Hilfe, mein Auto verrät mich

Wer fährt, produziert Daten. Aber was steckt an Informationen im Fahrzeug, was in seinem Umfeld? Wer hat Zugriff darauf, und was wird damit angestellt?

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas

Undank ist der Welten Lohn. Dabei meinen es die Bayerischen Motoren Werke doch nur gut. Ihre mit "Connected Drive" ausgestatteten Limousinen rufen im Ernstfall automatisch Hilfe. Öffnet sich der Airbag, informiert das Auto über das Mobilfunknetz den BMW-Notdienst. Das tat es auch, als ein Hamburger seinen Wagen nächtens versehentlich in ein Hafenbecken lenkte. Als der Havarist sich ohne fremde Hilfe aus dem Fahrzeug befreite, hatte der BMW allerdings schon längst SOS gefunkt.

Polizei und Rettungskräfte waren binnen Minuten an der Unfallstelle, fanden den Wagen – und kurz darauf dessen angesäuselten Fahrer. Das unrühmliche Ende der Tour: Fahrerlaubnis futsch, und den Schaden am Auto musste der Alkoholsünder auch tragen. Ohne Connected Drive hätte er sich eine plausible Geschichte für die Versicherung ausdenken können. Weil er sich um diese Chance gebracht sah, verklagte er den Automobilhersteller – allerdings erfolglos.

Die Episode zeigt die Ambivalenz moderner Technik. Fahrzeuge der neuesten Pkw-Generation sind mit viel Elektronik ausgestattet, Hersteller und Vertragswerkstätten führen per Computer über die Fahrzeuge Buch – da fällt einiges an Daten an.

Das Motormanagement ("Steuergerät") eines modernen Pkw gibt wenig preis: Neben Abgaswerten und Fehlermeldungen speichert es bestenfalls den Kilometerstand – zumindest in den aktuellen Mercedes-Benz-Modellen, wie Firmensprecher Andrew May verrät. Die Motorelektronik sämtlicher aktueller Volkswagen zeichnet laut Sprecher Harthmuth Hoffmann auch ungewöhnliche Werte wie Radumdrehungen auf. Daraus lassen sich bei der Rekonstruktion von Unfällen wichtige Rückschlüsse auf die ungefähre Geschwindigkeit vor dem Crash oder Überschlag des Fahrzeugs ziehen.

Deutlich mehr Schnüffelpotenzial bietet die Komfortelektronik, wenn der Fahrer schusselig ist. Eingebaute wie externe Navigationssysteme speichern die zuletzt aufgerufenen Ziele, Freisprecheinrichtungen die zuletzt gewählten Nummern, also auch die Daten eines eventuellen Seitensprungs. Die Informationen lassen sich problemlos löschen – nur daran denken muss der Ehebrecher. Indes gehört ins Reich der Legenden, dass Fahrzeuge mit GPS-Navigationssystem sich ohne Weiteres orten ließen. Das GPS nutzt Satelliten nur, um den eigenen Standort zu bestimmen, nicht umgekehrt.

Das größte Entlarvungspotenzial bieten elektronische Fahrtenschreiber. Viele Selbstständige lassen sich die GPS-gestützten Protokollanten in ihren Pkw einbauen, weil sich das vom Finanzamt geforderte Fahrtenbuch so bequem führen lässt. Wer einen Unfall baut oder gar eine Straftat begeht, muss aber damit rechnen, dass die Daten des Rekorders auch gegen ihn verwendet werden. Laut ADAC-Jurist Paul Kuhn dürfen Polizei und Gerichte die Fahrtenschreiber beschlagnahmen und auswerten. Umgekehrt können die Geräte gegebenenfalls auch helfen, die eigene Unschuld zu beweisen.

