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Was war. Was wird. Von unplatzbaren Filterblasen und dahinschmelzenden Datentöpfen.

In God We Trust? Als gäbe es Filterblasen erst seit dem Internet, mokiert sich Hal Faber, der auch gerne einen Weg ins Paradies fände, aber doch immer noch in der besten aller Welten bleibt. In der manchmal auch die geehrt werden, die es verdienen.

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Blasen

Auch ne Blase. Sogar mehrere Blasen. Die platzen ganz schnell...

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Manchen Erklärungen des "postfaktischen Zeitalters" ist nichts hinzuzufügen...

(Bild: extra 3 / NDR )

*** Da schau einer an: Die kleine Wochenschau vom Rande der norddeutschen Tiefebene hat eine wunderbare Ergänzung bekommen. #replay: heißt sie und ist ein digestiver Rückblick, der sich wie die Jahresendstatistik vor allem an den harten Zugriffszahlen orientiert. Hier geht es weiterhin subjektiv und kommentierend zu, was nicht jedersous Sache ist, auch weil das WWWW von WWWW zu WWWW als fortschreibender Kommentar begriffen werden kann.

*** Der eine kam, der andere wird nicht kommen. US-Präsident Obama besuchte Berlin auf seiner Abschiedstournee und gab höchst elegant die lahme Ente mit einem Satz, den das Bundespresseamt kurzerhand als Wahlempfehlung für Bundeskanzlerin Angela Merkel interpretierte. Nahezu zeitgleich sagte ein anderer US-Amerikaner ab, der mindestens ebenso berühmt ist: Bob Dylan kommt nicht nach Stockholm und erklärt uns Europäern nicht, was da in seinem Land mit der Wahl von Donald Trump passiert, in dem er seit 40 Jahren Tournee um Tournee bestreitet. "Vielleicht hebt er sich das nun alles für neue Songs auf," sinniert die tageszeitung. Vielleicht kommt er ja sowieso vorbei, heißt es in Schweden.

*** Da haben wir den Schlamassel: Wie können wir bloß im "postfaktischen Zeitalter" (so Angela Merkel nach der Berlin-Wahl) ohne Dylan und Obama überleben, mit "Informationen", die der neue Chefstratege Steve Bannon dem Hollywood Reporter gibt: "Dick Cheney, Darth Vader, Satan. Das ist Macht. Es hilft uns nur, wenn sie es nicht kapieren, wenn sie nicht verstehen, wer wir sind und was wir tun." Und das über die nächsten 50 Jahre in Dauerherrschaft. Um es mit Mark Zuckerberg kontextverdrehend zu sagen: "we take misinformation seriously".

*** Viel ist über Facebooks Rolle bei der Wahl geschrieben worden, noch mehr über diese Filterblasen, in der besonders diese Internet-Leute stecken sollen, die nicht mehr an Fakten und "der Wahrheit" (tm) interessiert sind. Die die Google-Suchergebnisse für unfehlbar halten und keine Aufzeichnungen von Launen. Dass Filterblasen auch ganz ohne Internet beim christlichen, ländlichen, rassistischen Amerika existieren, wo sich niemand großartig für Weltpolitik da draußen interessiert und lieber einem Gott vertraut, der Weiße ins Paradies geleitet, wird gerne ignoriert. Die gut ausgebildeten Eliten an den Küsten mögen über sie hinweg fliegen und von Globalisierungsfolgen und -Zwängen sprechen, es interessiert sie nicht da unten, so wie es sie nach dem Highschool-Abschluss nicht interessierte, auf ein College zu gehen. Was bekommen sie auch zu hören, diese rund 35 Millionen Männer und Frauen, denen wiederum die Internet-Leute auf ihrer tollen Ted-Welterklärungsplattform kurzerhand den Diskurs aufkündigen, während sie die Frage stellen, wie Amerika geheilt werden kann: "In der Moralpsychologie kommt die Intuition immer vor dem logischen Denken. Deswegen kann man politische Streitigkeiten nicht mit Vernunft und Fakten gewinnen. So funktioniert das nicht." So einfach ist das. Lassen wir das mit den Argumenten, wenn Blue Collar bedeutet, dass Leute nicht nur Arbeitsplätze verlieren, sondern auch ihr Selbstwertgefühl.

*** Wege ins Paradies? Ach, gerne, aber ich bleibe dann doch immer noch und erneut in der besten aller Welten, man kann es nicht oft genug betonen, die krampfhaftze Suche nach dem allein selig machenden Paradies führt nicht nur in religiös fanatisierten Pseudo-Staaten immer wiedr ins Verderben. Immerhin, es gab eine Zeit, in der das ländliche, das verarmte Amerika eine Ressource war, aus der die Vereinigten Staaten schöpfen konnten. Zum Tod von Jay Forrester mag man sich erinnern, dass Bauernsöhne mit technischen Basteleien Auswege aus der Armut suchten, dass Ken Olsen dann DEC gründete oder William Hewlett eben Hewlett-Packard. Es gibt das schöne Bild von Forresters Pferd Roany mit der von ihm gebauten Windkraftanlage im Hintergrund, mit der seine wissenschaftliche Karriere begann. Man mag sich auch an Forresters Mitarbeiterin beim SAGE-Projekt erinnern, der aus der Provinz kommenen Margaret Hamilton, die für ihre Apollo 11-Software nun vom scheidenden Präsidenten Obama mit der Medal of Freedom geehrt wird. Mit Bill und Melinda Gates sowie der posthum geehrten Grace Hopper sind übrigens noch zwei andere IT-Generationen bei diesem ganz speziellen Abschiedsgruß von Obama dabei.

