Web-Prämiensystem bläst im Ausland zum Rückzug
Die Entscheidung von Webmiles, sein Büro in Stockholm zu schließen, passt in eine Reihe gescheiterter Internationalisierungs-Versuche wachstumsbesessener New-Economy-Firmen.
Zwei Tage, bevor in Stockholm die Kerzen an den Weihnachtsbäumen angezündet wurden, gingen im Skandinavien-Büro von Webmiles nach nicht einmal neun Monaten Betriebszeit die Lichter aus – der zweite Schlag für Webmiles nach dem Ende der Kooperation mit Ricardo vor wenigen Wochen. "Wir haben uns nach langen Diskussionen entschlossen, den skandinavischen Markt nicht weiter zu bedienen", seufzt Patrick Boos, Miterfinder des webbasierten Prämiensystems. Die Erwartungen hätten sich einfach nicht erfüllt. Die Entscheidung fiel bereits am vergangenen Donnerstag. Um den Weihnachtsfrieden in der Münchner Zentrale nicht zu gefährden, wurde die unerfreuliche Meldung allerdings erst heute publik gemacht, wie die Financial Times Deutschland berichtet.
Skandinavien galt wegen der hohen User-Raten lange als Testmarkt für Firmen der New Economy. Doch spektakuläre Pleiten wie die von den E-Commerce-Seiten Boxman.com oder Dressmart.com haben in jüngster Zeit Zweifel an den Träumen vom großen Internetgeschäft im hohen Norden aufkommen lassen. "Die absolute Nutzerzahl ist einfach zu klein im dünn besiedelten Skandinavien", sagt Boos. Zahlreiche Partner aus dem Webhandel seien weggebrochen. Da hätte es wenig Sinn gemacht, die skandinavische Site noch weiter am Netz zu halten. Denn auch wenn in Stockholm selbst in jüngster Zeit nur noch drei Mann für Webmiles gearbeitet hätten, sei die Ressourcenbindung für die Bearbeitung des Marktes jenseits der Ostsee doch enorm gewesen.
Die Büroschließung ist die erste wichtige strategische Entscheidung bei Webmiles, seit die Bertelsmann-Dienstleistungssparte Arvato Mitte Oktober 70 Prozent des Aktienkapitals des Startups übernommen hat. "Wir haben allerdings nicht von den Güterslohern das Budget zusammengestrichen bekommen", widerspricht Boos Vermutungen, dass der neue Mehrheitsanteilseigner den Münchnern die Leviten gelesen und ihnen die Schließung des Büros nahegelegt hätte.
Das im März 1999 von Loretta Würtenberger und Patrick Boos gegründete Unternehmen Webmiles gehörte während der vergangenen 13 Monate zu den am stärksten in europäische Nachbarländer expandierenden Startups hierzulande. Auf die Eröffnung von Satellitenbüros in London und Paris Ende 1999 folgte im Frühjahr der Aufbau von virtuellen beziehungsweise realen Dependancen in Stockholm, Amsterdam, Madrid und Mailand – zum Teil allerdings unter anderen Namen, etwa in Spanien, wo die Surfer "Webpuntos" statt Meilen sammeln können.
Beflügelt vom Rückenwind von der Börse sowie den Fantasien der Investoren und Gründer folgten dem Beispiel Webmiles zahlreiche andere Startups wie Ciao , Dooyoo oder Vitago und eröffneten munter Büros mit eigenen, oft über 15 Mann starken Teams zwischen London und Mailand.
Doch "noch hat niemand einen Vierfrontenkrieg gewonnen", wundert sich Bernd Hardes, Vorstand der Berliner Investmentfirma Econa, über den Überambitionismus der Branche. Früher hätten Firmen 50 Jahre gebraucht, um sich international auszubreiten. Den Anspruch, vergleichbare Leistungen in 50 Tagen zu vollbringen, hält der Geldgeber für einen der größten Fehler von Startup-Managern überhaupt.
Die Lektion lernen zahlreiche Internet-Firmen momentan unter Schmerzen. Bei der Paderborner teamwork AG, der zweiten Pleite am Neuen Markt nach dem Provider Gigabell, war die zu schnelle Expansion nach Frankreich, Polen und Großbritannien das i-Tüpfelchen einer Reihe von Fehlkalkulationen. Auch der Wellness-Shop Vitago musste kürzlich die Notbremse ziehen: Die Niederlassungen in Frankreich und Großbritannien kommen unter den Hammer, das Büro in Italien wird liquidiert. Die Münchner Firma will sich darauf beschränken, mit den verbleibenden 18 Millionen Mark Wagniskapital im Heimatmarkt schwarze Zahlen zu schreiben.
"Die Internationalisierung war vom Markt getrieben und nicht gesund", sagt Boos heute, demzufolge im neuen Jahr alle Auslandsniederlassungen von Webmiles auf den Prüfstand kommen. Doch nachdem Startups nun von den Börsen Gegenwind ins Gesicht bläst, fragen die Investoren nur noch nach Profiten und haben sich von dem Mantra vom "Wachstum um jeden Preis" längst verabschiedet. Etwas Gutes kann der Webmiles-Mitbegründer dem Aus für das skandinavische Büro daher wenigstens abgewinnen: "Die Analysten werden den Konzentrationsprozess sicher gut heißen." (Stefan Krempl) / (jk)