Fahrbericht Honda CRF 1000 Africa Twin

Transafricalp

Um Hondas neue CRF 1000 Africa Twin hat sich ein enormer Hype entwickelt - sie ist bis Oktober ausverkauft. Den konnten wir am Objekt nicht nachvollziehen, das ist eine segmenttypische Reiseenduro. Aber Honda macht viel richtig

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clemens Gleich
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Stuttgart, 19. Mai 2016 – Reiseenduros sind Scheiseenduros, denn sie sind sackschwer. Das war immer meine Ansicht, bis ich jetzt endlich einmal die Honda CRF 1000 L Africa Twin fuhr. So in etwa laufen viele dieser Geschichten, bei denen ein Weltbild korrigiert wird. Diese hier nicht. Hondas Wiederauferstehungsprojekt des großen Namens "Africa Twin" zog einen dermaßen überzogenen Hype hinter sich her, dass wir nicht weniger als die Neudefinition eines Genres erwarteten. Den schafft dieses Motorrad nicht. Die Africa Twin ist das geworden, was sich die Reiseendurokundschaft gewünscht hat, und das reicht völlig aus. Hier also ein nüchterner Test von jemandem, der im Material keine Ursache für den Hype finden konnte. Wir müssen vorerst davon ausgehen, dass er im Namen begründet liegt, im gut gewordenen Fahrzeug, im gelungenen Marketing und vielleicht der Gestaltung, die mir als deutlich weniger hässlich auffällt als segmentüblich.

Erinnerung an eine gute alte Bekannte

Meine Erstbesteigung der Africa Twin, folgend als "AT" abgekürzt, erinnerte mich innerhalb von Millisekunden an eine gute alte Bekannte: die alte Transe, Hondas Transalp. Man sitzt also ein bisschen wie auf einem gut gepolsterten Klo, mit den Füßen weit vorne auf einem bemerkenswert niedrigen Sitz. Man kann den Sitz höher einhängen und es gibt eine höhere Sitzbank, was ein 197 cm großer Kollege bei seinem Dauertester sofort tat, um seine langen Gräten unterzubringen. Für Kleinere gibt es auch eine tiefere Sitzbank, Honda bietet gestaffelt Sitzhöhen von 800 bis 900 mm an. Die Transe war ein braves Krädchen, das als Modell weit oben in der Hitliste der Weltumrundungen steht, weil sie zuverlässig, einfach zu fahren, robust und einigermaßen verbreitet ist. Nur war sie eben auch ein recht fettes Hängebauchschwein, und an dieser Stelle hat Honda bei der AT zuerst angesetzt: mehr Bodenfreiheit.

Wunschlisten der Republik

Leider ging das nicht mit "weniger Gewicht" einher, sondern die Masse wurde einfach weiter nach oben geschoben. Die AT wiegt mit ABS 232 kg vollgetankt, mit dem äußerst empfehlenswerten Doppelkupplungsgetriebe DCT werden es 242 kg. Es ist also massentechnisch die Liga der BMW R 1200 GS, nur mit weniger Hubraum. Selbstverständlich kann man damit im Gelände fahren, selbstverständlich macht das auch Spaß. Bis du das Geraffel hinschmeißt, in echtem Gelände ein Ereignis der Wahrscheinlichkeit 1. Die meisten werden also nur das tun, was jedes Straßenmotorrad in den Alpen erlebt: Straßen und Schotterpisten fahren. Lassen wir die Diskussion sein, ob man das braucht oder nicht, die hatten wir zur Genüge, sie führt nirgendwohin. Leute wollen das kaufen, bumms, fertig. Die Africa Twin versammelt die Stärken der Transalp, boostet sie mit einem stärkeren Motor, offroadiger Geometrie und moderner Elektronik, verpackt das in schickes Rallye-Geschenkpapier, das trifft direkt die Wunschlisten der Republik.

Auf der Straße fällt auf, dass Honda eine gerölltaugliche Geometrie sehr wichtig war. Diese interessante Abkehr von den Konzepten früherer Gravitationslinsen wie Varadero oder Crosstourer mit ihren eher straßigen Auslegungen erkauft sich ihre Vorteile auf Geröllpisten mit Nachteilen auf der Straße. Das große, schwere Vorderrad fährt weit vorneher, lenkt weit aus, das Motorrad fährt von sich aus gern weite Linien. Die Handlichkeit bringt Honda wie BMW mit der Luft-/Öl-gekühlten 1200 GS damals mit einer breiten Brechstange als Lenker rein. Das funktionierte für mich bis auf die inaktive Sitzposition ganz gut.