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Was war. Was wird. Von globalen Kulturkreisen, großen Lauschangriffen und kleinen Grundgesetz-Räumen

Menschen, die von der CSU erwünscht sind, sollen entweder christlich oder abendländisch geprägt sein. Hal Faber sieht an dem gespreizten Konstrukt Haken – und wirft einen Blick auf die Piraten und einen verstorbenen Atomwissenschaftler.

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Was war. Was wird. Von globalen Kulturkreisen, großen Lauschangriffen und kleinen Grundgesetz-Räumen

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Willkommen im christlich-abendländischen Kulturkreis, der auch Australien und Neuseeland umfasst und in dem Menschen alternierende Werte haben, "entweder christlich oder abendländisch". Das Oder in dieser Formulierung ist wichtig im neuen
Zuwanderungspapier der CSU, denn schließlich sollen auch Menschen aus Israel ohne Vorrangprüfung zu uns kommen können. Bei christlich will man in der CSU genauer hinschauen, etwa bei diesen Problemchristen in Bulgarien und Rumänien: "Ich weiß nicht, ob man Länder, die christlich-orthodox geprägt sind, zum abendländischen Kulturkreis zählen kann", sagt Kulturkreis-Beauftragter Stephan Meyer. Am Ende integrieren die sich genau so schlecht wie die Russlanddeutschen. Wobei, genau gelesen, auch dieses Abendländische einen Haken hat: Einen Kim Dotcom wird man in Bayern integrieren können, eine(n) Māori will man nicht. Dass mit dieser Art von selektiven Zuwanderung die künftige Bruderpartei AfD in Schach gehalten werden kann, ist eine Fantasie, und nicht mal eine hübsche. So denken Einzeller, denen schon die zweite Zelle zuwider und aus der Art geschlagen ist.

*** Als das jüdische Tschernobyl-Kind Maria Weisband aus der Ukraine nach Deutschland kam, war die Welt offener. Sie ging zur Schule, machte Abitur, studierte und ist inzwischen Diplom-Psychologin. Wer bei ihr liest, was an Antisemitismus in der Piratenpartei möglich war, mit Vorsitzenden, die rassistische Äußerungen als "Jugendsünden" deklarierten, dem wird das Scheitern der Piraten aus einem anderen Blickwinkel deutlich. Von einem verbrannten Label redet Ex-Piratin Weisband, während der Berliner SPD-Bürgermeister bei den anstehenden Wahlen lieber die Piraten als die AfD im Abgeordnetenhaus sehen würde. Da konnten sie mit ihren Plänen zum kostenlosen öffentlichen Nahverkehr so schön von "erfahrenen Sozialdemokraten" lächerlich gemacht werden. Nun haben die Mohren ihre Schuldigkeit getan, die Mohren mögen doch bitte bleiben. Bleibt nur die Frage, ob es da eine Lehre der Geschichte gibt.

*** Es gibt gute Geschichten und ganz und gar unglaubwürdige Münchhausereien. Eine solche ist die Affäre von Klaus Traube, der am vergangenen Sonntag gestorben ist. Da verliert jemand seine Brieftasche mit dem Personalausweis und solchen Ausweisen, die ihn als Zutrittsberechtigten zu deutschen Atomkraftwerken ausweisen. Da schickt ihm jemand eine Postkarte (für die Jüngeren hier: eine analoge Art unverschlüsselter Mail), die mehrsprachig verfasst ist. Die Konsequenz: Der Verfassungsschutz startet die erste große Überwachungsaktion auf bundesdeutschen Boden auf den Atomwissenschaftler Traube, weil der maßgebliche Verfassungsschützer keine Fremdsprachen beherrscht und den Inhalt als Terrorcodes für einen Angriff der RAF auf AKW interpretiert. 1976 wird Traube fristlos von der Siemens-Tochter Kraftwerk Union entlassen, ohne Angaben von Gründen. Monatelang wird Traube beschattet, eine Spezialeinheit brach in sein Haus ein und installierte die damals modernste Abhörtechnik mit Impulsgebern für automatisch startende Tonbandgeräte. So stolz waren die Geheimdienstler auf die umfassende Observierung Traubes, dass sie für die Operation Müll den Namen "großer Lauschangriff" erfanden. Leider war der ganze Angriff Müll, weil es kein einziges Indiz für eine RAF-Verbindung gab und alle Verdachtsmomente erfunden waren.

