Wildwuchs der Nachhaltigkeitsberichte – mangels Vorgaben

Echte Rechenschaft oder doch nur ein Feigenblatt? Die meisten großen Firmen veröffentlichen inzwischen Nachhaltigkeitsberichte. Bislang fehlen einheitliche Regeln. Das könnte sich ändern.

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Wildwuchs der Nachhaltigkeitsberichte – mangels Vorgaben

(Bild: SAP)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Marco Engemann
  • Annika Grah
  • dpa
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Treibhausgase, Wasserschutz, Luftreinhaltung oder ethische Verantwortung – die Nachhaltigkeitsberichte mancher Konzerne lesen sich teilweise wie Dokumente von Umweltorganisationen. Doch feste Vorgaben fehlen: Bislang sind die Firmen völlig frei, wenn sie über die Folgen ihres wirtschaftlichen Handelns Rechenschaft ablegen. Das sorgt für Kritik: "Die Aussagekraft lässt häufig zu wünschen übrig", sagt Oliver Emons, Wirtschaftsreferent der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Die fehlenden Regeln machen es bislang vor allem schwer, die Berichte zu vergleichen. Im Gegensatz zu den Finanzberichten, die nach den Vorgaben des Handelsgesetzbuchs oder den internationalen Berichtspflichten verfasst werden, gibt es für Nachhaltigkeitsberichte unzählige Initiativen und Richtlinien, auf die sich Unternehmen stützen können. Die Vereinten Nationen geben mit ihrer Global-Compact-Plattform Rahmenbedingungen vor, genau wie die Global Reporting Initiative (GRI) oder das Carbon Disclosure Project. Doch die sind freiwillig.

Wer sich beispielsweise der Global Reporting Initiative anschließen will, muss für sein Unternehmen relevante soziale Auswirkungen und Folgen für die Umwelt berücksichtigen, erklärt GRI-Direktorin Ásthildur Hjaltadóttir. Die Initiative hat vor einigen Jahren ihre Kriterien vereinfacht. "Dadurch sehen wir Nachhaltigkeitsberichte, die fokussierter sind", sagt Hjaltadóttir. Nun arbeitet die Initiative daran, mehr kleine und mittelgroße Firmen dazu zu bringen, Nachhaltigkeitsberichte zu veröffentlichen.

Ein einheitliches Schema für alle deutschen Konzerne ergibt sich daraus nicht. BASF beispielsweise setzt die Prinzipien von Global Compact um. Der Chemiekonzern hat sich Umweltziele gesetzt, zu denen zum Beispiel nachhaltiges Wassermanagement oder Reduktion der Treibhausgase gehören. Die Darstellung verheimlicht keine Rückschläge. 2014 beispielsweise waren die Treibhausemissionen wieder angestiegen.

Daimler legt Global Compact und die Richtlinien der Global Reporting Initiative (GRI) an. Welche Punkte tatsächlich "wesentlich" sind, ermittelt der Autokonzern über eine weltweite offene Befragung. Darüber hinaus berät ein unabhängiges Gremium den Autokonzern unter anderem in Fragen der Nachhaltigkeit, in dem unter anderem der Klimaexperte Ernst Ulrich von Weizsäcker sitzt.

SAP hält sich wiederum einzig an die Vorgaben der Global Reporting Initiative. Das Software-Unternehmen veröffentlicht einen "Integrierten Bericht", der die Finanzkennzahlen in Beziehung zu den Nachhaltigkeitskriterien setzen soll. So sollen aus den oft belächelten "Soft Facts" harte Fakten werden.

SAP bildet unter anderem die Mitarbeiterzufriedenheit in Indizes ab und zieht entsprechende Schlüsse, denn die Belegschaft – bestehend aus Softwareentwicklern und Beratern – ist das wichtigste Kapital der Walldorfer. Der Index für betriebliche Gesundheitskultur zum Beispiel – in etwa ein Wohlfühl-Index für die Förderung der Gesundheit und die Balance zwischen Arbeit und Freizeit – stieg 2015 um 3 Prozentpunkte auf 75 Prozent. Jeder zusätzliche Prozentpunkt trage 75 Millionen bis 85 Millionen Euro zum Betriebsergebnis bei, rechnet SAP vor.

"Die reinen Geldbeträge pro Prozentpunkt in den Indizes aus unserer Mitarbeiterbefragung sind vor allem ein Indikator", sagt Peter Rasper, als kaufmännischer Leiter verantwortlich für Nachhaltigkeit. "Wir wissen aber, dass ein signifikanter Zusammenhang mit den tatsächlichen Kosten besteht."

Ein einheitlicheres Bild in den Berichten dürfte es erst 2017 geben. Die EU hatte 2014 eine Richtlinie erlassen, nach der nicht-finanzielle Informationen von großen Unternehmen und Organisationen veröffentlicht werden müssen. Bis Ende des Jahres müssen die Mitgliedstaaten die Vorschriften umsetzen. Das Bundesjustizministerium hat im März einen ersten Gesetzentwurf veröffentlicht. Darin ist vorgesehen, dass neben Umweltbelangen auch über Arbeitnehmerfragen, soziale Themen, die Achtung der Menschenrechte oder die Bekämpfung von Korruption Rechenschaft abgelegt wird.

Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände stemmt sich bereits gegen zu enge Regeln. "Eine erleichternde Öffnungsklausel ist richtig, um Unternehmen die notwendige Flexibilität bei der Berichterstattung über soziale Verantwortung einzuräumen", erklärte ein Sprecher. Der Referentenentwurf gehe weit über die EU-Richtlinie hinaus, was zu erheblichen Zusatzbelastungen führen würde.

Das Problem, meint Emons von der Böckler-Stiftung: "Viele Unternehmen fallen aus der Richtlinie heraus." Nur Firmen mit einer gewissen Größe und Bedeutung für die Öffentlichkeit müssen sich daran halten. Ob die EU-Richtlinie also Wirkung zeigen wird, hänge deshalb extrem davon ab, wie das Gesetz umgesetzt werde. (anw)