Post aus Japan: Verhandeln mit dem Gaspedal

Ob Verbrennungsmotoren, Hybridautos und reine Stromer, manuelle Schaltung, Automatikgetriebe oder CVT: In Nippon gibt es gerade viel Innovation bei Antrieben wie Getrieben.

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Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Meine jüngste automobile Überraschung war nicht etwa ein Roboterauto, sondern ein Getriebe. Toyota stellte kurz vor Weihnachten ein Automatikgetriebe mit zehn Gängen aus. Das soll das Fahrerlebnis in PS-starken Fahrzeugen durch besonders rhythmisches Schalten noch sportlicher und ausgeglichener machen.

Aber nicht diese Begründung, sondern Vervielfältigung der Gänge rief drei Fragen in mir hervor: 1. Warum geht das jetzt, obwohl mir ein Getriebehersteller vor ein paar Jahren noch sagte, dass schon Acht-Gang-Automatikgetriebe groß und schwer wären? 2. Warum nicht gleich CVT, bei dem es – wie die Langform von CVT (continuous variable transmission) besagt – keine Gänge mehr gibt, sondern eine stufenlose Veränderung der Übersetzung? 3. Und daraus folgend: Wie unterschiedlich fahren sich eigentlich die verschiedenen Antriebs- und Getriebekombinationen?

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Die erste Frage lasse ich mal beiseite. Als Antwort auf die zweite Frage legte ich mir folgendes zurecht: Es wird wohl am Fahrverhalten der verschiedenen Getriebe liegen. Was mich sofort zur dritten Frage bringt, die ich hier wenigstens anhand eigener Erfahrungen beantworten will: Ja, es gibt spürbare Unterschiede und erstaunlicherweise liefert jede der ausprobierten Kombinationen andere neue Formen des Fahrspaßes.

Reine Verbrenner mit manueller oder normaler automatischen Schaltung lasse ich mal beiseite, da ihr Verhalten bei der Erzeugung von Vortrieb am ehesten vertraut ist. Beginnen wir mit einem der in Japan weit verbreiteten CVT-Getriebe, mit dem ich mich bei meinem Auto, einem Nissan X-Trail, anfreunden musste und es inzwischen auch getan habe. Denn es addiert einen interessanten Faktor in die Fahrerlebnisgleichung: die Verhandlung zwischen Fahrer und Auto über das Gaspedal.

CVT-Getriebe wurden von Testern in Europa in der Vergangenheit dafür kritisiert, dass es beim Beschleunigen eine Art Gummibandeffekt gibt. Tatsächlich versucht das Getriebe, den Motor möglichst in einem spritsparenden Umdrehungsbereich zu halten. Das führt dazu, dass die Umdrehungen pro Minute (U/min) beim normalen Beschleunigen und gleicher Stellung des Pedals nicht wie bei einem "normalen" Getriebe steigen, sondern fallen.

Ein Beispiel aus dem Alltag: Wenn ich gemütlich und sparsam durch den Stadtverkehr zuckeln will, hat sich folgendes Fahrverhalten im Öko-Modus als optimal herausgestellt. Ich beschleunige auf etwa 2000 U/min, halte das Gaspedal mit dem Fuß in dieser Stellung, während der Wagen bei fallender Drehzahl sanft auf etwa 50 Kilometer pro Stunde beschleunigt.

Wenn ich die Drehzahl jedoch durch einen kontinuierlichen stärkeren Tritt aufs Gaspedal konstant halte, beschleunigt der Wagen schneller. Und wenn ich das Pedal aufs Bodenblech trete, geht es im Sprint voran, besonders wenn ich vorher mit einem Knopfdruck am Schalthebel den Sportmodus eingeschaltet habe. Dann lässt das Getriebe deutlich höhere Drehzahlen zu, um mehr Leistung aus den 1997 Kubikzentimetern Hubraum zu schöpfen.

