VW sucht Halt in Abgas-Skandal - US-Behörde stellt Ultimatum

Im Skandal um geschönte Diesel-Emissionen erhöhen die USA den Druck auf Volkswagen. Und auch in Deutschland bleibt die Lage für das Unternehmen kompliziert.

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VW Abgas-Skandal
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  • dpa
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VW ringt weiter mit den Konsequenzen des Abgas-Debakels. Während die Aufklärung in Deutschland erst langsam anläuft, muss der Konzern in den USA an mehreren Fronten zugleich kämpfen. Ein Ultimatum der kalifornischen Umweltbehörde CARB setzt den größten europäischen Autobauer zusätzlich unter Zeitdruck.

CARB-Chefin Mary Nichols sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland", VW habe bis zum 20. November Zeit, um einen Plan zur Nachrüstung der von Manipulationen betroffenen Diesel-Autos vorzustellen. Sie erwägt offenbar, notfalls Fahrzeuge der Wolfsburger aus dem Verkehr zu ziehen: "Wenn es keine technische Lösung gibt, drohen die Stilllegung und zivilrechtliche Auseinandersetzungen mit Kunden." Nichols kündigte auch Testergebnisse zu Dieselmodellen anderer Hersteller an.

Der Abgas-Skandal bei VW

Volkswagen hatte vor wenigen Tagen um Geduld gebeten und angekündigt, den Rückruf der rund 480.000 fraglichen US-Wagen im Januar starten zu wollen. Weltweit geht es um etwa elf Millionen Autos. Der neue VW-Vorstandschef Matthias Müller rechnet damit, dass die Rückrufaktion bis Ende des kommenden Jahres dauern könnte.

Unterdessen gibt es Spekulationen darüber, ob die bisher eingeräumten Manipulationen von Stickoxid-Werten mit einer bestimmten Software ("Defeat Device") nur auf dieses Programm begrenzt waren. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg nahmen US-Behörden auch eine zweite Software ins Visier, die den Ausstoß beeinflussen kann.

Aus Konzernkreisen hieß es dazu, bei den Untersuchungen der Manipulationsvorwürfe gehe es ausdrücklich nach wie vor nur um ein Programm. Eine weitere Software spiele aber in einem anderen Zusammenhang eine Rolle. Dieses komme während des Warmlaufens der Abgasanlage zum Einsatz und liege zur Genehmigung vor.

"Wie bereits in der Anhörung vor dem US-Kongress erklärt, hat VW im Rahmen des Zulassungsverfahrens für die Modelle mit 2,0 TDI-Motoren des Modelljahres 2016 über ein 'Auxiliary Emissions Control Device' (AECD) informiert", erläuterte ein Sprecher. VW-US-Chef Michael Horn hatte am Donnerstag im Parlament in Washington ausgesagt. Dabei erklärte er den Angeordneten unter anderem, dass VW den Antrag auf Zulassung von AECD-Dieselautos des Modelljahres 2016 zurückgezogen habe, weil die Umweltbehörden das Hilfsgerät zunächst prüfen müssten.

Die "Defeat Device" genannte Software, die den Skandal ausgelöst hatte, stellt fest, ob sich ein Auto in einem Abgastest befindet. Nur dann ist die Reinigung voll aktiv, im Normalbetrieb ist die Luftverschmutzung dagegen um ein Vielfaches höher.

Nach Angaben Müllers sind weltweit etwa 5 Millionen Autos der Kernmarke VW-Pkw, 2,1 Millionen Audis, 1,2 Millionen Skodas, 700.000 Seats sowie 1,8 Millionen leichte Nutzfahrzeuge betroffen. Die Nutzfahrzeugsparte teilte am Sonntag mit, dass die aktuellen Modelle Amarok, Crafter und Transporter nicht die fragliche Software enthalten, aber die 1,6- und 2,0-Liter-TDI-Motoren des Caddy und der Amarok bis zum Jahr 2012.

Zur Bewältigung der finanziellen Lasten aus der bevorstehenden Nachrüstung von Millionen Autos hat Volkswagen bereits Rücklagen von 6,5 Milliarden Euro gebildet. Auch wichtige Investitionen werden nun neu bewertet, Konzernchef Müller will einen strikten Sparkurs fahren.

Dabei muss laut Betriebsratschef Bernd Osterloh eine faire Balance zwischen Belegschaft und Management gewahrt bleiben – darüber sei er sich mit Müller einig. "Wir erwarten, dass der Vorstand jeden Einschnitt, den er bei der Belegschaft vornimmt, in gleicher Relation sich selbst abverlangt", sagte Osterloh der Bild am Sonntag. Diese allgemeine Linie habe allerdings nichts mit Forderungen etwa nach der Abschaffung kostenloser Heimflüge von Managern zu tun.

Zusätzlich zu den Belastungen durch die Abgas-Affäre macht VW eine stockende Fertigung am Stammsitz Wolfsburg zu schaffen. "Die Produktion ist zu komplex, die Vielfalt der Fahrzeugvarianten zu hoch", zitierte die Welt am Sonntag einen Insider aus dem Konzern. Nach Informationen des Blattes soll von den Verzögerungen vor allem der Familien-Van Touran betroffen sein.

Ein VW-Sprecher sprach dagegen von einer aktuell sehr komplexen Situation in der Fertigung. "Der Hochlauf eines Modells ist immer eine Herausforderung", erklärte er. Man sei aber zuversichtlich, dass Volkswagen die selbst gesetzten Ziele und Termine einhalten werde.

Die große Zahl an angebotenen Modellen und die komplizierten Strukturen bei VW gelten – unabhängig von der Diesel-Affäre – als eine der größten Baustellen des Autoherstellers mit weltweit rund 600 000 Beschäftigten. Müller will Entscheidungsprozesse vereinfachen.

Die wegen der Manipulationen ermittelnde Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte am Donnerstag Geschäfts- und Privaträume durchsuchen lassen. Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufseher Stephan Weil betonte in einem Interview der dpa, VW müsse bei der Aufarbeitung in die Offensive gehen: "Mit Fehlern muss man klug und besonnen umgehen, darf sie nicht verschweigen, sondern muss die Ursachen angehen und die Folgen beseitigen."

Gewerbliche Großkunden wie die Deutsche Post sorgen sich ebenfalls um die Entwicklung. Weil Teile der eigenen Flotte vom Diesel-Skandal betroffen sein könnten, forderte Post-Chef Frank Appel eine "volle Transparenz" von dem Autokonzern. Von den rund 90.000 firmeneigenen Fahrzeugen kämen etwa 20.000 von VW, fast alle seien Dieselmodelle, sagte Appel der Süddeutschen Zeitung.

In Anbetracht der Probleme bei VW gibt es in der SPD Überlegungen, die Kurzarbeiter-Regel auf Leiharbeiter auszudehnen. Auf solche Pläne war Parteichef Sigmar Gabriel bereits am Donnerstag nach einem Treffen mit dem Weltkonzernbetriebsrat in Wolfsburg eingegangen.

Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtete, soll der designierte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann in den Aufsichtsrat von VW einziehen. Er soll dort die Nachfolge von Berthold Huber antreten, der das Kontrollgremium nach dem Abtritt des früheren VW-Patriarchen Ferdinand Piëch im Frühjahr übergangsweise geleitet hatte. Hofmann war bisher Aufseher beim VW-Konkurrenten Daimler. (jk)