Vorgeschrieben ist der elektronische Fahrtenschreiber allerdings nur in neuen Nutzfahrzeugen ab 3,5 Tonnen. Wie gläsern der Pkw-Nutzer durch solche Geräte wird, verdeutlicht eine Episode, die Rechtsanwalt Udo Vetter auf seiner Internetseite lawblog.de veröffentlichte. Während einer mehrtägigen Reparatur eines Mandantenfahrzeugs protokollierte der Apparat verschiedene Touren der ahnungslosen Automechaniker. Die führten zum Erstaunen des Halters fast "ausschließlich an Ziele (...), wo man(n) sich vergnügen kann (...)."

Wer im privaten Pkw befürchtet, dass seine Wege rückverfolgt werden können, sollte vor allem sein Handy abschalten. Denn das kann der Netzbetreiber jederzeit orten – was aber normalerweise nicht passiert, wie Vodafone-Sprecher Dirk Ellenbeck beteuert: "Kein Mitarbeiter kommt mal eben so an diese Daten. Die müssen mehrere Personen im Haus freigeben. Wir machen das nur auf richterliche Anordnung."

Während sich das eigene Handy problemlos ausschalten lässt, arbeiten integrierte Notrufsysteme logischerweise mit einem permanent eingeschalteten Mobilfunksender. BMW bietet die womöglich lebensrettende Technik als Sonderausstattung an, Mercedes-Benz entwickelt in Zusammenarbeit mit der Björn Steiger Stiftung ein ähnliches System. Auf Drängen der EU-Kommission sollte eigentlich schon 2009 ein herstellerübergreifendes Netz namens "eCall" für alle Neuwagen eingeführt werden. Jetzt rechnet der ADAC eher mit dem Jahr 2013. Wenn das System kommt, ist – theoretisch – Schluss mit Privatsphäre auf europäischen Straßen. Gegen das hypothetische Missbrauchspotenzial von eCall wäre eine Ausweitung des Lkw-Mautsystems Toll Collect auf Pkw vergleichsweise harmlos: Danach ist die Ortung von Fahrzeugen an die Mautbrücken gebunden, die derzeit nur auf den Autobahnen stehen. Das System eCall indes würde überall funktionieren.

Aber nicht nur, wohin das Auto bewegt wird, kann interessant sein – auch wem es gehört und wie es gewartet wurde. Die Halter selbst führen meist nur während der Garantiezeit Buch, – denn wer die Garantie des Autoherstellers nicht verlieren will, fährt zur Vertragswerkstatt. Und die Hersteller? "Seit Toyota Fahrzeuge nach Deutschland importiert", sagt Firmensprecher Dirk Breuer, "werden in der EDV Fahrzeugdaten wie Fahrgestellnummer, Produktionsdatum, Erstzulassung, Farbe und Ausstattung gespeichert, zudem der ausliefernde Händler." Zudem würden Garantiearbeiten samt Kilometerstand dem Fahrzeug zugeordnet. Käuferdaten speichere Toyota allerdings "nur, wenn der Kunde mit uns in Kontakt tritt".

Bei BMW, Mercedes und Opel ist der Erstkäufer in jedem Fall vermerkt. Während Daimler-Mann Andrew May potenziellen Gebrauchtwagenkäufern großzügige Auskunft verspricht, sollten diese Zweifel am Kilometerstand haben, will Friedbert Holz von BMW aus Datenschutzgründen lieber "an eine neutrale Stelle verweisen" – also etwa einen Gutachter.

In den USA, wo man den Datenschutz weniger eng sieht, hat ein Dienstleister aus der Aufbereitung digitaler Auto-Lebensläufe ein Geschäft gemacht: Die Online-Auskunftei Carfax bietet bei Bedarf Auto-Infos, die sie bei Zulassungsstellen, Werkstätten, Rettungsdiensten und Schrotthändlern sammelt. Das klingt nach Datenkrake. Deren Fangarme scheinen freilich nicht allzu lang zu sein: So monieren Gebrauchtwagenkäufer in Internet-Foren lückenhafte oder veraltete Autodaten, mit denen Händler ihnen genau jene "Lemons" (deutsch: alte Gurken) untergejubelt hätten, vor denen die Online-Auskunftei sie eigentlich zu schützen vorgibt.

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