"Keine Angst vor dem genetischen Code"

Im Interview mit Technology Review spricht Genforscher Craig Venter über die Motivation hinter dem Großprojekt, bei dem er sein vollständiges diploides Genom entziffern ließ.

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Von
  • Emily Singer

Im Interview mit Technology Review spricht Genforscher Craig Venter über die Motivation hinter dem Großprojekt, bei dem er sein vollständiges diploides Genom entziffern ließ.

Technology Review: Herr Venter, warum haben Sie sich überhaupt zu dem Projekt entschlossen?

Craig Venter: Das Genom, das wir einst bei meiner Firma Celera publiziert hatten, war eine Zusammenstellung von fünf Menschen. Um dies alles zusammenzusetzen, wurde schnell klar, dass wir einige Kompromisse machen mussten, die der Informatik geschuldet waren – wir mussten also einige genetische Variationen herauslassen. Wir wussten aber auch, dass man das Genom nur dann wirklich verstehen können würde, wenn es von einer Einzelperson stammt. Statt also ganz von Neuem anzufangen, entschieden wir uns, das, was im Celera-Genom bereits vorlag, zu nehmen und mehr Sequenzen anzufügen. Das Ziel war eine genaue Referenzsequenz einer einzelnen Person.

TR: Inwieweit ergänzt Ihre Genomsequenz das, was wir vom Humangenomprojekt bereits wissen?

Venter: Die staatlichen Labors sequenzierten und publizierten ein zusammengesetztes haploides Genom mehrerer Person – also mit einer DNA-Sequenz, die nur aus jeweils einem Teil jedes Chromosomen-Paars bestand. Damals gab es die Annahme, dass wir nur eine Hälfte des Genoms bräuchten, um die menschliche Komplexität zu verstehen. Es wurde aber inzwischen klar, dass man die Chromosomen-Sätze im Zusammenspiel sowohl von der Mutter als auch vom Vater sehen muss, um Variationen genau zu erkennen. Dieses neue Genom besitzt nun alle Ergänzungen, Löschungen und Kopierfehler. Das gibt uns eine ganz neue Sichtweise der Dinge.

TR: Was ist Ihre bislang spannendste Entdeckung?

Venter: Für mich liegt sie in der Erkenntnis, dass die Variationen von Mensch zu Mensch wesentlich höher sind, als bislang angenommen. Sie könnte sogar bis zu zehn Mal höher liegen als wir es aus dem Genom des Jahres 2001 geschlossen hatten. Statt zu 99,9 Prozent identisch zu sein, liegen wir viel eher bei 99 Prozent. Es ist ein beruhigendes Gefühl, dass wir beileibe nicht derart identische Klone zu sein scheinen, wie viele Menschen vor sieben Jahren annahmen.

TR: Wie wird die Wissenschaft nun Ihre Genom-Sequenz verwenden?

Venter: Sie wird ihr als Referenzgenom dienen. Dies ist wahrscheinlich das erste und letzte Mal, dass jemand die Zeit, das Geld und die Energie aufwendet, um ein diploides Genom mit dieser genauen Sanger-Sequenzier-Methode zu entschlüsseln. Spätere Genome wie das der Firma 454 oder das aus George Churchs "Personal Genome Project" werden bestehende Daten einbeziehen und das Genom nur noch komplettieren.

TR: James Watson brachte eine Version seines eigenen Gens ebenfalls diesen Sommer heraus. Wie unterscheidet es sich von Ihrem?

Venter: Dazu wurde noch nichts publiziert, deshalb wissen wir es nicht. Aber so wie ich das verstehe, sequenzierte er nur kurze Fragmente, die dann auf Sequenzen geschichtet wurden, die an den US-National Institutes of Health entstanden. Es gibt also viele technische Unterschiede. Doch so lange sie nicht publiziert sind, wissen wir es eben nicht genau.

TR: Teile Ihres Genoms standen schon länger der Öffentlichkeit zur Verfügung. Haben Sie jetzt noch irgendwelche Bedenken, ihre gesamte DNA-Sequenz in hoher Qualität herauszubringen?

Venter: Nein. Ich spende auch Watson Beifall, dass er es getan hat. Die wichtige Botschaft hier ist doch, dass die Leute keine Angst vor ihrem genetischen Code haben müssen – und auch nicht davor, dass andere Menschen ihn sehen. Das steht im Gegensatz zur Annahme, dass es sich hierbei um gefährliche Informationen handelt, die strikt verschlossen sein sollten. Wir bestehen nicht nur aus unserem genetischen Code. Es gibt sehr wenige Teile der DNA, die zu 100 Prozent interpretierbar sind oder anwendbar wären.

TR: Haben Sie Ihr Genom selbst nach krankheitsrelevanten Mutationen durchsucht?

Venter: Ja. Ich werde im Oktober ein Buch mit dem Titel "A Life Decoded" publizieren, in dem ich mir viele Variationen ansehe und sie in den Kontext meines Lebens setze. Beispielsweise habe ich eine hohe statistische Wahrscheinlichkeit, blaue Augen zu bekommen, kann aber von meinem Genom aus gesehen nicht zu 100 Prozent sicher sein, dass ich sie habe. Die Botschaft lautet, dass alles in unserer DNA mit statistischer Unsicherheit verbunden ist. Wir sind erst am Anfang, das zu begreifen.

Zuvor publizierte Genome repräsentierten niemanden ganz. Deshalb durften wir darauf basierend auch nicht die menschliche Biologie interpretieren. Nun können wir anfangen, echte Rückschlüsse zu ziehen. Wir brauchen jedoch Zehntausende oder Millionen Genome, um eine Datenbank aufzubauen, die uns Interpretationen seltener Varianten erlauben und uns verstehen lernen, was sie bedeuten. Das wird Jahrzehnte dauern.

TR: Wie teuer war Ihr Projekt?

Venter: Das Ziel war nicht, zu sehen, wie wir ein Genom so billig wie möglich sequenzieren können. Es ging uns darum, wie genau das geht. Das Vorhaben war über die Jahre hinweg ganz klar ein Multimillionen-Dollar-Projekt. (bsc)