Motoren: Mit Vollgas in die Sackgasse

Das Ende des Diesels naht! Denn die Grenzwerte für Schadstoffe halten alle Hersteller nur mit Tricksereien ein.

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  • Karsten Schäfer

Ganz vorsichtig tritt der Fahrer auf das Gaspedal. Entsprechend behäbig nimmt das Auto Fahrt auf. Dabei achtet der Abgasprüfer der Fachhochschule Bern penibel darauf, dass er die vorgegebene Geschwindigkeit genau einhält. Ein Monitor zeigt ihm das Geschwindigkeit-Zeit-Diagramm. Philippe Wili muss es exakt nachfahren. Ein kleines Kreuz zeigt ihm, wo er sich gerade befindet.

Wili ist im Auftrag des ZDF-Magazins "frontal21" und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) unterwegs. Er fährt mit drei unterschiedlichen Dieselautos deutscher Hersteller den "Neuen Europäischen Fahrzyklus" (NEFZ) nach und misst dabei die Abgasemissionen der Autos – nicht im Labor, sondern auf einem stillgelegten Flugplatz fernab vom öffentlichen Straßenverkehr. Denn vor allem die geradezu schneckenartige Beschleunigung im NEFZ wäre auf jeder befahrenen Straße ein enormes Verkehrshindernis.

Schon der Versuch zeigt, wie fernab der Realität die heutigen Prüfverfahren sind, die normalerweise nur auf dem Rollenprüfstand gefahren werden. Das aber ist längst nicht das einzige Schlupfloch, das Autohersteller nutzen, um die Abgasgrenzwerte einzuhalten. Was VW beim Diesel nur mit Betrug gelang, schaffen die Konkurrenten ganz legal.

Das Ergebnis ist jedoch das gleiche: Jenseits dieses Schleichens im Fahrzyklus, etwa bei starker Beschleunigung oder über 120 Stundenkilometer, schalten sie die Abgasreinigung einfach aus. Mit den sauberen Abgasen ist es vorbei. "Wenn Sie einen Euro-6-Diesel kaufen und auf der Autobahn 130 fahren, dann ist es seitens des Gesetzgebers zulässig, dass er in vollem Maß Stickoxide emittiert", erklärt Karl Huber, Professor für Thermodynamik und Verbrennungsmotoren an der Technischen Hochschule Ingolstadt. In der Stadt sieht es nicht viel besser aus. Denn auch dort wird meistens mit höherer Drehzahl und Leistung gefahren als im NEFZ.

Eigentlich soll die Abgasnachbehandlung, etwa durch einen SCR-Katalysator (Selective Catalytic Reduction), die Stickoxide unschädlich machen. Dabei wird üblicherweise eine wässrige Harnstofflösung in das Abgas eingespritzt, aus den Stickoxiden entsteht Wasserdampf und Stickstoff. Die Einspritzung aber ist meist nur innerhalb des NEFZ-Bereichs aktiv. Außerhalb davon schaltet das Motormanagement die Zufuhr ab oder reduziert sie auf ein Minimum. Je größer der Motor, desto kleiner ist der Betriebsbereich, für den überhaupt Emissionsgrenzwerte gelten. "Das ist legal. Das macht vermutlich jeder Hersteller so", betont Huber. Denn sonst läge der Harnstoffverbrauch so hoch, dass Dieselfahrer die Chemikalie alle paar Tankfüllungen nachschütten müssten. "Das wollen die Automobilhersteller ihren Kunden nicht zumuten."

Die Folge: Der Stickoxidausstoß von Dieselautos im Straßenverkehr kann locker das Zehnfache des Grenzwertes betragen. Deshalb dürfte auch die Stickoxidbelastung in deutschen Städten trotz immer niedrigerer Grenzwerte nicht zurückgehen. Hinzu kommt, dass gerade beim Dieselmotor die Katalysatoren im Stadtverkehr nur unzureichend oder überhaupt nicht arbeiten, weil sie ihre Betriebstemperatur nicht erreichen.

Das betrifft vor allem den SCR-Katalysator. Dieses Manko tritt sogar auf dem Rollenprüfstand im Labor auf. Ein vom ADAC im Auftrag der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg geprüfter VW CC 2.0 BlueTDI DSG stieß im städtischen Teil des NEFZ ganze 160 Milligramm Stickoxide pro Kilometer aus – doppelt so viel wie erlaubt. Im außerstädtischen Teil, bei dem die Katalysatoren ohne Probleme auf Betriebstemperatur kommen, waren es nur 20 Milligramm. Dennoch bestand der VW den Abgastest. Die niedrigen Werte außerorts dürfen mit den hohen innerorts verrechnet werden.

2017 soll mit den "Worldwide harmonized Light Vehicle Test Procedures" (WLTP) zwar ein neuer Fahrzyklus eingeführt werden. Aber auch wenn er zur Schadstoffmessung herangezogen wird – derzeit ist nur die Verbrauchsmessung abgesegnet – , wird das nichts ändern. Der WLTP ist zwar etwas dynamischer, deckt aber wie der NEFZ nicht den gesamten Fahrbereich ab. Bleibt zu hoffen, dass für die "Real Driving Emissions" (RDE), also die Emissionsmessung im Straßenverkehr, realitätsnähere Regeln gelten. Auf deren Einführung hat sich die EU ebenfalls für 2017 geeinigt, die genaue Durchführung ist aber noch völlig offen.

