Die Wüste lädt

Der Wüstenstaat Nevada entwickelt sich im Schatten Kaliforniens zu einer eigenen Technologie-Hochburg. Dem Beispiel Tesla mit seiner riesigen Batteriefabrik folgen immer mehr Unternehmen und Akademiker – auch aus Deutschland.

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Von
  • Steffan Heuer
Inhaltsverzeichnis

Kurz hinter der Ausfahrt von der Interstate 80 auf den USA Parkway im Nordwesten Nevadas bietet sich ein erstaunlicher Blick: Zwischen den kargen Bergkuppen der High Sierra gibt es Tumbleweed, wilde Mustangs – und kilometerweit nagelneue Warenlager und Fabriken. Wal-Mart und Amazon unterhalten hier im Tahoe-Reno Industrial Center ihre Logistikzentren, und der Hosting-Anbieter Switch zieht gerade das flächenmäßig größte Rechenzentrum der Welt hoch, sieben Gebäude mit einer Grundfläche von 595.000 Quadratmetern.

Der menschenleere Bundesstaat an der Grenze zu Kalifornien war bisher vor allem ein Mekka für Goldgräber und Spieler. Zwischen den Gipfeln der Sierras und der Mojave-Wüste ist der Wilde Westen noch lange nicht Geschichte. Drei von vier Bewohnern drängen sich rund um Las Vegas, der Rest des Geländes gehört entweder der Regierung, Cowboys oder Kojoten.

Im Schnitt bringt es Nevada auf nicht einmal zehn Einwohner pro Quadratkilometer. In kaum einem anderen Staat gibt es dermaßen viele Geisterstädte – vor vielen Jahrzehnten aufgegebene Siedlungen in unwirtlichen Bergtälern oder Salzwüsten, deren Bewohner erfolglos nach kostbaren Bodenschätzen gruben und plötzlich alles stehen und liegen ließen. Noch heute sind der Abbau von Gold, Silber und Lithium die wichtigste Einkommensquelle Nevadas – nach dem Tourismus.

Doch seit wenigen Jahren zieht der Staat eine ganz neue Sorte von Goldgräbern an: Technologiepioniere aus aller Welt. Nevada war der erste US-Bundesstaat, der bereits 2012 die Erprobung autonomer Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen zuließ, sodass heute die meisten Hersteller dort ihre Roboterautos rollen lassen. Es ist obendrein eine von nur sechs Regionen in den USA, in der die US-Luftfahrtbehörde FAA Drohnentests erlaubt. Und zwar im gesamten Staat, der 80 Prozent der Fläche Deutschlands hat, aber weniger als drei Millionen Einwohner.

Fragt man Einheimische, womit der Aufstieg zur Tech-Hochburg begann, fällt immer wieder ein Name: Tesla. Seriengründer Elon Musk entschied im Sommer 2014, sein fünf Milliarden Dollar teures Batteriewerk namens Gigafactory in der Einöde außerhalb Renos anzusiedeln. Das Werk mit dem markanten roten Streifen am Dach duckt sich unweit der Baustelle für das Switch-Rechenzentrum in die Landschaft. Die Produktion in Kooperation mit Panasonic läuft bereits, und bald sollen Jahr für Jahr eine halbe Million Batteriepacks entstehen – und schätzungsweise 6500 neue Jobs.

"Tesla hat uns in den Augen der Welt als ernst zu nehmenden Player etabliert", sagt Steve Hill, der sich im Auftrag des Gouverneurs um die Wirtschaftsförderung kümmert und mit im Kabinett sitzt. In den vergangenen vier Jahren hat er ein internationales Team aufgebaut, das drei Dinge tun soll: Investoren anlocken, Nevadas Rolle als Vorreiter beim autonomen Fahren und der E-Mobilität zementieren sowie eine Start-up-Szene kultivieren. So soll Nevada nicht mehr nur als preiswertes Testgelände dienen, sondern gut bezahlte Jobs bekommen.

"Unser Geschäftsmodell besteht nicht darin, ein zweites Silicon Valley zu sein", sagt Hill. "Doch wir bieten alle Voraussetzungen, um die hochwertigen Dinge zu fertigen, zu verarbeiten und zu lagern, die in Kalifornien designt werden." Wobei die Übergänge zwischen Entwicklung und Fertigung, zwischen Atomen und Bits fließend sind. So haben gleich zwei üppig finanzierte Neugründungen aus Los Angeles angekündigt, ihr erstes Werk bei Las Vegas zu bauen: Faraday Future, ein geheimnisumwitterter Elektroauto-Bauer, sowie Hyperloop Technologies, eine Firma mit besten Verbindungen zu Musk, Uber sowie dem Weißen Haus – und eines der Unternehmen, die Elon Musks Idee verwirklichen wollen, Personen und Fracht mit Schallgeschwindigkeit durch eine Niederdruckröhre zu schießen.

Solche Unternehmen sind nur auf den ersten Blick im Hardware-Geschäft. Sie sammeln und verarbeiten auch Riesenmengen an Daten. Deswegen will sich Nevada zu einem der wichtigsten Cloud-Standorte in den USA entwickeln. Der neue Switch-Campus etwa ist Teil eines "Superloops", der die Knotenpunkte San Francisco, Los Angeles, Las Vegas und Reno in weniger als sieben Millisekunden verbindet. Apple hat sich für den Betrieb seiner iCloud 140 Hektar Land bei Reno gesichert und plant bereits Erweiterungen.

Kein Wunder: Land ist reichlich vorhanden, der Strom dank vieler Staudämme, Solar- und Geothermiekraftwerke billig, das Klima relativ ausgeglichen. Eine Einkommensteuer gibt es gar nicht, und auf die Hardware eines Rechenzentrums sind nur zwei Prozent Umsatzsteuer fällig. In den nächsten 20 Jahren rechnet Hill deswegen mit Investitionen von rund 50 Milliarden Dollar in die Cloud-Infrastruktur.

Ein gehöriger Teil der zu verwaltenden Daten werden von autonomen Systemen zu Lande und in der Luft stammen. Um ihren Betrieb zu ermöglichen, arbeitete das Verkehrsamt des Staates schon 2011 mit Gesetzgebern, Herstellern und Versicherungen ein Regelwerk aus, das im März 2012 in Kraft trat. "Man kann entweder den kalifornischen Weg gehen und im Namen des Verbraucherschutzes alles bürokratisieren", stichelt Jude Hurin, beim Verkehrsamt für die Zulassung autonomer Autos zuständig, gegen den Nachbarn im Westen, wo fast alle wichtigen Hersteller autonomer Autos Labore unterhalten. "Oder man kann Dinge vereinfachen, solange die Straßensicherheit gewährleistet ist."

Nevada hat gegenwärtig autonome Autos von Audi, VW, Daimler, Delphi, Google, Hyundai und Kia zugelassen. Google und der Zulieferer Delphi haben eine Genehmigung für städtischen Verkehr, die anderen nur für das 8700 Kilometer lange Autobahnnetz. Wer eine Lizenz für bis zu drei Wagen haben möchte, muss sich mit Hurins Behörde in der Hauptstadt Carson City treffen und einen zehn Seiten langen Antrag samt Unterlagen einreichen. Die verschlafene Kleinstadt wirkt für Bewohner der Bay Area wie tiefste Provinz und wurde nur durch die Launen der Geschichte zum Verwaltungssitz.