Minderheitsmeinung
Über Geschmack lässt sich nicht streiten, aber nicht alles ist eine Geschmacksfrage. Schon gar nicht, wenn es um Wissenschaft geht.
Weil die Debatte immer wieder hochkocht, möchte ich an dieser Stelle heute eine Lanze für die Intoleranz brechen. Ja, Sie haben richtig gelesen: für die Intoleranz. Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand hat ein Recht darauf, dass Unfug unwidersprochen stehen bleibt.
Wovon ich eigentlich spreche, möchten Sie wissen? Suchen Sie sich was aus: Medizin, Klima, Kriminalistik, Ökonomie – in so ziemlich jeder gesellschaftlich relevanten Debatte taucht früher oder später jemand auf, der eine Minderheitenmeinung vertritt. Eine "Meinung", die sich nicht mit der vorherrschenden Lehre oder dem allgemeinen Konsens deckt. Ich schreibe "Meinung" in Anführungszeichen, weil hier die Schwierigkeiten meist schon anfangen. Denn vieles, was sich hinter dem Begriff "Meinung" versteckt, ist gar keine, und nimmt doch den Schutz der Meinungsfreiheit für sich in Anspruch, um Unfug zu verbreiten.
Der Philosoph Patrick Stokes diskutiert dieses Problem in diesem Text in dankenswerter Klarheit. Schon Plato, sagt er, habe zwischen Meinung und gesichertem Wissen unterschieden. Meinung beinhalte immer ein gewisses Maß an Unsicherheit und Subjektivität – Tatsachen dagegen sind Tatsachen. Es ist sinnlos, darüber zu diskutieren, ob eins und eins zwei ist.
Das mag banal klingen. Aber in Zeiten, in denen jemand wie Newt Gingrich, der ehemalige Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus in einem Interview einfach mal die Fakten wegwischt, ist es erfrischend. Oder nehmen wir den nächsten Präsidenten der USA, Donald Trump, der über Twitter verbreitete, der Klimawandel sei eine Erfindung der Chinesen, die sich gegenüber der US-Industrie einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollten. Das ist keine Meinung, keine politische Position, das ist schlicht obskurantistischer Unfug.
Patrick Stokes erzählt, wie er gerne zu Beginn des Semesters seine neuen Studenten schockt: "Sie alle kennen sicherlich den Spruch: Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung", sagt er ihnen dann. "Dieser Satz gilt hier nicht. Sie haben nur das Recht auf die eigene Meinung, die Sie in einer Diskussion belegen können". Schöner kann man das eigentlich nicht zusammenfassen.
P.S. Grade eben noch ein passendes Zitat dazu gefunden: "Die Energie, die nötig ist, um Bullshit zu widerlegen, ist um eine Größenordnung größer als die, ihn zu erzeugen." (Alberto Brandolini)
(wst)