Von Öffnung keine Spur: Probleme deutscher Firmen in China nehmen zu

E-Autos, Boss und Bahn: Die deutsche Wirtschaft stößt in China auf wachsende Hürden, während chinesische Unternehmen die offenen Märkte in Europa nutzen. Gabriel hat eine lange Liste mit Klagen im Gepäck.

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Chinesische Flagge

(Bild: dpa, Alex Ehlers)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Andreas Landwehr
  • dpa
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Die Stimmung im China-Geschäft war noch nie so schlecht. Die Zahl der Beschwerden und Hilfegesuche an die deutsche Botschaft in Peking hat seit zwei Jahren zugenommen und ist gerade seit Jahresanfang noch einmal "sehr stark in die Höhe geschnellt", wie aus der deutschen Vertretung in Peking zu hören ist. Beklagt werden neue Marktbarrieren, erschwerte Lizenzverfahren, Diskriminierung gegenüber chinesischen Unternehmen, erzwungener Technologietransfer und unverändert freche Produktpiraterie.

Die Liste der Klagen ist so lang, dass die eineinhalb Tage, die Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ab Dienstag in Peking verbringt, kaum ausreichen werden. Ohnehin sorgen seine Pläne für einen Schutz vor unerwünschten Investitionen und einem Ausverkauf deutscher Schlüsseltechniken für Verstimmung in China. Dabei können chinesische Unternehmen in Deutschland und Europa nicht nur Hightech-Unternehmen, sondern auch Autobauer oder Banken kaufen, während deutschen Firmen solche Übernahmen in China untersagt sind.

Das beste Beispiel für Chinas "ökonomischen Nationalismus" ist die Entwicklung von Elektroautos. Neue Gesetzespläne fordern von Herstellern, eine Lizenz zu beantragen und nicht nur ihre Produktion in China zu lokalisieren, sondern auch den Entwicklungsprozess. Die chinesischen Partner, ohne die ausländische Autobauer ohnehin nicht in China tätig sein dürfen, müssen dafür nachweisen, dass sie die E-Auto-Technik komplett beherrschen. Somit müsse die deutsche Autofirma ihnen ihre ganze Technologie übergeben, wird geschildert.

"Wenn das geplante Gesetz so kommt, liefe das auf einen erzwungenen, kompletten Technologietransfer hinaus", sagt ein Branchenkenner. Weiter gibt es Pläne, dass Autobauer nach einem Zeitplan einen bestimmten Anteil an E-Autos in China bauen müssen, und ansonsten Minuspunkte ansammeln. Zum Ausgleich müssten sie Pluspunkte von chinesischen Konkurrenten kaufen – und würden über solche Strafzahlungen ihre lokalen Wettbewerber sogar mitfinanzieren.

Ein Brief mit einer Bitte um Aufklärung, den Botschafter Michael Clauß vor vier Monaten an den Minister für Industrie und Informationstechnologie, Miao Wei, geschickt hat, ist nach dpa-Informationen bis heute unbeantwortet geblieben. "Die ausbleibende Reaktion bestätigt unsere große Sorge, dass damit auch industriepolitische Ziele verfolgt werden", sagt eine Quelle.

Zwang zum Technologietransfer plagt auch andere Branchen. "Wir hören oft, dass Unternehmen, die in China produzieren wollen, aufgefordert werden, ihre Technologie aus Sicherheitsgründen offenzulegen", verlautet aus informierten Kreisen. "Das geschieht dann praktisch erzwungenermaßen freiwillig. Sonst wäre es auch ein Verstoß gegen die WTO-Regeln, die Zwangstransfers verbieten."

Neue Hürden schafft auch ein Punktesystem bei Ausschreibungen für Bahnprojekte. Heimische Hersteller bekommen zehn Punkte Vorsprung, Joint Ventures fünf, während ausländische Hersteller bei Null anfangen müssen. Selbst deutsche Unternehmen mit lokaler Produktion wie der weltweit führende Hersteller von Bremssystemen für Schienen- und Nutzfahrzeuge, Knorr-Bremse, der gleich nach der Öffnung durch den wirtschaftlichen Reformarchitekten Deng Xiaoping nach China gegangen ist, sind damit aus dem Geschäft.

Auch Nahrungsmittel- und Agrarimporte werden restriktiver gehandhabt. Geplante Quarantäne-Regeln könnten die Einfuhren aus Deutschland zum Stillstand bringen. Nicht mehr nur Risikolebensmittel, sondern jeder Bonbon oder jedes Biskuit müsste danach in Zukunft zertifiziert werden. "Der Gesetzentwurf hat klar die Grenze zum Schutz der Verbraucher überschritten – in Richtung eines unverblümten Protektionismus für heimische Produzenten", schreibt Botschafter Clauß in einem Artikel in der Hongkonger South China Morning Post.

Geklagt wird ferner über immer dreistere Produktpiraterie. Ein prominentes Opfer ist der deutsche Modehersteller Hugo Boss. Er unterlag vor Gericht gegen einen chinesischen Konkurrenten, der die gleichen Anzüge unter der Marke "BOSS" mit einem kleinen Schriftzug "sunwen" verkauft. In Hongkong war ihm das noch gerichtlich untersagt worden, doch China erlaubt es. Nun hat er Hugo Boss angeboten, ihm doch die Rechte für China abzukaufen. Die Liste der Probleme "ist unendlich und derart bunt, dass es schwer ist, zum Schluss zu kommen", schreibt der Botschafter. (mho)