Abgasskandal: VW hat erst Bruchteil der Problemdiesel umgerüstet

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gerät in der Dieselaffäre weiter unter Druck. Seine Linie freiwilliger Rückrufe funktioniert nicht; ihm wird vorgeworfen, den Skandal im Kuschelkurs gegenüber Herstellern kleinzuhalten.

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Blaue Umweltplakette soll kommen ? Diesel bleibt billiger als Benzin. Porsche Auspuff, Autostadt

(Bild: Kristina Beer<br><br>)

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Ursprünglich hatte Volkswagen im Abgasskandal die Parole ausgegeben, noch 2016 alle manipulierten Dieselmodelle umrüsten zu wollen. Doch auch von dem zwischenzeitlich korrigierten Ziel ist der Autokonzern meilenweit entfernt. Insgesamt sind rund 2,6 Millionen Fahrzeuge mit EA-189-Motor mit verschiedenen Hubraumgrößen betroffen, geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervor. Die Gesamtzahl der umgerüsteten Fahrzeuge der Wolfsburger liegt demnach aber erst bei rund 240.000 und damit unter zehn Prozent.

Der Abschluss der Austauschaktion steht weiter in den Sternen. Unklar lässt das federführende Bundesverkehrsministerium auch, wie sie künftig bei zusätzlich eingespielten Software-Updates deren Konformität prüfen will. Genereller Maßstab dafür sei, erklärt sie nur pauschal, "dass das Fahrzeug sämtliche für die Typengenehmigung relevanten Parameter auch nach der Umrüstung einhält". Volkswagen hatte im September 2015 zugegeben, bei Millionen Dieselautos weltweit ein Programm eingebaut zu haben, das im Testbetrieb Abgaswerte schönt.

Die VW-Untersuchungskommission des Verkehrsressorts hatte weitere Diesel-Fahrzeuge anderer Autobauer identifiziert mit auffällig hohen Stickoxidwerten. Bisher liegen dem Ministerium nach eigenen Angaben aber jenseits der Wolfsburger nur Konzepte von Mercedes, Opel und Porsche vor, um Emissionen stärker zu mindern. Davon betroffen wären nicht mehr als insgesamt 630.000 Fahrzeuge. Eine Freigabe erfolgte bisher nur in einem Fall.

Chronologie des Abgas-Skandals (78 Bilder)

Mitte September 2015:  Die US-Umweltschutzbehörde EPA beschuldigt den Volkswagen-Konzern, Diesel-PKWs der Baujahre 2009 bis 2015 mit einer Software ausgestattet zu haben, die die Prüfungen auf US-amerikanische Umweltbestimmungen austrickst. Zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen ist auch das California Air Resources Board (CARB) gekommen. Beide Behörden schicken Beschwerden an VW. (Im Bild: Zentrale der EPA in Washington D.C.)
(Bild: EPA
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Für andere Konzerne wie Alfa Romeo, Chevrolet, Fiat, Ford, Hyundai, Jaguar, Jeep, Nissan, Renault oder Suzuki, bei denen ebenfalls erhöhte Schadstoffausstöße festgestellt wurden, sei das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nicht zuständig und könne daher hier auch auf keine Lösungen drängen, heißt es in Berlin. Das Verbesserungspotenzial liege aber auf der Hand, was von allen Autoproduzenten eingestanden werde.

Die Bundesregierung will das schleppend verlaufende Verfahren zwar "weiter vorantreiben". Den Grünen reicht diese Ansage aber nicht. Auch mehr als ein Jahr nach Auffliegen des Abgasskandals belasteten allein von VW "90 Prozent der Schummelfahrzeuge weiterhin die Luftqualität in Städten und Gemeinden", beklagt ihr verkehrspolitischer Sprecher Stephan Kühn. Generell räche es sich nun im Blick auch auf Daimler und Co., dass Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) Autos nur freiwillig zurückrufen lassen wolle und "keine Sanktionsmittel in der Hand" habe. Nur eine europäische Zulassungsbehörde könnte zudem zusätzlich ausländische Hersteller in die Pflicht nehmen.

Der Stern wirft Dobrindt derweil auf Basis interner Unterlagen vor, den "Diesel-Skandal kleinzuhalten". Autobauer seien "milde behandelt", obwohl zumindest Opel inzwischen unter schweren Verdacht geraten sei, schreibt das Magazin. Nicht einmal die EU-Kommission sei davon überzeugt, dass die von dem Christsozialen für legal erklärten Abschalteinrichtungen verschiedenster Hersteller wirklich unbedenklich sind. Man könne das ausdrücklich "nicht bestätigen", habe eine Sprecherin der Kommission erklärt.

Bis heute hält Dobrindt laut Stern Prüfprotokolle und einen Großteil der Messdaten unter Verschluss. Bereits Anfang Mai sei ein Abteilungsleiter des Umweltbundesamtes (UBA) in einem Bericht zu einem harschen Urteil gekommen: Die Untersuchung des Verkehrsressorts zeige "überdeutlich, dass die Abgasgesetzgebung an einigen Punkten zu große Interpretationen erlaubt und diese im KBA im Sinne der Fahrzeugindustrie ausgelegt wurden".

Das Bundesverkehrsministerium hat zu den Vorwürfen auf Anfrage von heise online vom Mittwoch bislang keine Stellung genommen. Am Donnerstag wies Dobrindt im Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments zur Dieselaffäre eine Mitschuld der Bundesregierung zurück. VW sei allein für den Betrug verantwortlich, bekundete er gegenüber den Abgeordneten. Deutschland habe sofort reagiert und sei auch das Land in Europa, das "umfassend Aufklärung betreibt".

Vielen Volksvertretern wollte dies nicht einleuchten. Ihrer Ansicht nach gab es schon seit 2007 Hinweise darauf, dass mit Abschalteinrichtungen getrickst wurde und Stickoxid-Emissionen im Realbetrieb weit über den erlaubten Werten gelegen hätten. "Der deutsche Verkehrsminister sah nichts, hörte nichts und weiß deshalb auch nichts", zeigte sich die Linke Cornelia Ernst im Anschluss erstaunt. Nun lehne Dobrindt nicht nur eine Sammelklage gegen VW ab, sondern habe gar eine gesetzliche Klarstellung ins Spiel gebracht, mit der Abschalteeinrichtungen "zum Motorenschutz" im Nachhinein legalisiert werden könnten. Die Grüne Rebecca Harms warf dem CSU-Politiker vor, sich aus der Verantwortung stehlen zu wollen. (axk)