Von blauen Flecken lernen

Die deutsche Energiewende macht den einst mächtigen Versorgern zu schaffen. Mit E.on und RWE haben zwei der größten davon 2016 mit einer Aufspaltung reagiert. Doch das kann nur der Anfang für ein grundlegendes Umdenken sein.

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E.on lagerte seine fossilen Kraftwerke in eine neue Gesellschaft namens Uniper SE aus, RWE seine Erneuerbaren in die Innogy SE. Beide neuen Unternehmen sind im Herbst an die Börse gegangen. Welche Folgen hat das für die Energieversorger selbst und die Energiewende?

Christoph Burger, Senior Lecturer an der ESMT Berlin, hat bereits 2012 in seinem Buch "The Decentralized Energy Revolution" die Folgen der Energiewende für das Geschäftsmodell der großen Versorger beschrieben. Er glaubt, dass eine andere Art der Teilung sinnvoller gewesen wäre.

Technology Review: Was bedeutet die Aufspaltung von RWE und E.on für die Energiewende?

Burger: Die Energiewende war eigentlich von unten getrieben, von Privathaushalten, von Bauern. Das ging sehr stark an den Versorgern vorbei. Wenn Sie dort im Vorstand sitzen, entscheiden Sie über 500 Millionen oder eine Milliarde Euro. Und wenn es dann um 50000-Euro-Investments geht, dann ist das eigentlich zu klein. Doch dann kamen der Atomausstieg und der Wegfall des Mittags-Peaks bei den Strompreisen. Damit waren die Versorger finanziell sehr stark unter Druck.

Was können sie nun tun?

Sie können sich international ausrichten, um den regulatorischen Rahmenbedingungen Deutschlands zu entfliehen, mit ihren Kernkompetenzen bei Gas und Kohle zum Beispiel. Oder mit Windparks in den USA oder Brasilien. Umgekehrt können sie auch versuchen, in Deutschland – dem Lead-Markt für die Energiewende – neue Geschäftsmodelle zu schaffen. Versorger 2.0, also Big Data nutzen, um Zusatzservices aufzubauen. Aber dieser Markt ist momentan noch in der Entstehung, und es besteht eine hohe Unsicherheit über das Geschäftsmodell der Zukunft. Was sich allerdings schon als sehr gutes Geschäftsmodell herausbildet, ist Demand-Side-Management – Kilowattstunden vermeiden statt zu produzieren.

Aber das Geschäft machen andere doch schon längst, etwa EnerNOC.

Genau. Andere kamen früher. Und warum? Weil die Versorger natürlich den Blickwinkel haben: Ich verkaufe Kilowattstunden. Aber auf der anderen Seite haben sie natürlich auch sehr gute Beziehungen zu Industriekunden.

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Christoph Burger ist Senior Lecturer und stellvertretender Dekan für Executive Education an der Management-Hochschule ESMT Berlin. Der Betriebswirt und Ökonom war mehrere Jahre in der Wirtschaft tätig, unter anderem beim Otto Versand, bei der Bertelsmann Buch AG und bei der Beratungsfirma Arthur D. Little. In Forschung und Lehre konzentriert er sich auf langfristige Branchenentwicklungen, insbesondere in den Bereichen Energie, Innovation und Entscheidungsfindung.

Haben sich RWE und E.on durch ihre Aufspaltung dafür nun richtig aufgestellt?

Einen anderen Schnitt hätten wir für besser gehalten: Das neue Geschäft mit dezentralen Modellen und Daten in eine Gesellschaft gebracht, und alles, wo es um Großinvestitionen und Internationalisierung bestehender Geschäftsmodelle geht, in eine andere – also Kraftwerke und Netze. Die beiden haben es aber anders gemacht: Sie haben nach "fossil" und "nicht fossil" getrennt, und die Netze, Versorger 2.0 sowie die internationalen Renewables bei den Erneuerbaren mit reingenommen. Da gibt es das Problem, dass es einmal um sehr große und einmal um sehr kleine Investitionen geht. Das bietet andererseits aber auch einen Vorteil, weil das Netz reguliert ist und eine sichere Rendite liefert. Damit können sie dann die Geschäftsmodelle der Zukunft finanzieren.

Kritiker sagen: Innogy hat nur vier Prozent an erneuerbaren Energien, es sei eine Hülle ohne Substanz, die nur von überhöhten Netzentgelten profitiert. Sehen Sie das auch so?

Innogy und E.on haben ihre Kraftwerksparks, das können Sie denen nicht vorwerfen. Man muss den Leuten auch etwas Zeit geben. Wichtig ist, dass die beiden gemerkt haben, dass sie handeln müssen.

