Zahlen, bitte! 48565...29443 – eine "illegale" Primzahl?

Zahlen können zig Eigenschaften haben. Sie sind beispielsweise gerade, ungerade, defizient, befreundet, superperfekt, reell, irrational ... aber können sie auch illegal sein, nur weil sie zu einem bestimmten Zweck konstruiert wurden?

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Zahlen, bitte! 20 vergeudete Arbeitstage im Büro
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Von
  • Volker Zota
Inhaltsverzeichnis

Primzahlen spielten bei "Zahlen, bitte!" ja schon das ein oder andere Mal eine Rolle. Diesmal ist die Primzahl 1401 Stellen lang:

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Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Sie ist mathematisch an sich uninteressant, wirft aber eine interessante Frage auf: Kann eine Zahl illegal sein? Interpretiert man die Zahl nämlich als Binärdatei, ergibt sich daraus ein gzip-Datenstrom, der sich entpackt in den CSSdescramble-Quellcode verwandelt. Da dieser gemäß dem US-amerikanischen Digital Millennium Copyright Act (DMCA) verboten ist, müsste also auch die Primzahl selbst illegal sein, oder doch nicht? Diese Frage ist nie gerichtlich geklärt worden, trotzdem gilt die obige Zahlenfolge als vermeintlich erste "illegale Primzahl".

Tatsächlich ist niemand zufällig über die pikante Eigenschaft der Zahl gestolpert. Der passionierte Primzahljäger Phil Carmody hat sie bewusst so konstruiert. Die Idee dazu kam ihm im Zusammenhang mit der damals hitzig geführten Debatte des DVD-Prozesses rund um den geknackten Kopierschutz CSS (Content Scramble System). Während andere den Quellcode der DeCSS-Routine in Grafiken und Videos versteckten, wollte Carmody ihn in Form einer Primzahl darstellen, um aufzuzeigen, dass pure Information an sich nicht illegal sein kann.

Falls langjährige Leser jetzt das Gefühl haben, ein Déjà-vu zu erleben, dann liegen sie richtig. Tatsächlich haben wir in der Meldung "Primzahl entschlüsselt DVD" schon im Jahr 2001 über besagte Primzahl geschrieben, wussten damals aber logischerweise noch nicht, dass sie ein hervorragender Kandidat für das 15 Jahre später eingeführte "Zahlen, bitte!" sein würde.

Doch wie hat Carmody das überhaupt angestellt? Der Anfang ist klar: Er komprimpierte den CSSdescramble-Quellcode mit gzip. Das Ergebnis interpretierte er als eine 563 Bytes lange Zahl (im Folgenden k genannt). Danach suchte er nach einer Primzahl, deren erste 563 Bytes damit übereinstimmten. Das könnte man für ein unmögliches Unterfangen halten, doch tatsächlich gibt es nach Dirichlets Primzahlsatz sogar unendlich viele davon, man muss sie nur finden. Da gzip-Dateien nullterminiert sind, lässt sich auch die größere Primzahl mit gunzip dekodieren, der überflüssige Rest nach Byte 563 wird als Datenmüll verworfen ("trailing garbage ignored").

Ursprünglich wollte Carmody nur ein Byte an die Zahl anhängen, um daraus eine Primzahl zu machen. Das klappt aber nicht.

Also versuchte er es mit zwei Byte: 65536 × k + n und testete alle ungeraden n zwischen 1 und 65535 mit der Software OpenPFGW auf Primzahlkandidaten (Probable Prime). Diese fütterte wiederum den "Elliptic Curve Primality Proving"-Algorithmus Titanix (heute Primo) von Marcel Martin. Für n = 2083 ergab sich dann die 1401-stellige "illegale Primzahl". Sie ist auf den Prime Pages in der Kategorie "Prime Curios!" verewigt.

Carmody hatte jedoch ein größeres Ziel: Er wollte eine Primzahl konstruieren, die als eine zu dem Zeitpunkte größten bekannten Primzahlen auf den Prime Pages archiviert werden sollte. Doch dazu brauchte sie weit mehr Stellen. Also wiederholte er die geschilderte Prozedur für größere Zahlen der Form 256(156+m) × k + n wobei er n zwischen den ungeraden Zahlen 1 und 255 sowie m zwischen 0 und 300 variierte. Et voilà: n = 99 und m = 55 lieferten das gewünschte Ergebnis einer 1905-stelligen Primzahl, die es ins Archiv der damals größten Primzahlen schaffte.

Wie bereits erwähnt, gibt es nicht nur die von Carmody gefundene Primzahldarstellung des DeCSS-Algorithmus, sondern prinzipiell unendlich viele. Außerdem hat Charles M. Hannum nicht nur die mit 434 Bytes kürzeste C-Implementierung der CSS-Routine entwickelt, sondern konnte diese durch geschickte Wahl der Variablennamen in ASCII-Form (8 Bit) direkt als 1045-stellige Primzahl schreiben, ohne auf gzip zurückgreifen zu müssen:

2074016460653017903677472467534344521594245705226432338001975411781
8808482974732162012252629326423649674236718333492380349378044503081
7434301554074913261622116487670916730142356069150132223401307589934
3301633878712059792711603172962525176515846925948207222370869477358
0577126215108002578177255693620396528792095863486487778914791330243
3568035952589518030080378866822535773260999678112167837691175708530
4221996481426691599783415283992489372183940144231471165192957812509
8220521861188006232491344246280635493454719236627911839600160902785
7568647059552456608502499561943295379072360827567196220731805257986
0979376983946673769975192454261954401549379181875464431410391589552
4909207043017645859450727124465883771652120765325831889938817129518
3846110389593558196917548101188458416712836056359208508103189005325
1455648178213362745828950176675747548461669392657233390752605789842
7124653303480058999830897772388690015145604161233845242288044962524
2367511823546452587597188277928923779422444413304131543100338382572
9204210277724614216568 215235807791512957

Die siebenbittige ASCII-Kodierung ergibt sogar eine noch kürzere Primzahl mit 914 Ziffern. Und schließlich hat Carmody selbst noch eine als Intel-Binary ausführbare Primzahl aus Hannums Implementierung gebastelt. (vza)