei kein Katalog für schwerste Straftaten definiert worden, der Ermittlern einen Zugriff auf die Verbindungs- und Standortinformationen erlaube, zudem sei dafür kein Richtervorbehalt vorgesehen gewesen. Die Vorgaben der Gerichte seien eingeflossen.

Die Politik begebe sich bei dem "Symbolthema zum Datenschutz" auf eine "schmale Gratwanderung", räumte Maas ein. Man wolle schließlich nicht nur die Grundrechte der Bürger schützen, sondern auch der Polizei "etwas bieten". Ob das Gesetz nötig sei, könne er zwar nicht beweisen, da es dieses noch nicht gebe. Praktiker hätten ihm aber in vielen Gesprächen klargemacht, dass es bereits viele Fälle gegeben habe, in denen "aufgrund nicht vorhandener Daten Straftaten nicht aufgeklärt werden konnten".

Provider müssen laut Gesetzentwurf Verbindungsinformationen zehn Wochen und Standortdaten vier Wochen lang speichern. Der Bereich E-Mail soll ausgenommen werden. Anbieter, die ihren Kunden nur eine kurzzeitige Nutzung des Telekommunikationsanschlusses ermöglichen, müssen keine Daten speichern; also Betreiber von Hotels, Restaurants und Cafés, die ihren Kunden etwa einen WLAN-Hotspot zur Verfügung stellen. Die Regierung bezieht sich dabei auf eine Mitteilung der Bundesnetzagentur. Auch müssen nur Daten gespeichert werden, die direkt bei der Dienstleistung erzeugt oder verarbeitet werden.

Auch mit dem Kabinettsbeschluss bleibt es aber dabei, dass Provider und Anbieter von Internet-Telefonie nach dem neuen Paragraph 113b Telekommunikationsgesetz (TKG) neben IP-Adressen "eine zugewiesene Benutzerkennung" wie Port-Nummern speichern müssten. Kritiker gehen davon aus, dass damit eine deutlich größere Datenmenge als bei der ersten Vorratsdatenspeicherung und ein "echtes Internet-Nutzungsprotokoll" auch für besuchte Webseiten entstünde, abgesehen von großen technischen Schwierigkeiten und wenig faktischem Nutzen.

Um die Quelle eines Kommunikationsvorgangs besser rückverfolgen und identifizieren zu können, sei die zugewiesene Benutzerkennung erforderlich, beteuert die Regierung. Die in Internet aufgerufenen Adressen in Form von URLs würden nicht gespeichert, es werde nicht das gesamte "Surfverhalten" von Internetnutzern nachvollziehbar.

Mobilfunkbetreiber müssen auch die "Bezeichnung der bei Beginn der Internetverbindung genutzten Funkzelle" vorhalten, sodass hier wohl jeder Online-Kontakt etwa beim Aufrufen einer Webseite oder Nachrichten aus sozialen Netzwerken einschließlich Standort zu protokollieren wäre. Die Regierung zieht sich dagegen auf die Ansage zurück, dass keine Bewegungsprofile erstellt werden dürften.

Im Zentrum der Kritik steht auch der Paragraph zur "Datenhehlerei": Journalistenverbände sehen damit den Schutz von Informanten und Whistleblower nicht gewährleistet und sich an die Grenze zur Strafbarkeit gerückt. Nicht korrigiert hat das Kabinett zudem die Ansage, dass Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Abgeordneten, Anwälten, Ärzten oder Journalisten zunächst erhoben, im Anschluss aber nicht verwertet werden dürfen.

Das neue Gesetz ist nicht befristet. "Eine Evaluierung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorgesehen", heißt es dann im Unterschied zum Referentenentwurf weiter, in dem das Justizministerium einen solchen Check im Nachhinein noch als "entbehrlich" bezeichnet hatte. Die Ermittlungen mit Hilfe der Vorratsdaten sollen statistisch erfasst werden, sodass eine spätere Überprüfung zumindest "ermöglicht" werde.

Die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast, bezeichnete den Beschluss als "verfassungswidrig" und "Dammbruch". "Die Freiheit und die Persönlichkeitsentfaltung sind dahin, wenn der Mensch davon ausgehen muss, immer überwacht zu werden", sagte die Grüne im ARD-Morgenmagazin. Künast warf der Koalition vor, das Gesetz bis Juli im Schnellverfahren durch den Bundestag bringen zu wollen und kündigte an: "Dann treffen wir uns vorm Europäischen Gerichtshof und in Karlsruhe beim Verfassungsgericht wieder."

Auch aus der Wirtschaft hagelt es weiter Kritik. Der Entwurf sei an vielen Stellen schlicht "nachlässig und ganz offenbar ohne den nötigen technischen Sachverstand formuliert", beklagt Oliver Süme, Rechtsvorstand beim Verband der deutschen Internetwirtschaft eco. Herausgekommen sei ein Text, "den die betroffenen Unternehmen so nicht werden umsetzen können". Die Anbieter müssten mit IP-Adressen eine Datenbank über sämtliche Kommunikationsverbindungen aufbauen, mit der Nutzerprofile erstellt werden könnten. Der Bundesverband IT-Mittelstand wendet ein, dass vor allem kleinere Provider mit der "insgesamt zweifelhaften" Initiative geschädigt würden. Das Parlament müsse den schädlichen Entwurf nun aufhalten, zumal derzeit keine ernsthafte "öffentliche Beteiligung" an dem Schnellverfahren vorgesehen sei. (anw)