Welche Chancen haben die Unternehmen international?

E.on und RWE leiden zwar unter der Energiewende – aber sie sind auch die ersten Konzerne, die spüren, was passieren kann. Wenn sie das jetzt gut nutzen, könnte das international für sie von Vorteil sein. Wer als Erster die blauen Flecken bekommt, lernt hoffentlich auch als Erster daraus.

Außerdem können die Erneuerbaren-Ableger jetzt ja unbeschwert loslegen, ohne auf das fossile Geschäft Rücksicht nehmen zu müssen.

Dafür kommt ein anderes Problem auf sie zu: Wir haben hier einen Kilowattstundenpreis von 30 Cent für Verbraucher. Und bald sind viele Photovoltaikanlagen abgeschrieben. Aber die fallen dann ja nicht vom Dach, sondern generieren weiter Strom – für rund 2 Cent pro Kilowattstunde. Bleiben 28 Cent für eine Speicherlösung. Diese wird kommen. Dann wären Sie als Verbraucher völlig autark. Welche Rolle soll eine Innogy, eine E.on da noch spielen?

Die großen Versorger können also so grün werden, wie sie wollen, es gibt generell keinen Bedarf mehr nach ihnen?

Kurz- oder mittelfristig ist das, was E.on und Innogy gemacht haben, sehr gut, weil sie eigene Einheiten gebildet haben, die sich auf das erneuerbare Geschäft fokussieren. Aber gerade bei dem Versorger-2.0-Modell brauchen sie noch zusätzliche Kompetenzen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass etwa ein Smart Home von RWE oder E.on gesteuert wird. Hier müssen sie sehr offen sein für Allianzen, etwa mit Google oder Apple. Und vielleicht gibt es dann nachher nicht ein Innogy, sondern zehn Innogys, die sich auf unterschiedliche Marktsegmente fokussieren.

Gerade beim Smart Home ist RWE doch seit Jahren mit dabei.

Aber mit einer proprietären Plattform. Jetzt fragen Sie mal, ob Sie sich heute mit einer proprietären Plattform noch durchsetzen können. Der Wettbewerb findet nicht mehr nur zwischen E.on und Innogy statt, sondern je nach Nische auch mit Google oder Apple. Dann muss ich schauen, ob ich gegen diese Wettbewerber ankommen kann, welche Wertschöpfung ich leisten kann, wo ich meine Rolle finde. Das erfordert ein großes Umdenken.

Das Personal der neuen Gesellschaften ist ja zum Teil das der alten. Ist es glaubhaft, damit ein Umdenken hinzukriegen?

Beide Unternehmen nehmen neues Personal mit rein. Die Frage ist: Brauchen sie einen neuen Vorstand, um das Unternehmen zu ändern, oder brauchen sie die Einsicht des Vorstands, das Unternehmen zu ändern und die richtigen Leute reinzuholen? In der Vergangenheit hatten sie eine risikoaverse Kultur, bei den neuen Geschäftsmodellen müssen sie eine risikofreudigere Kultur haben. Das heißt nicht, Geld zu verbrennen, sondern schnell zu lernen und die Lernkosten zu minimieren. Beide Konzerne haben einen eigenen Inkubator beziehungsweise eine Beteiligung an einem Inkubator, arbeiten mit Corporate Venture Capital, haben Außenposten wie zum Beispiel in Israel oder Kalifornien. Sie haben schon sehr viel gelernt und sind sehr viel offener geworden.

Haben sie auch genug Geld für die nötigen Investitionen?

Genau das ist das nächste Problem. In der Vergangenheit haben sie gern gesagt: Jetzt warten wir erst mal ab, und wenn sich bei einem Start-up ein Geschäftsmodell bewährt, dann kaufen wir es halt. Jetzt geht das nicht mehr so einfach. Außerdem wollen neue Wettbewerber wie Google, Deutsche Telekom oder Siemens das Start-up vielleicht auch übernehmen – und haben möglicherweise mehr Geld. Deshalb ist die Frage, wo die Versorger intelligent welche Wertschöpfungsstufe abdecken können. Vielleicht sind sie dann nicht der zentrale Treiber, sondern übernehmen nur einen Teil der Lösung und sind damit zufrieden. Auch das ist natürlich eine völlig neue Denke.

Die Versorger müssen sich also mit dem Gedanken anfreunden, auch mal auf dem Beifahrersitz zu sitzen?

Genau.

(grh)