Stürmer aus Stahl

Als "Fußballroboter" beschimpften einige Kommentatoren die deutsche Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 2002 in Japan.

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Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Als "Fußballroboter" beschimpften einige Kommentatoren die deutsche Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 2002 in Japan. Womit gemeint war, dass sie spielten, als würden sie stur einem vorgegebenen Programm folgen: hoch diszipliniert, effektiv, langweilig. Roboterfußball, so die verbreitete Meinung, steht für Sport ohne Spaß.

Wer so urteilt, hat wahrscheinlich noch nie wirkliche Roboter Fußball spielen gesehen. Denn dann hätte er erlebt, wie Teams und Zuschauer die Maschinen anfeuern. Er hätte mit den Akteuren auf dem Feld und ihren Konstrukteuren am Rand gefiebert und wüsste: Roboterfußball kann irrsinnig Spaß bringen.

Es gibt dramatische Begegnungen wie das Endspiel in der Simulationsliga bei der letzten RoboCup-WM 2003 in Padua, das Erinnerungen an das legendäre WM-Halbfinalspiel Deutschland gegen Italien von 1970 weckte. Spektakuläre Dribblings bei den mittelgroßen Kickmaschinen sorgen ebenso für Begeisterung wie die Fallrückzieher der vierbeinigen Aibo-Hündchen.

Für kickende Roboter gilt grundsätzlich dasselbe wie für Menschen: Das Spiel ist spannend, weil man nicht weiß, wie es ausgeht. Allerdings bezieht sich diese Ungewissheit über den Ausgang beim Roboterfußball nicht nur auf die einzelne Begegnung oder ein Turnier. Die in der internationalen RoboCup Federation organisierten Robokicker verfolgen auch ein langfristiges Ziel, das die besondere Faszination des Vorhabens ausmacht: Bis zum Jahr 2050, so die ehrgeizige Vorgabe, sollen menschenähnliche Roboter gegen Menschen um die Fußballweltmeisterschaft spielen - und gewinnen, nach den dann gültigen offiziellen Fifa-Regeln selbstverständlich.

Ist das zu schaffen? Die Experten sind geteilter Meinung. Raúl Rojas, der an der Freien Universität Berlin Informatik lehrt und die FU Fighters trainiert, zählt zu den Skeptikern. "Es ist in der Informatik sehr schwierig, weiter als zehn Jahre in die Zukunft zu schauen", gibt er zu bedenken. "Alles, was darüber hinaus geht, gilt als Sciencefiction." Bernhard Nebel, der mit dem CS Freiburg bei den mittelgroßen Robotern dreimal die Weltmeisterschaft gewonnen hat, ist dagegen zuversichtlich: "Wenn man mal 50 Jahre zurück in die Vergangenheit schaut und den damaligen Stand der Technik mit dem heutigen vergleicht, kann man sich vorstellen, dass das Ziel nicht völlig realitätsfern ist - auch wenn die heutigen humanoiden Roboter eher lächerlich wirken", sagt der Freiburger Professor für Künstliche Intelligenz. Für seinen Kollegen Hans-Dieter Burkhard von der Humboldt-Universität zu Berlin kommt es vor allem auf den Versuch an. Selbst wenn die Roboter in 46 Jahren den Einzug ins WM-Finale verpassen sollten, sei die RoboCup-Initiative nicht vergeblich gewesen. "Hinterher sind wir in jedem Fall schlauer."

Burkhard ist ein RoboCup-Veteran. Als einziger deutscher Teilnehmer ist er seit der ersten Weltmeisterschaft im Jahr 1997 dabei, gewann damals den Titel in der Simulationsliga. Für ihn ist der RoboCup auch eine neue Art, Wissenschaft zu betreiben, die nicht nur vom derzeitigen Erkenntnisstand ausgehend den jeweils nächsten Schritt plant. "Stattdessen setzen wir uns das Ziel in einer ferneren Zukunft und rechnen zurück", sagt er. "Wenn wir im Jahr 2050 mit Robotern die WM gewinnen wollen, müssen wir 2040 das Problem der Energieversorgung gelöst haben, müssen 2030 mit den Maschinen im Freien spielen können, darf es 2020 keine Bildverarbeitungsprobleme mehr geben. Von all dem gehen sehr kreative Impulse aus."

Mittlerweile sind bereits mehrere tausend Wissenschaftler in etwa 35 Ländern von der Idee des RoboCups infiziert und orientieren sich damit an einem Ziel, das vor allem dem Vergnügen dient. In Zeiten, da sich die Forschungspolitik weit gehend der Profitlogik unterworfen hat, ist allein das schon bemerkenswert. Natürlich geht es nicht nur um Spaß. Klar ist: Maschinen, die Fußball spielen können - und sei es nur auf Kreisliganiveau –, meistern noch ganz andere Dinge. Beim Fußball entwickeln Roboter die grundlegenden Fertigkeiten, die dann auch in anderen Anwendungen zum Einsatz kommen können, etwa bei der autonomen Steuerung von Produktionsprozessen oder bei der Montage im Weltraum.