USA: Auftakt zum Ende der Netzneutralität

Der neue Vorsitzende der Regulierungsbehörde FCC möchte der Netzneutralität die rechtliche Grundlage entziehen. Er baut auf freiwillige Selbstbeschränkungen der Telecom-Konzerne.

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Person hält US-Wimpel hoch
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Netzneutralität

Netzneutralität bedeutet, dass Inhalte im Internet gleichberechtigt ihren Weg finden. Vor allem Provider und Carrier wollen aber beispielsweise für Videos extra zu bezahlende Überholspuren einbauen. Für User entstünde ohne Netzneutralität ein Zweiklassen-Internet.

Mit einer Brandrede gegen die verpflichtende Netzneutralität hat Ajit Pai, Vorsitzender der US-Telecom-Regulierungsbehörde FCC, am Mittwoch den Auftakt zur Abschaffung der Netzneutralität in den USA gesetzt. Details sollen Donnerstagnachmittag (Ortszeit) veröffentlicht werden. Pai sieht einen Rückgang der Netzinvestitionen und gibt der Netzneutralität die Schuld daran. Das Verfahren zu deren Abschaffung soll bei einer Sitzung am 18. Mai formell eröffnet werden.

Im Rahmen dieses Verfahrens wird jedermann Stellungnahmen einreichen können. Pai wird dabei auch um Vorschläge bitten, wie die Drei Gebote der Netzneutralität ohne rechtlichen Zwang verwirklicht werden könnten.

Juristischer Widerstand von Verbraucherschützern und Teilen der IT-Branche ist vorprogrammiert. Deren Hauptargument wird voraussichtlich sein, dass sich an der Situation im Breitbandmarkt nichts Wesentliches geändert hat, und die Behörde nicht einfach ohne guten Grund die Regulierung ändern darf. Diese Regel soll im Markt für Rechtssicherheit sorgen.

Jahrzehntelang waren Internetanbieter von der Regulierung weitgehend ausgenommen. Die FCC hatte von der so genannten Forbearance Gebrauch gemacht. Die Behörde hatte damit bewusst und öffentlich angekündigt, bestimmte Gesetzesabschnitte nicht anzuwenden. Dieses Recht hat die FCC.

Als sie dann neutrale Netze verordnen wollte, klagten Netzbetreiber dagegen, woraufhin ein Gericht 2010 die Verordnung großteils aufhob – schließlich hatte die FCC ja selbst zuvor gesagt, die Netzbetreiber nicht zu regulieren. Doch das war nur eine Formalie. Nach einer Nachdenkpause hob die FCC einen Teil der Forbearance auf (bekannt als Anwendung von "Title II") und erließ im Februar 2015 die berühmte Verordnung mit den Drei Geboten der Netzneutralität:

  • Keine Websperren für rechtmäßige Inhalte, Anwendungen, Dienste oder unschädliche Geräte.
  • Keine Tempobremsen (Throttling) für "legalen Internetverkehr" auf Basis rechtmäßiger Inhalte, Anwendungen, Dienste oder unschädlicher Geräte.
  • Keine Bevorzugung legalen Internetverkehrs gegenüber anderem legalen Internetverkehr im Austausch gegen Zuwendungen jeglicher Art. Auch eigene Inhalte und Dienste dürfen die Breitbandanbieter nicht bevorzugen.

Unter dem damaligen FCC-Vorsitzenden Tom Wheeler wurde die Netzneutralität 2015 eingeführt.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Außerdem wurde eine Wohlverhaltensregel aufgestellt: Breitband-ISP sind "unvernünftige" (unreasonable) Eingriffe oder Benachteiligungen untersagt, und zwar in die Auswahl und die Nutzung legaler Inhalte, Anwendungen, Dienste oder Geräte durch Verbraucher. Zudem dürfen legale Angebote von Inhalten, Anwendungen, Diensten und Geräten anderer Provider nicht in unvernünftiger Weise benachteiligt werden – das schützt den Wettbewerb. Auch diesmal klagten Netzbetreiber gegen die neuen Vorschriften, hatten damit aber keinen Erfolg mehr.

US-Präsident Barack H. Obama hatte sich ausdrücklich für die Netzneutralität ausgesprochen. Die Republikaner, Obamas politische Gegner, waren und sind dagegen. Mit der Wahl Donald J. Trumps zum Präsidenten haben sich die Mehrheitsverhältnisse und der Vorsitz in der FCC geändert. Nun stellen die Republikaner den Vorsitzenden (Pai) und haben eine 2:1 Mehrheit in der Commission.

Ajit Pai (links) und sein Partei- und FCC-Kollege Michael O'Rielly (Archivbild)

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Anstatt zuvor aus einem demokratischen Vorsitzenden, zwei Demokratinnen und zwei Republikanern besteht die FCC nun aus Pai, dem Republikaner Michael O'Rielly und der Demokratin Mignon Clyburn. Die beiden übrigen Sitze sind vakant. Trump hat auch nach hundert Tagen im Amt noch keine Nachfolger nominiert, obwohl seine Mehrheit nicht gefährdet ist. Einer der beiden Neuen darf wieder ein Republikaner sein.

Mit der 2:1-Mehrheit möchte Pai die Uhr zurückdrehen. Die Anwendbarkeit des Gesetzesabschnittes Title II soll wieder wegfallen, womit der Netzneutralität sowie der Wohlverhaltensregel die rechtliche Grundlage entzogen wäre. Für kleinere und mittlere Anbieter bestehen aber schon jetzt bestimmte Ausnahmen. Ursprünglich galten diese Ausnahmen für ISP mit bis zu 100.000 Kunden, unter Pai hat die FCC diese Grenze im Februar mit 2:1 Stimmen auf 250.000 angehoben.

(ds)