Erster Fahreindruck Harley-Davidson Livewire

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"Ausgerechnet!", schrie(b)en wir alle, als Harley letztes Jahr ihren elektrischen Roadster erstmals zeigte. Die erste Fahrt auf dem Prototypen zeigt, dass Harley ganz viel verstanden hat ...

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Harley-Davidson, Elektroantrieb, alternative Antriebe 21 Bilder
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Clemens Gleich
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"Ausgerechnet Harley baut ein Elektromotorrad!", schrieben wir alle, als die Company ihr "Project Livewire" vor rund einem Jahr vorstellte. Wenige hätten das von diesem äußerst konservativen Unternehmen erwartet, doch zumindest die Umsetzung passiert typisch Harley in eben jener bedachten, konservativen Art, in der sie alle Neuheiten einführen, sogar ABS damals, als es jeder schon hatte: Zuerst fahren Prototypen viele Kilometer unter vielen Testern. Diese Prototypen sehen aus wie Serienfahrzeuge. Es werden die Stimmen der Szene gehört. Wenn Erfolg wahrscheinlich scheint, werden maximal Kleinigkeiten geändert und die Produktion beginnt. Die technische Lösung in der Serie bleibt meistens sehr nahe derjenigen in den ersten Prototypen, weil Harley schon dort stets ausschließlich bewährte Technik verwendet. Deshalb kann man davon ausgehen, dass die Prototypen der Livewire gute Rückschlüsse auf das Fahrverhalten der Serienmaschine zulassen. Ein kleiner Test rund um den Hockenheimring (auf die Strecke durften wir leider nicht).

Die Eckdaten, die Harley herausgibt: 54 kW (74 PS), 70 Nm, 210 kg Gesamtgewicht, 85 km Reichweite. Die Eckdaten, die man über den Daumen peilen muss: Die Kombination von Gewicht und angegebener Reichweite lässt auf eine derzeitige Akkukapazität von ungefähr 7 kWh schließen. Warum H-D dort nicht mehr verbaut hat, wundert, denn Harleys am ehesten vergleichbarer Roadster XR 1200 wog immerhin 263 kg vollgetankt. Dem Prototypen steht das aktuelle Gewicht jedoch hervorragend.

Sie ist einfach zu laut

Harleys Kundenkreis verlangt mehr noch als der Gesamtmotorradmarkt laute Funktionsgeräusche. Ob das an der Generationengrenze so bleibt, wissen wir natürlich nicht, fest steht, dass sich der Hersteller selbstverständlich auch bei seiner bestehenden Kundschaft beliebt machen will. Deshalb tönt die Livewire in Fahrt extrem laut. Das mechanische Heulen des Umlenk-Getriebes war sogar einem altgedienten Harley-Veteranen tatsächlich "zu laut". Doch das sind Details. Dieses Geräusch in Art oder Schalldruck zu ändern, ist an den Prototypen eine Sache von Shims. Der Grund für die Existenz dieser Umlenkung spricht Bände darüber, wie gut Harley seine Kunden kennt. Es geht allein um Präsentation.

Betrachtet man dieses Motorrad von der Seite, fällt beim Schwarz-in-Schwarz vor allem die silberne Basis unten auf. An der zylindrischen Stelle mit den drei Streben liegt längs zur Fahrtrichtung der fremderregte Synchronmotor im schick verstrebten Alu-Gehäuse. "Motor zeigen", steht immer weit oben in Harleys Pflichtenheften. Hinter dem Motor, unter dem Harley-Wappen, befindet sich eine gerade verzahnte Umlenkung um 90°. Hier entsteht das laute Funktionsgeräusch. Dahinter verwendet Harley einen kleinen Zahnriemen zur Untersetzung auf das Ritzel des längeren Zahnriemens des Endantriebs. Diese Konfiguration ist sehr leise, interferiert also kaum mit dem Primärgeräusch. Das Gehäuse von Motor und Umlenkung benutzt Harley als Resonanzkörper. Die Ingenieure taten also im Prinzip das Gegenteil dessen, was sie üblicherweise tun. BMW zum Beispiel verzahnt die Kegelräder der Kardan-Antriebe schräg geschwungen, um eben diese Geräusche zu reduzieren, die bei einem Verbrenner als störende Kulisse gelten.