*** Während Donald Trump nach und nach sein Kampfteam zusammenstellt, geht es bei uns sehr beschaulich weiter. Sie nennen es Einschläferung am lebendigen Volkskörper. Mit Weiter-So-Kanzlerkandidatin Merkel, Weiter-So-Bundespräsident Steinmeier und einem Weiter-Nichts-Schulz, der OettingAir nicht problematisch findet, da es "keine Alternative" zum Flug mit dem russischen Honorarkonsul gab. Doch halt, man lausche auf die Worte der Veränderung: Nach der technologischen Souveränität Deutschlands, die im Regierungsvertrag der großen Koalition als Forderung festgelegt wurde, und nachdem selbst bei den Chaos Computlern das für und wider der technologischen Souveränität abgewogen wird, bekommen wir Bürger nun die Datensouveränität. Doch was ist das eigentlich? Datensparsamkeit jedenfalls nicht, die ist altmodisch und knarzerig, wie die Uralt-Formel von der "informationellen Selbstbestimmung". Datenschutz so wichtig wie Umweltschutz? Aber Herr Bundespräsident, wo kommen wir dahin? Frau Merkel weiß es besser, sie verkündete das neue Mantra auf dem "IT-Gipfel" von Industrie und Politik:
"Wir haben jetzt auch die entsprechende rechtliche Grundlage, um das Thema Datenschutz, ich habe gehört wir nennen das in Zukunft Datensouveränität, zu bearbeiten. Die Datenschutzgrundverordnung ist eine Verordnung, aber der Minister de Maizière weist immer wieder darauf hin, dass es eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe gibt, bei denen wir jetzt aufpassen müssen, dass wir es nicht wieder so restriktiv machen, dass das Big-Data-Management dann doch nicht möglich wird."
Im Zeitalter von Big Data werden mit dem angekündigten neuen Allgemeinen Bundesdatenschutzgesetz IT-Firmen (a.k.a. Big-Data-Management) Auftragsdienstleister der ach so souveränen Bürger, die sich künftig selbst bei der Auftragsdatenverarbeitung darum kümmern sollen, ob der Datenschutz eingehalten wird oder nicht.

Was wird.

Nahezu zeitgleich mit Merkel äußerte sich "Aufpasser" Thomas de Maizière bei einer Tagung des Bundeskriminalamtes zur Zukunft der Polizei-IT. Sie ist rosig, um nicht zu sagen richtig sonnig, wie der Sonnenstaat des Dr. Herold, an den Thomas de Maizière in seiner Rede erinnerte. Da finden wir den Komplementärbegriff zur Datensouveränität, den neuen "horizontalen Datenschutz" der Polizeibehörden, der ab 2019/20 die Arbeit der Polizei erleichtern soll.
"Wie könnte ein auf die Zukunft ausgerichteter horizontaler Datenschutz aussehen? Darüber können und müssen wir miteinander diskutieren. Aber ich denke, er bräuchte ein geordnetes Zugriffsmanagement, Vollprotokollierungen mit Analysefunktionen für die Datenschutzaufsicht und ein Datenmanagement, das sich an der Qualität der Eingriffe bei der Datenerhebung orientiert. Schutz der gesammelten Daten vor unberechtigtem Zugriff und nicht Schutz der getrennten Datentöpfe, das ist effektiver und moderner Datenschutz.

Andere Zeiten: Sebastian Cobler im Kursbuch 61 über seine Erfahrungen mit Horst Herold

Was ein Datenmanagement ist, das sich an der Qualität der Eingriffe bei der Polizei ausrichtet, dürfte nun die Juristen beschäftigen: Die Datenschützer sind erstmal abgemeldet, sie bekommen vorgefertigte "Analysefunktionen" und gut ist's. Da werden also Daten angelegt, auf verschiedenen Stufen bearbeitet und weitergegeben, ohne dass die Zugriffsrechte an Rollenkonzepte gebunden sind. Das Zugriffsrecht erstreckt sich auf alle gesammelten Daten, es gibt keine "Datentöpfe" mehr, auf die nur bestimmte Personen Zugriff haben. Der Datenschatz ist in der Horizontalen hübsch gebettet, und liegt dann, es deckt ihn da keiner zu, tralala. Und, liebes Bürgerlein, nun zeige keine Sonnenstaatsverdrossenheit. Das ist sooo 80er und Sebastian Cobler ist auch vermodert. (jk)