Grummeln im Untergrund

Lager tief unter der Erde sollen Kohlendioxid aus fossilen Kraftwerken wegspeichern. Dass die Bevölkerung vor Ort das widerspruchlos hinnimmt, ist unwahrscheinlich.

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Das Bundeskabinett hat gestern, am 1. April 2009, einen Gesetzentwurf über die Abscheidung, den Transport und die dauerhafte Speicherung von Kohlendioxid in tiefen Gesteinsschichten (Carbon Capture and Storage, CCS) beschlossen. Die CCS- Technologie, bei der Kohlendioxid direkt nach der Verbrennung abgeschieden und dann in unterirdischen Speichern gelagert wird, könnte einen vergleichsweise "sauberen" Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken ermöglichen.

Den Anlagenbetreibern soll das Gesetz nun Planungs- und Investitionssicherheit für Pilot- und Demonstrationsanlagen geben. Sie müssen unter anderem nachweisen, dass die vollständige Zurückhaltung von CO2 im Speicher auf unbegrenzte Zeit gewährleistet ist. Zudem müssen sie umfassend Vorsorge gegen Risiken für Mensch und Umwelt nach dem anerkannten Stand von Wissenschaft und Technik leisten. Erst 30 Jahre nach Stilllegung einer Anlage und damit rund 80 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme können Betreiber ihre Verantwortung auf den Staat übertragen.

Ende 2007 hatte die Bundesregierung einen ersten Bericht zum Entwicklungsstand der CCS-Technologien vorgelegt. Für TR seinerzeit Anlass für einen Kommentar, der noch immmer aktuell ist.

Spätestens in 13 Jahren könnte es ernst werden: Bis 2020 soll nach dem Willen der Bundesregierung die Abtrennung und unterirdische Lagerung von Kohlendioxid, das in Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen anfällt, zur Marktreife gebracht werden. Auch in Deutschland könne dann ein beachtliches CO2-Speicherpotenzial erschlossen werden, heißt es in einem gemeinsamen Bericht des Bundeswirtschafts- und Umweltministeriums.

Als heißer Kandidat für ein CO2-Endlager gilt beispielsweise die Erdgaslagerstätte Altmark. Die liegt in der nordwestlichen Ecke von Sachsen-Anhalt, gleich an der Grenze zum niedersächsischen Kreis Lüchow-Dannenberg. Dort wiederum befindet sich der von der Bundesregierung vorgesehene Standort für das bislang bundesweit einzige Endlager für hoch radioaktiven Atommüll. Und ähnlich wie die Bevölkerung vor Ort hier seit Jahren gegen eine Realisierung des Plans kämpft, dürften auch Vorbereitungen für ein CO2-Endlager früher oder später auf erbitterten Widerstand stoßen.

Die Substanz, um die es diesmal geht, wirkt zunächst weitaus harmloser als der strahlende Abfall aus Atomkraftwerken: Kohlendioxid fällt bei jeder Verbrennung fossiler Energieträger an, bei der vergleichsweise preisgünstigen Kohle mehr, bei Öl oder Erdgas etwas weniger. Für den Menschen gefährlich wird das Gas erst bei einer Konzentration von fünf Prozent oder mehr in der Atemluft. Doch weil es als einer der Hauptverursacher für den weithin befürchteten Klimawandel gilt, sollen die Emissionen deutlich reduziert werden – in Deutschland bis 2020 um 30 Prozent gegenüber dem Stand von 1990.

Jährlich 270 Millionen Tonnen CO2 müssten also verschwinden, zum Beispiel indem sie bei der Verbrennung aufgefangen und dann in hoffentlich sicherer Tiefe dauerhaft gelagert werden (siehe TR 09/04). Aufbauend auf „standortunabhängiger Grundlagenforschung“ soll es deshalb laut dem Bericht der beiden Ministerien in den kommenden Jahren mehrere Pilotprojekte zur Untersuchung der Eignung verschiedener Lagerstandorte geben. Infrage kämen etwa erschöpfte Erdgaslagerstätten oder „sanilare Aquifere“ – Salzwasser führende Sandsteinschichten, die das CO2 wie ein Schwamm aufsaugen könnten. In Deutschland wird die Kapazität dieser Aquifere auf 20 Gigatonnen geschätzt, davon befinden sich etwa drei Viertel in Norddeutschland.

Noch aber ist keineswegs bewiesen, dass das Klimagas wirklich dauerhaft im ausgewählten Lagerort bleibt. 2004 hatten beispielsweise Geowissenschaftler des United States Geological Survey (USGS) vor der texanischen Golfküste rund 1600 Tonnen CO2 in eine Sedimentschicht unterhalb der Küste des Golfs von Mexiko injiziert. Später stellten die Forscher fest, dass sich innerhalb der Kaverne eine saure Mischung aus Salzwasser und Kohlendioxid gebildet hatte, die die natürliche Versiegelung des Speichers anzugreifen drohte. Auch wenn dies das bislang einzige kritische Ergebnis bei Versuchen mit CO2-Lagerungen ist, liefert es Kritikern Munition.

Denn dass auch austretendes CO2 eine Katastrophe auslösen kann, ist spätestens seit dem 21. August 1986 bekannt: An diesem Tag setzte der Nyos-See in Kamerun schlagartig rund 1,6 Millionen Tonnen CO2 frei. Das Gas strömte in zwei nahe liegende Täler und tötete rund 1800 Menschen. Der Kratersee ist mit Kohlenstoffdioxid gesättigt – eine Magmakammer versorgt das Wasser mit CO2. Was die plötzliche Ausgasung ausgelöst hatte, ist bis heute nicht geklärt. Dass sich ein solcher Unfall in einem künstlich angelegten CO2-Lager wiederholt, ist höchst unwahrscheinlich: Zum einen begünstigte in Kamerun die Berglage des Sees die Ausbreitung des Gases, das schwerer ist als Luft. Bei Endlagern ließe sich das berücksichtigen, und wenn Undichtigkeiten auftreten würden, ließe sich das mit Sensoren sicher frühzeitig feststellen. Zudem würde das Gas innerhalb weniger Stunden so stark verdünnt, dass es keine Gefahr mehr darstellt. Aber das Problem bleibt im Kern dasselbe wie beim Atommüll: Die Lagerstätten bergen über Jahrtausende die Gefahr einer Verseuchung der Umgebung. Auch die Tatsache, dass sich just die Atomkraftwerksbetreiber von heute als die CO2-Versenker von morgen zu profilieren versuchen, dürfte dem Vertrauen in der Bevölkerung nicht eben Vorschub leisten. Es ist deshalb kaum vorstellbar, dass die Bürger vor Ort ein CO2-Lager in ihrer Nähe klaglos hinnehmen – und unverständlich, dass den Experten in den Ministerien zum Umgang mit Zweifeln nicht etwa die rückhaltlose Offenlegung aller wissenschaftlichen Ergebnisse einfällt. Stattdessen soll laut ihrem Bericht an den noch zu findenden Lagerstandorten eine „spezielle Öffentlichkeitsarbeit“ aufgebaut werden. Das ist bekanntlich schon einmal gründlich schiefgegangen – über die Gefährdung durch CO2-Lager kann man sich streiten, aber wütende oder verzweifelte Menschen sind rationalen Argumenten nicht unbedingt zugänglich, wenn unter ihren Füßen der gefährliche Müll einer ganzen Nation gelagert werden soll. Atomkraft und CO2-Lagerung haben beide das Potenzial, das globale Klimaproblem zu entschärfen. Doch beide bringen lokale Probleme mit sich, die sich als noch hartnäckiger erweisen könnten. (wst)