Reifenpräsentationen, so lecker, so sinnlos ...

Schnittchen fressen und rumfahren

Die auf der Metaebene interessantesten Texte sind die über einen neuen Reifen, präsentiert auf einer unbekannten Strecke auf unbekanntem Setup. Da muss die Phantasie ran: Lag diese Empfindung am Reifen? Hoffentlich ...

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Wer Texter einmal richtig rudern sehen will, kann nichts Besseres tun als einen Reifentest zu lesen. Da stehen Dinge drin, von denen ich sagen würde: "Das ist diese 'feinstoffliche' Welt, von der Esoterikspinner immer sprechen." Zarte Gespinste aus kaum erklärbaren Gefühlen kondensieren da in unsicheren Texten: Habe ich das wirklich erlebt? Wahrscheinlich schon. Aber was war der Grund, dass ich es so empfand? Hoffen wir, dass es irgendwie auch am Reifen lag.

Wenn Einer an eine Rennstrecke kommt, die er oft nicht kennt, auf einem Reifen, den er immer nicht kennt, mit einem Setup, das ein spanischer Händler vorgenommen hat, dann gibt es einfach insgesamt sehr viele Faktoren, die gleichzeitig ins Sensorium spielen. Dazu kommt das Wetter und meistens der fehlende Vergleich. Ist das wirklich besser als der Vorgängerreifen? Muss ja. Oder? Naja, ist doch wurscht, der Vorgänger hat schon gepasst. Wenn man nach dem Grundsetup ein Fahrwerk einstellt, soll man stets nur eine Stellgröße verändern, denn sonst weiß man am Ende nicht, wie man in das Chaos dieses völlig verstellten Bereichs hineinkam und wie es wieder hinausgehen könnte. Und genau in diesem Chaos finden Reifentests statt.

Ich bin mir sehr sicher, dass man den Teilnehmern beliebige andere Reifen ungefähr desselben Grip-Niveaus montieren könnte und keiner etwas merken würde, solange er Schrift und Profil nicht sieht. Die Eitelkeit diktiert, dass wir uns einbilden, sowas zu können, aber es ist halt Einbildung. Ich bilde mir vielleicht gelegentlich ein, einen Pilot Power vom anderen blind unterscheiden zu können, aber wie meine Einbildung, dass der Hund mich mag statt nur sein Fressen, haben solche Ideen halt in der kalten Realität keine längere Lebenserwartung.

Horoskope schreiben

Was also tun? Der mit so einer Aufgabe betraute Motorschreiber reagiert, indem er zu den Techniken greift, mit denen auch Horoskopschreiber ihren Tag bestreiten: plausible deniability, größtmögliche Vieldeutigkeit, gewürzt mit Textrosinen, die Fakten täuschend ähnlich sehen, ohne welche zu sein. Dieser Brei wird um die unbestreitbaren Fakten gezimmert, die in der Broschüre stehen. "Durch den Silica-Anteil von 70 Prozent baut der Reifen auch bei Nässe viel Grip auf." Das war einfach. Wie der Horoskopschreiber arbeitet auch der schlaue Reifenwahrsager mit Textbausteinen, die sich immer wiederholen. "Vertrauen" baut der Reifen neben Grip auf, gern "vom ersten Meter an". Er "drängt auf die weite Linie", wo auch immer die verläuft. Das "schwarze Gold" muss rein, genauso wie die "Lebensversicherung", auf ihren Kontaktflächen, klein wie ein Blafasellaber.