Musikindustrie sucht nach dem Geld im Internet
Das Internet hat der Musikindustrie viele schlaflose Nächte bereitet. Doch jetzt wollen die Plattenfirmen und Verleger das Heft selbst in die Hand nehmen.
Zuerst herrschte Desinteresse, dann Euphorie und schließlich Angst. Das Internet hat der Musikindustrie viele schlaflose Nächte bereitet. Doch jetzt wollen die Plattenfirmen und Verleger das Heft selbst in die Hand nehmen: Sie wollen endlich Geld im Web verdienen. Aber wie? Das war die alles beherrschende Frage auf der diesjährigen Musikmesse Midem in Cannes, die an diesem Donnerstag zu Ende geht.
Ein Großteil der mehr als zehntausend Fachbesucher suchte auf dem weltgrößten Branchentreff nach Wegen, Online-Musik zu Gold – oder wenigstens Geld – zu machen. Zunächst müsse aber die gesamte Branche umdenken, meint der Präsident von BMG Music, Nicholas Firth. "Das Musikbusiness bewegt sich nur sehr langsam, die Software-Industrie hingegen sehr schnell. Wir müssen uns anpassen." Diese Anpassung scheint allmählich zu gelingen, glaubt man den Experten auf der Midem. Nicht nur, dass Deutschlands Musikriese Bertelsmann durch die Allianz mit der Internet-Tauschbörse Napster dem Erzfeind der Branche den Stachel gezogen hat, gibt vielen Hoffnung. Plötzlich schießen auch allerorten technische Lösungen aus dem Boden, digitale Musik "sicherer" zu machen, das heißt illegales Kopieren zu verhindern.
Firmen wie die Bertelsmann-Tochter Digital World Services (DWS) oder der Marktführer Reciprocal präsentieren wie Dutzende andere ihre Lösungen für das so genannte Digitale Rechte-Management (DRM). Dabei übernehmen diese Unternehmen die Musikdaten der Labels und Verlage, verschlüsseln jeden einzelnen Track, überspielen ihn auf das richtige Webformat und stellen ihn Labels, Online-Händlern oder Internetportalen zur Verfügung.
Der Clou: Jede einzelne Musikdatei wird mit einem eigenen Sicherheitscode versehen. Damit soll sicher gestellt werden, dass die Daten nur vom einem berechtigten Surfer genutzt werden können. Illegale Kopien an Freunde und selbst die Verbreitung über Napster seien somit praktisch unmöglich, erklärt Markus Böhm, zuständig für die Geschäftsentwicklung bei DWS. "Selbst wenn ein Hacker den Code einer Musikdatei knacken sollte, fehlen ihm die Codes für all die anderen. Es lohnt sich also nicht."
Ein weiterer Vorteil der Technologie: Die Plattenfirmen verlieren die Angst, ihre Musik könnte "geklaut" und illegal im Netz verbeitet werden – sie öffnen nach und nach ihre riesigen Musikkataloge für das World Wide Web. Denn Napster sei ja nicht nur deswegen erfolgreich, weil man dort Musik umsonst bekommt, meint Ken Horowitz von Reciprocal. "Napster ist einfach zu benutzen und eine riesige Musikbibliothek." So etwas gebe es legal eben noch nicht.
"Wir brauchen ein Angebot, wo man alle Songs aller Labels einfach finden kann, mit ein paar Mausklicks", sagt Horowitz. Ein legales Napster sozusagen. Erste Schritte sind getan: Der französische Online-Anbieter Zoomzic.com hat auf der Midem bekannt gegeben, demnächst bis zu 10.000 Titel legal ins Netz zu stellen – nur ein Beispiel von vielen.
Was Musikfans künftig für ihre Lieblingssongs im Netz bezahlen müssen, ist nach Meinung der Experten völlig offen. Das goldene Geschäftsmodell gibt es nicht. Die Hauptformen werden wohl Downloads und Abonnements sein. Beim Herunterladen zahlt der Nutzer pro Musikdatei, beim Abo zahlt er eine gewisse Summe für einen festen Zeitraum und kann in diesem das Angebot des Providers nutzen. "Das ist wie eine Mitgliedschaft in einer Musikbibliothek", meint Horowitz.
Eines aber ist nach Meinung vieler Experten sicher: Musik im Netz dürfte billiger werden. Die Kosten für CD-Produktion, Verpackung und Vertrieb fallen weg. Auch die Werbung wird zielgerichteter und somit vermutlich güstiger. Und wenn sich das Internet durch niedrige Preise und guten Service allmählich zu einem Musik-Massenmarkt entwickle, dann seien die Verluste von heute, die selbst der erfolgreiche Dienst MP3.com einfährt, bald vergessen und endlich Gewinne möglich: "Möglicherweise schon im kommenden Jahr", meint nicht nur Horowitz. (Patrick T. Neumann, dpa) / (jk)