Obamas Regeln für Morde per Drohne veröffentlicht

Quer über den Globus haben die USA Tausende Menschen umgebracht, meistens mit bewaffneten Flugdrohnen. 2013 erließ Präsident Obama ein Richtlinie, um diese Anschläge einzuschränken. Nun liegt das Papier erstmals vor.

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Drohne MQ-9 Reaper, bewaffnet mit  lasergesteuerten Bomben (Paveway II) und Hellfire-Raketen (AGM-114)

Die Drohnen MQ-9 Reaper ("Sensenmann"), im Bild bewaffnet mit lasergesteuerten Bomben (Paveway II) und Hellfire-Raketen (AGM-114), wurde vorwiegend für die US AIr Force entwickelt.

(Bild: US Air Force)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das Weiße Haus hat die Präsidentielle Richtlinie (Presidential Policy Guidance, PPG) herausgegeben, die US-Diensten seit 2013 als Grundlage für Drohnenmorde dient. Das Dokument ist teilweise geschwärzt. Die Herausgabe erfolgte nicht freiwillig: Die Organisation American Civil Liberties Union (ACLU) führt seit Jahren drei Gerichtsverfahren auf Grundlage des US-Informationsfreiheitsgesetzes, um die Herausgabe von Unterlagen über die gezielten Anschläge zu erzwingen.

Das Logo der ACLU

(Bild: ACLU)

Die PPG wurden von Präsident Barack Obama im May 2013 erlassen. Er machte damit striktere Auflagen und wollte mehr regierungsinterne Transparenz über Entführungen sowie Morde und andere tödliche Anschläge der USA im "Krieg gegen den Terrorismus" schaffen. "Die PPG liefern wichtige Informationen über die Regeln, die zum Tod Tausender Menschen, darunter Hunderte Nicht-Kämpfer, geführt haben, und über die Bürokratie, die die Regierung Obama geschaffen hat, um diese Regeln umzusetzen und zu kontrollieren", sagte Jameel Jaffer, stellvertretender Direktor der ACLU-Rechtsabteilung, am Samstag.

In dem Dokument geht es stets um gezielte Tötungen, andere tödliche Anschläge, oder Entführungen. Immer werden dabei US-Kräfte außerhalb der USA und außerhalb von Kriegsgebieten tätig. In der Praxis geht es vor allem um die Genehmigung tödlicher Anschlägen mit Drohnen. Gleich zu Beginn des Dokuments wird darauf hingewiesen, dass "internationale Rechtsgrundsätze, darunter Respekt für die Souveränität von Staaten und Kriegsrecht, die Möglichkeiten der USA einschränken, auf fremdem Territorium einseitig tätig zu werden. Direkte Aktionen sollten nur gesetzt werden, wenn" – der Rest des Satzes ist geschwärzt.

Obamas Richtlinie unterscheidet zwischen "hochwertvollen Terroristen", des Terrorismus Verdächtigen samt deren Unterstützern sowie weiteren Zielen. Neben den eigentlichen Terroristen gibt es Kämpfer und Nicht-Kämpfer. Ein Kämpfer muss aber nicht unbedingt kämpfen. Er kann auch aus anderen Gründen ein zulässiges Ziel im Rahmen der "Ausübung nationaler Selbstverteidigung" sein.

Darüber hinaus wird zwischen US-Personen und Fremden differenziert. Was genau eine "US-Person" ausmacht, wird in einem geheimen Befehl definiert. Soweit bekannt, fallen unter diesen Begriff Staatsbürger, Inhaber einer Greencard sowie die meisten in den USA registrierten Unternehmen. Mit Tötungen, die als Nebeneffekt von US-Angriffen begangen werden, befasst sich Obamas Richtlinie ausdrücklich nicht.

Nach einer Untersuchung des US-Militärs leiden Drohnenpiloten wesentlich häufiger an psychischen Krankheiten als Piloten von Kampfjets.

(Bild: gemeinfrei (US Air Force) )

Die Richtlinie ist 18 Seiten lang und in acht Abschnitte gegliedert: Abschnitt 1 beschreibt den grundlegenden regierungsinternen Ablauf, nach dem Pläne zur direkten Bekämpfung terroristischer Ziele erstellt werden. Abschnitt 2 beschreibt die speziellen Voraussetzungen für die Entführung und "langfristige Erledigung" von Terroristen. Abschnitt 3 widmet sich den politischen Faktoren und dem Prozedere, nach denen die Todesliste der "hochwertvolle Terroristen" erstellt wird. Ähnlich ist Abschnitt 4, wo es um tödliche Einsätze geht, bei denen Personen ums Leben kommen werden, die nicht als identifizierte "hochwertvolle Terroristen" gelten.

Die weiteren vier Abschnitte sind im wesentlichen bürokratischer Natur: Abschnitt 5 behandelt Ausnahmeregelungen, Abschnitt 6 Einsatzberichte, Abschnitt 7 die Informierung der beiden Verteidigungsausschüsse des US-Parlaments, und Abschnitt 8 möchte ausschließen, dass die Presidential Policy Richtlinie als Grundlage für Haftungsansprüche gegen die USA herangezogen werden.

Bevor ein Projekt zur Entführung oder Ermordung von Personen dem Präsidenten zur Entscheidung vorgelegt wird, muss es von mehreren Regierungsstellen begutachtet werden. Unabhängige Richter werden nicht eingebunden. Der Einsatzvorschlag soll eine Grundlage im internationalen Recht nennen. Erforderlich ist zudem die "annähernde Sicherheit", dass ein "hochwertvoller Terrorist" oder ein sonstiges "legales Ziel" am Anschlagsort anwesend ist, sowie dass mit "annähernder Sicherheit" keine Nicht-Kämpfer verletzt oder getötet werden werden.

