Arbeit 4.0: "ein neues Betriebssystem für die Gesellschaft" - und eine Crowd-Steuer

Sachverständige haben sich bei einem Fachgespräch im Bundestag dafür ausgesprochen, einige Stellschrauben für den Arbeitnehmerschutz in der vernetzten Wirtschaft nachzujustieren und Fehlentwicklungen zu begegnen.

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Industrie 4.0
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Fachleute waren sich bei einem Expertengespräch im Ausschuss Digitale Agenda des Bundestags am Mittwoch einig, dass die "digitale Arbeit" erweiterter politischer und sozialer Vorgaben bedarf. "Wir brauchen ein neues Betriebssystem der Gesellschaft für Arbeit 4.0", befand Joachim Möller vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Dabei müsse es darum gehen, bei vorhandenen "Schnittstellen" und Normen etwa zur Datensicherheit oder zum Gesundheitsschutz "am besten im Rahmen von Sozialpartnerschaften innerhalb der Betriebe" nachzubessern, "ohne etwas abwürgen zu wollen".

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Junge Firmen, die sich auf neue Technologien und das Internet spezialisiert hätten, seien oft Treiber von Innovation und Beschäftigung, führte Möller aus. "Mehr Flexibilität" und eine "Startup-Kultur" könnten daher der deutschen Wirtschaft insgesamt nicht schaden. Es gelte aber auch, Fehlentwicklungen der schönen neuen Arbeitswelt wie "überhaupt nicht abgesicherter Scheinselbständigkeit" oder der permanenten Erreichbarkeit und damit einhergehender Freizeitverluste entgegenzuwirken: "Da tickt eine Zeitbombe."

Angesichts "weitreichender Überwachungsmöglichkeiten" digitaler Arbeit etwa über soziale Medien seien klare Regeln für den Beschäftigtendatenschutz nötig, betonte der Leiter des Forschungsarms der Bundesagentur für Arbeit. Angestellte bräuchten zudem eine stärkere Entscheidungskompetenz.

Möller schlug vor, einen "Weiterbildungspass" in Firmen einzuführen, damit deren Mitarbeiter immer auf dem aktuellen Stand der eingesetzten Technik seien. Zudem brachte er ein Qualitätssiegel für Online-Plattformen ins Spiel, die Jobs vermitteln. Es sollte signalisieren, "dass Sozialabgaben gezahlt und Mindestnormen eingehalten werden".

Durch Automatisierung könnten hierzulande rund 15 Prozent der bestehenden Arbeitsplätze wegfallen, schätzte der Wirtschaftswissenschaftler. Er blieb damit deutlich unter den Prophezeiungen seiner Oxford-Kollegen Carl Frey und Michael Osborne, die in den USA 47 Prozent der Beschäftigtenverhältnisse in Gefahr sehen. Klar sei, dass Roboter in Fabriken verstärkt mit Mitarbeitern in direkten Kontakt träten, erläuterte Möller. In der Produktion würden also weniger Leute gebraucht. Eine "technologische Arbeitslosigkeit" zeichne sich aber nicht ab.

Was der Wandel für Fachkräfte bedeutet, vermag der Forscher noch nicht genau zu sagen: "Die Industrie 4.0 geht vielleicht wieder zugunsten von Geringqualifizierten", wenn jeder mit dem Smartphone komplizierte Prozesse steuern könnte.

Der Kommunikationsdesigner Florian Alexander Schmidt schrieb Crowdsourcing im Arbeitsleben eine wachsende Bedeutung zu. Dahinter verbärgen sich teils gemeinnützige Projekte wie die Wikipedia oder Freie-Software-Projekte. Andere einschlägige Online-Plattformen für Cloud- oder Click-Worker lagerten aber Tätigkeiten an Freiberufler aus und seien teils "auf Ausbeutung angelegt". Manche böten quasi "unbezahlte Praktika mit einer Komponente von Glücksspielen" an, wenn Hunderte Projekte vorantrieben, am Ende aber nur einer den Zuschlag bekomme und bezahlt werde.

Schmidt plädierte dafür, einschlägigen Plattformen eine "Crowd-Steuer" aufzuerlegen. Es handle sich bei diesen schließlich nicht um neutrale Infrastrukturprovider, sondern Leiharbeitsfirmen. Zudem sei es wichtig, zunächst für "Transparenz" rund um die "Teilnahmebedingungen" wie einbehaltene Vermittlungsgebühren zu sorgen.

Als beste Garantie gegen schwarze Schafe in der Crowd und Sharing Economy bezeichnete es Sabine Pfeiffer von der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hohenheim, andernorts mehr "gute Arbeit" zu schaffen. So könnten Geschäftsmodelle, die auf einer "polarisierten Beschäftigungsstruktur" basierten, "schnell wieder Geschichte sein".

Bei Firmen, die durch ausgelagerte Arbeitsprozesse Produktionsanlagen und Sozialabgaben einsparten, müsse aber auch an Formen der finanziellen Kompensation gedacht werden, schloss sich die Forscherin Schmidt prinzipiell an: "Auch der Abfrager der Arbeit auf einer Plattform sollte sein Scherflein dazu beitragen." Zum Ausgleich kämen neben Steuern Modelle wie die Künstlersozialkasse in Frage.

Julie Linnert Epple von Robert Bosch machte sich dafür stark, dass Angestellte Arbeitsplatz und -ort selbst bestimmen können sollten. "Es geht uns dabei aber nicht darum, den 8-Stundentag auszuhöhlen", versicherte sie. Generell sei es machbar, "mit Betriebsräten optimale Lösungen" zu erarbeiten. Wichtig sei es dabei aber, dass die Arbeitnehmervertreter schneller zu Entscheidungen kommen könnten, der Prozess der Mitbestimmung also "schlanker" gestaltet werden müsse.

Mit der "Smart Factory", in der sich Systeme selbst steuerten und Maschinen miteinander kommunizierten, sieht Andreas Paschke vom Medizintechnikhersteller Röchling Engineering Plastics die Gefahr des "gläsernen Mitarbeiters" einhergehen. Angesichts der angestrebten "totalen Transparenz" bestehe die "berechtigte Angst, dass diese missbraucht wird". Derlei Sorgen wegen drohender ständiger Kontrolle müssten in Sozialpartnerschaft oder von der Politik beseitigt werden. (jk)