Die Hersteller werden ziemlich sicher verhindern wollen, dass sich die Spielregeln ändern – und die Politik wird ihnen zuhören. Denn einen Vorteil hat der Diesel nach wie vor: Er stößt weniger Kohlendioxid aus als ein Benzinmotor. Die Hersteller sehen in ihm daher die derzeit einzige Möglichkeit, um die künftigen CO2-Grenzwerte zu erfüllen. Bis 2021 sollen sie auf 95 Gramm pro Kilometer sinken.

Nun könnte man meinen, die Zukunft gehöre vielleicht eher dem Ottomotor. Mit der Einführung des geregelten Drei-Wege-Katalysators ist der Benziner in den letzten Jahren schließlich deutlich sauberer geworden. Doch die Entwickler stecken im gleichen Dilemma wie beim Diesel: Je effizienter der Ottomotor ist, desto mehr Schadstoffe stößt er aus. Die Direkteinspritzung etwa macht den Benziner sparsamer, aber auch dem Diesel ähnlicher. Denn dadurch entstehen auch dort die gesundheitsgefährdenden Rußpartikel. Um das Problem zu bewältigen, setzen Audi und Lexus auf die sogenannte "Doppeleinspritzung": Sie verpassen ihren Motoren eine zusätzliche Einspritzdüse im Saugrohr. Die Strategie erinnert sehr an den Trick beim Diesel. Der Motor kann im NEFZ mit der sauberen Saugrohreinspritzung betrieben werden – allerdings zum Preis eines leicht steigenden Verbrauchs.

Außerhalb des NEFZ wird wieder auf die effizientere Direkteinspritzung umgestellt, der Benziner wird zur Rußschleuder. Hinzu kommt die vorsintflutliche "Vollgasanfettung", bei der im obersten Leistungsbereich Benzin zur Kühlung in den Brennraum des Motors gespritzt wird. Dann fliegen Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffe in riesigen Mengen zum Auspuff raus.

Dabei ließe sich durchaus beides vereinbaren: geringer Kohlendioxidausstoß und wenig Luftschadstoffe. Bei Benzindirekteinspritzern etwa würde ein Rußpartikelfilter reichen. Doch wie schon vor zehn Jahren beim Dieselmotor wehren sich die Hersteller auch jetzt wieder gegen die Einbaupflicht – obwohl die Kosten dafür bei lächerlichen 50 Euro lägen. Allerdings würden damit auch wieder der Verbrauch und als Folge der CO2-Ausstoß minimal steigen.

Beim Diesel wäre die Abgasreinigung zwar aufwendiger – aber ebenfalls möglich. Bei Nutzfahrzeugen zeigen die Firmen schließlich, wie es geht: Lkws werden im gesamten Motorbetriebsbereich geprüft. "Ein 40-Tonner hat Stickoxidemissionen von 90 Milligramm pro Kilometer. Die PKW auf der Straße emittieren zwischen 500 und 600 Milligramm", sagt Axel Friedrich, Verkehrsberater und ehemaliger Leiter der Abteilung Verkehr und Lärm im Umweltbundesamt. Karl Huber von der TH Ingolstadt fügt an: "So was könnte man auch für Pkw-Motoren einführen."

Allerdings hat die Sache einen Haken: Lkws verbrauchen für die nahezu vollständige Beseitigung der Stickoxide 50 bis 70 Milliliter Harnstoff pro Liter Diesel. Bei jedem zweiten bis dritten Mal Tanken müssen die Fahrer also die Chemikalie mit dem Handelsnamen Adblue nachfüllen.

Damit sieht es für Diesel-Pkws düster aus. Aber auch der Ottomotor wird die künftigen CO2-Grenzwerte allein nicht schaffen. Der maximal mögliche effektive Wirkungsgrad liegt beim Ottomotor bei 38 Prozent, beim Diesel bei knapp über 40 Prozent – und ist nahezu erreicht. "Deshalb sind in absehbarer Zeit keine großen Sprünge zu erwarten", sagt Motorenexperte Huber. Für ihn liegt die Zukunft, zumindest in den nächsten 20 Jahren, in Hybridantrieben aus Elektro- und Ottomotor.

Markus Lienkamp, Professor für Fahrzeugtechnik an der TU München, sieht es radikaler: "Verbrenner werden prinzipiell teurer, und Elektroautos werden prinzipiell günstiger, weil die Batteriepreise ganz massiv auf breiter Front sinken." Den Durchbruch für Elektroautos sieht Lienkamp zwischen 2020 und 2025 kommen.

Übrigens: Bei den Messungen von ZDF und DUH lag der VW fast um das Vierfache über den Grenzwerten, und auch der BMW und der Mercedes bliesen dreimal mehr giftige Stickoxide in die Luft als erlaubt. (bsc)