Dieses Verhandeln mit dem Gaspedal gibt wenigstens mir einen kleinen zusätzlichen Reiz, der den Tokioter Stadtverkehr mit seinem Durchschnittstempo von 20 bis 28 km/h etwas interessanter gestaltet. Doch es gibt noch ein anderes Auto, das mir ein ähnliches Zusatzvergnügen bereitet hat.

Es handelt sich um einen Hybrid, genauer den Nissan Fuga Hybrid. Diese Sportlimousine war zwei Autos in einem: ein teuflischer Fahrspaß mit 368 PS Systemleistung und einer Beschleunigung, die die Gesichtszüge gestrafft hat; und ein engelsgleicher Ökowagen, bei dem ich als Fahrer nach dem Schalten in den Ökomodus immer versucht war, das Gaspedal so sanft zu behandeln, dass der Wagen möglichst lange nur mit dem Elektromotor fuhr. Dieses ständige Spiel zwischen Mensch und Motorsteuerung wirkte überraschenderweise ähnlich befriedigend wie starkes Beschleunigen – wenigstens in meinem Fall.

Ein neues Verhandlungserlebnis machte ich bei meiner jüngsten Ausfahrt mit einem elektrisch angetriebenen Auto, dem Nissan Note e-Power. Bei dem verhandelt der Gasfuß allerdings nicht beim Treten aufs Pedal mit dem Auto, sondern beim Herunternehmen. Warum das so ist, muss ein wenig erklärt werden.

Bei Nissan steht e-Power für eine neue Zwischenstufe in der Evolution vom Benzin- zum Elektroauto. Der Kleinwagen Note hat zwar einen Benzinmotor an Bord. Doch der dient nur dazu, Strom für den Elektromotor zu generieren, der allein das Auto anschiebt. Ein weiteres Merkmal ist die vergleichsweise kleine Batterie, die den Wagen nur wenige Kilometer rein elektrisch bewegen kann.

Dieser Rückgriff auf fossilen Brennstoff als Energiespeicher erlaubt es Nissan, durch den Einsatz eines kleinen Akkus sowohl die Kosten, den Benzinverbrauch und den Zeitbedarf beim Laden (sprich: Tanken) niedrig zu halten, während der Wagen gleichzeitig die Reichweite eines Benziners hat.

Doch um den Verbrauch auf 100 Kilometer wirklich unter die Drei-Liter-Marke drücken zu können, nutzt der Note rabiater als alle bisher von mir getesteten Hybrid- oder Elektroautos eine weitere Quelle: die Bremsenergie. Eine rasche Entlastung des Gaspedals fühlte sich beim Note an wie ein relativ forscher Tritt auf die Bremse bei einem Benziner. So stark ging die Motorbremse als Dynamo ans Werk.

Dies führte zu einem neuen Fahrverhalten: Die Beschleunigung ist zwar bei einem Stromer eine sehr eindimensionale Erfahrung. Fuß senken und der Wagen gehorcht wie gewohnt mit einem steten Anstieg des Tempos. Nur ruckelt da kein Wechseln des Gangs, wenn man dem Motor nicht künstlich "Gänge" einprogrammiert hat. Dafür verhandelt der Fuß nun beim Bremsen mit dem Auto. Eine langsame Verringerung des Drucks aufs Gaspedal sorgt für ein sachtes Abbremsen, ein rascher Rückzug des Fußes zu einem Simultannicken bei den Fahrzeuginsassen. Die Bremsbeläge werden geschont, der Akku geladen.

In diesem Sinne meine japanische Lehre für Autokäufe: Natürlich muss letztlich das Paket aus Verbrauch, Betriebskosten, Funktionalität, Handling, Design und Kosten stimmen. Aber wer auf Fahrspaß setzt, muss ihn nicht mehr nur über PS und Beschleunigung messen. Andere Antriebe und Getriebe schaffen neue, kleine Momente der Fahrfreude. ()