*** Der damalige FDP-Innenminister Werner Maihofer (Wahlslogan: "Im Zweifel für die Freiheit") verteidigte den illegalen Lauschangriff, wie im aktuellen Video Land unter Kontrolle zu sehen ist. Er musste seinen Dienst quittieren, Klaus Traube wandelt sich vom Atommanager zum vehementen Kritiker der Atompolitik. Der illegale Lauschangriff wurde nur bekannt, weil beim Verfassungsschutz ein Whistleblower namens Karl Dirnhofer die Akte Traube einem Journalisten und früheren Verfassungsschützer zuspielte. Sowohl Dirnhofer als auch der Journalist Hans Georg Faust wurden wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen angeklagt, konnten aber nicht verurteilt werden, weil die Beweise aus dem Lauschangriff stammten und damit ebenfalls illegal erlangt worden waren. So war der große Lauschangriff ein großer Reinfall und konnte erst im Jahre 1998 legalisiert werden. Zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass die NSA mit einem Programm namens Echelon den globalen Lauschangriff längst realisiert hat.

*** Bekanntermaßen haben wir mit dem Bundesnachrichtendienst einen weiteren Geheimdienst, der sich als Äquivalent zur großen NSA sieht und zusammen mit dem Verfassungsschutz kräftig aufrüsten will im Kampf gegen den Terror. Über 21 Millionen Euro sollen in Software zur Überwachung von Messenger-Diensten fließen, vor denen der im Februar in Dienst genommene Bundestrojaner als Nachfolger des analogen Lauschangriffes derzeit noch kapituliert. In dieser Woche wurde auch ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bekannt, nach dem die zukünftige Arbeit des BND mit dem beabsichtigten Ausschnüffeln ausländischer Journalisten grundrechtswidrig sein könnte. "Ist der Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses universell? Steht er also allen Menschen zu? Oder gilt der Schutz nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und für Deutsche im Ausland?" Das Gutachten wurde für André Hahn von der Linksfraktion angefertigt. Diese hofft, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfasser des Gesetzes abwatscht und ihnen erklärt, wie teilbar oder unteilbar so ein Grundgesetz ist.

*** An einem 11. September wie diesem wird natürlich Bilanz gezogen – sie fällt verheerend aus. Zum Ende der Präsidentschaft Barack Obamas sind immer noch 61 Gefangene in Guantánamo in "weiterführender Haft nach den Gesetzen des Kriegsrechts". Glaubt man Trumps Anhängern, ist das Land in größerer Gefahr als 2001. Bizarr ist da die Meldung, nach der ein Buch über 9/11 zur Pflichtlektüre jedes Neueinsteigers bei Palantir gehört, neben einem Standardwerk zum Improvisationstheater. Angeblich hat Palantir Technologies die Software entwickelt, mit deren Hilfe Osama bin Laden gefunden wurde. Den Trump nach eigener Aussage als Präsident vor 9/11 "erledigt" hätte.

Das Geekfest rückt näher und die Snowden-Apotheose wird ab Freitag von den USA ausgehend weltweit gefeiert. Jede(r) bekommt Ruhm und Ehre und darf seine Motive erklären, doch der Märtyr Snowden wird erst jetzt übergroß ins Bild kommen, angefangen mit Brüll-Laufen durch deutsche Wälder. Die Berichte von der Brüsseler Privataudienz erklären schlicht Film und Vorbild für identisch und das Original für gut getroffen. Auch die Musik von Peter Gabriel bekommt ihr Lob für das Blasen der Pfeifen. Ein wichtiger Teil des Filmplots wurde nun vorab veröffentlicht, nur die programmierenden Heldentaten des Über-Hackers Snowden mit seinem Backup-Programm Explicit fehlen noch. Sie werden zur Zeit auf dem Film Festival in Toronto live gezeigt.

So ehrenwert Snowdens Vorschläge anlässlich der Brüsseler Preview auch gewesen sein mögen, so darf man doch über seine Ansicht staunen, dass ausgerechnet die Europäische Union ein "Champion der Menschenrechte" sein soll. Angesichts des anhaltenden Flüchtlingsdramas im Mittelmeer, zweifelhafter Deals mit Despoten vom Schlage Erdogans ist Snowdens Vertrauen in Europa naiv, der Vorschlag eines internationalen Schiedsgerichts für Whistleblower reines Wunschdenken. Vielleicht wird nach dem heroischen Filmdrama ja die Zeit kommen, sich in der Zeit nach dem Hurrikan noch einmal über Snowden zu verständigen. (anw)