Ist eine Ermordung geplant, sollen drei weitere Einschätzungen festgehalten werden: Eine Einschätzung, wonach eine Ergreifung zur Zeit der Operation (!) nicht durchführbar ist, eine Einschätzung, wonach die im jeweiligen Land zuständigen Behörden die "Bedrohung für US-Personen nicht effektiv angehen können oder wollen", und eine Einschätzung, wonach es keine "vernünftige Alternative" zur Ermordung gibt, welche "die Bedrohung von US-Personen effektiv angeht". Soll jemand getötet werden, der kein "hochwertvoller Terrorist" ist, soll jene US-Behörde, die diese Person ermorden möchte, ihren internen Arbeitsablauf beschreiben, der zur Nominierung der Zielperson geführt hat.

Die Minister beziehungsweise ranghöchsten Offiziere der beteiligten Ministerien beziehungsweise Dienste, sowie die Stellvertreter dieser Beamten, sollen den konkreten Einsatzplan auf seine Auswirkungen auf die politischen Interessen der USA prüfen. Außerdem sollen sie gegebenenfalls erklären, warum die Tötung einer nicht als "hochwertvoller Terrorist" eingestuften Person notwendig sei, um die politischen Ziele der USA zu erreichen. Änderungen am Einsatzplan erfordern in der Regel den erneuten Durchlauf des Genehmigungsablaufs.

In Abschnitt 2 geht es um die Ergreifung und entweder vorübergehende Festhaltung oder die langfristige Erledigung (long-term disposition) "bestimmter Verdächtiger". Das sind Personen, die unter dem Verdacht des Terrorismus stehen, sowie Personen, die verdächtigt werden, Terror-Verdächtige zu unterstützen. Die vorübergehende Festhaltung ist aber kein Ausblick auf Freilassung, sondern mündet in die Übergabe der entführten Person an eine andere Macht.

Ein Begehren um Ergreifung eines Verdächtigen soll beschreiben, warum das legal ist, und dass eine "langfristige Erledigung" beabsichtigt wird. Ist eine US-Person das Ziel, sollen auch US-Recht und die US-Verfassung berücksichtigt werden. Sollen US-Agenten über einen längeren Zeitraum in einem fremden Land immer wieder Menschen entführen, soll das nach Abschnitt 1 genehmigt werden.

Abschnitt 2 erwähnt auch die Interagency Disposition Planning Group. Das ist eine gemeinsame Arbeitsgruppe der verschiedenen Militäreinrichtungen und Geheimdienste, die bei der Planung der "Erledigung" einer entführten Person hilft. Unter Zeitdruck kann die Befassung dieser Arbeitsgruppe entfallen.

Barack Hussein Obama ist der 44. US-Präsident.

(Bild: Weißes Haus/Pete Souza )

Die "langfristige Erledigung" eines Entführten soll möglichst die Übergabe an ein Drittland bedeuten. Falls das der Nationalen Sicherheit der USA zuwiderläuft oder sonst untunlich ist, soll die Person möglichst vor ein Gericht oder ein Militärtribunal gestellt werden. Zusätzliche Internierte in das Konzentrationslager auf Guantanamo zu schicken, verbietet Obama ausdrücklich.

Bevor eine Entführung beantragt wird, sollen die genannten hochrangigen Beamten acht Faktoren in Erwägung ziehen, darunter die Auswirkungen des Einsatzes auf die politischen Interessen der USA, ob die Ergreifung die Antiterror-Strategie der USA weiterbringt, und ob die Maßnahme US-Geheimdienste stören könnte. Ein Faktor ist komplett geschwärzt.

Auch für geplante Drohnenmorde sollen wieder mehrere Faktoren erwogen werden, darunter Auswirkungen auf die politischen Interessen der USA, ob die Maßnahme US-Geheimdienste stören könnte, ob die Zielperson als Gefangener wahrscheinlich wertvolle Informationen liefern würde, ob die von der Zielperson ausgehende Bedrohung durch gelindere Maßnahme minimalisiert werden könne, und ob es glaubwürdige Informationen gibt, die die Grundlage für den Mordanschlag in Zweifel ziehen.

Abschnitt 3 hält fest, dass eine bereits genehmigte Ermordung eines "hochwertvollen Terroristen", der auch schon identifiziert wurde, nur dann umgesetzt werden darf, wenn eine Ergreifung nach wie vor untunlich ist, und die Aktivitäten der Zielperson eine "fortgesetzte, gegenwartsnahe Bedrohung von US-Personen" darstellen. Bürger anderer Staaten zu bedrohen kann nur in "außerordentlichen Fällen" eine Rechtfertigung sein; nach Abschnitt 5B muss dann der Präsidenten den Anschlag genehmigen.

In anderen Fällen muss der Mordbefehl nur dann vom Präsidenten kommen, wenn eine US-Person getötet werden soll oder die hochrangigen Beamten uneins sind. In der Regel aber kann der Chef der beantragenden US-Einrichtung selbst den Befehl erteilen. Der Präsident muss bloß über das Vorhaben informiert worden sein. Lediglich einmal im Jahr muss die Todesliste daraufhin überprüft werden, ob alle eingetragenen Zielpersonen auch wirklich noch getötet werden sollen.

Abschnitt 4 der PPG befasst sich mit anderen als "hochwertvollen Terroristen". Erwähnt werden in Fahrzeugen untergebrachte Bomben sowie Infrastruktur wie zum Beispiel Sprengstofflager. In diesem kurzen Abschnitt ist allerdings recht viel geschwärzt, so dass sich der Sinn nicht unbedingt erschließt.

(ds)