Abgas-Skandal: VW-Betriebsrat schaltet auf Angriff

Seit Monaten muss der VW-Betriebsrat auf Hiobsbotschaften reagieren. Tausende Jobs sollen wegfallen, hunderten Leiharbeitern fehlt schon die Perspektive, über die Zukunft ganzer Fabriken wird gemunkelt. Nun dreht die Arbeitnehmerseite den Spieß um.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 93 Kommentare lesen
Abgas-Skandal: VW-Betriebsrat schaltet auf Angriff

(Bild: dpa)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Heiko Lossie
  • Andreas Hoenig
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Die Gala des Werksclubs VfL Wolfsburg gegen Real Madrid sah VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh live im Stadion – für ihn sicher eine willkommene Abwechslung. Denn ansonsten stehen bei Volkswagen mitten in der Abgas-Krise knallharte Konflikte bevor. Es geht um die Zukunft von Jobs und Werken. Die Arbeitnehmerseite verschärft im Klein-Klein mit dem Management jetzt die Gangart.

Ein vom Vorstand der VW-Kernmarke mitgetragener Zukunftspakt soll "für die nächsten Jahre" fixe Zusagen für Produkte, Stückzahlen und Investitionen festschreiben. "Wir wollen ein Ende der Spekulationen über die Zukunft von Menschen und Standorten", heißt es in einem am Donnerstag an die Belegschaft von VW-Pkw versandten Brief. Das liest sich auch als eine klare Kampfansage an die Führung der Hauptmarke.

Das Schreiben, das der dpa vorliegt, markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Machtprobe zwischen Betriebsrat und Management im Konzern. Der Skandal um manipulierte Dieselfahrzeuge hat VW in eine tiefe Krise gestürzt. Es drohen Milliardenkosten, der Sparkurs wurde verschärft. Vor allem geht es dem Management darum, die Renditeprobleme der Kernmarke VW in den Griff zu bekommen.

Osterlohs Leute klagen, sie müssten ihren verunsicherten Leuten erklären, was VW-Markenchef Herbert Diess wohl für Einschnitte plane. Weit mehr als 1000 Leiharbeitern fehle schon heute die Perspektive. Das Aus für das Flaggschiff VW Phaeton hat die Gläserne Manufaktur in Dresden zumindest vorerst in eine Fabrik ohne Produktion verwandelt.

Seit kurzem ist bekannt, dass Diess über 3000 Jobs in der Verwaltung für überflüssig hält. Die sollen weg – es ist jede zehnte Stelle des Bereichs. Die Produktivität soll generell um zehn Prozent steigen.

Inzwischen wird hinter vorgehaltener Hand längst über die Zukunft ganzer Standorte gemunkelt, wie etwa das Motorenwerk Salzgitter. Die Diesel-Krise kommt dabei zur Unzeit. Fast die Hälfte der 600.000 Stellen im Konzern entfällt aufs Hochlohn-Land Deutschland.

Die VW-Kernmarke müsse sich ordentlich strecken, sagte Diess kürzlich in einem Interview. "Nur so können wir uns die Zukunft leisten. Und ich bin sicher: Wir werden keine zweite Chance bekommen."

Auf Osterlohs Aufruf zur Vertragsverhandlung reagierte am Donnerstag nicht Diess, sondern Personalvorstand Karlheinz Blessing, zu dem Osterloh nach eigenen Worten noch Vertrauen hat. Blessing begrüßte das "Verhandlungsangebot". Es sei auch ganz im Sinne des Vorstands.

Die Abgas-Krise hat den Konzern aus Rekorden gerissen, bei denen rasante Absatzerfolge in China sowie die Perlen Audi und Porsche lange die Probleme der Kernmarke übertünchten. VW-Pkw machte zuletzt von 100 umgesetzten Euro nur 2 bis 3 Euro Gewinn, wovon Zinsen und Steuern noch abgingen. Die VW-Schwestermarke Skoda dagegen – mit Basis in Osteuropa – wies fast schon eine Ertragskraft auf, wie sie sonst eher Oberklassemarken wie Audi, Mercedes-Benz und BMW haben.

Zwar gehört es auch zur Wahrheit, dass in der Rendite von VW-Pkw aus buchhalterischen Gründen das starke China-Geschäft fast ganz fehlt. Auch tritt die Hausmarke stärker als die Töchter in Vorleistung bei der Forschung. Fakt aber bleibt: Die Gewinnsorgen bestreitet niemand.

Der Betriebsrat selbst hatte schon 2014 hunderte Verbesserungsideen vorgelegt. Doch er wähnt nun Böses in der Abgas-Krise. "So haben wir den Eindruck, dass der Diesel-Skandal hinterrücks dazu genutzt werden soll, personelle Einschnitte vorzunehmen, die bis vor wenigen Monaten kein Thema waren", heißt es in dem Brief. Die Gunst der Stunde also?

Hinter den Kulissen steckt hinter dem Vorstoß noch viel mehr. Das alte, jahrelange Triumvirat aus Osterloh, Konzernboss Martin Winterkorn und dessen Förderer – VW-Patriarch Ferdinand Piëch – ist Geschichte. Wolfsburg hat eine neue Machtarchitektur – vor allem zwischen Osterloh und Diess aber gibt es Misstöne.

Früher lenkte der Vorstandschef Kernmarke und Gesamtkonzern in Personalunion. Osterloh verwies gern auf sein belastbares Verhältnis zu "Dr. Winterkorn", der Draht zwischen beiden war eng. Holt ihn die Nähe nun ein? Osterloh war lange Teil des Dreiergespanns, nun muss auch er seine Rolle neu ausloten – alles im Druck der Abgas-Krise.

Die Stimmung in Wolfsburg ist hochnervös. Bereits vor Wochen warnte Osterloh das Management in einer Betriebsversammlung, "heilige Kühe" schlachten zu wollen. Das erinnert stark an die Auseinandersetzung vor zehn Jahren: VW steckte in den roten Zahlen, der damalige Markenchef und heutige Daimler-Vorstand Wolfgang Bernhard drohte mit Stellenstreichungen und Produktionsverlagerungen – und zog sich den geballten Zorn der Arbeitnehmervertreter zu. Nach mühsamen Verhandlungen stand 2006 ein Sanierungstarifvertrag mit dem Ende der Vier-Tage-Woche, Bernhard aber trat wenig später zurück.

In Emden, wo schon 250 Leiharbeiter gehen müssen, empfing diese Woche ein Plakat den Bernhard-Nachfolger Diess bei dessen Werksbesuch. "Wir haben DIESS nicht verdient", stand darauf.

Chronologie des Abgas-Skandals (78 Bilder)

Mitte September 2015:  Die US-Umweltschutzbehörde EPA beschuldigt den Volkswagen-Konzern, Diesel-PKWs der Baujahre 2009 bis 2015 mit einer Software ausgestattet zu haben, die die Prüfungen auf US-amerikanische Umweltbestimmungen austrickst. Zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen ist auch das California Air Resources Board (CARB) gekommen. Beide Behörden schicken Beschwerden an VW. (Im Bild: Zentrale der EPA in Washington D.C.)
(Bild: EPA
)

(anw)