Ganz unkompliziert

Im Mercedes Simplex auf der Rallye London-Brighton

Heute braucht man die Kenntnisse eines Automobilhistorikers und die Muskeln eines Bodybuilders, um diesen Mercedes zu starten. Doch bei seinem Debüt galt er als so unkompliziert, dass ihn angeblich Kaiser Wilhelm II. persönlich auf den Namen Simplex taufte

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  • Thomas Geiger/dpa
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Heute braucht man die Kenntnisse eines Automobilhistorikers und die Muskeln eines Bodybuilders, um diesen Mercedes zu starten. Doch bei seiner Vorstellung galt er als so unkompliziert, dass ihn angeblich Kaiser Wilhelm II. persönlich auf den Namen Simplex taufte.

Einsteigen, anlassen und losfahren: Was für Autofahrer heute ganz normal ist, darüber kann Michael Plag nur lachen. Obwohl es bitterkalt ist an diesem Novembertag im Londoner Hyde Park, steht der Mechaniker im Schweiß und schnauft fast so laut wie der Motor. Denn bevor er mit mehr als 400 anderen Oldtimern aus den Kindertagen des Autos zur legendären Rallye nach Brighton aufbrechen kann, muss er erst einmal den 6,8 Liter großen Motor seines Mercedes Simplex zum Laufen bringen. Und das ist eine ordentliche Plackerei. Schließlich wiegt allein das 60 Zentimeter große Schwungrad des Reihenvierzylinders 40 Kilogramm.

Kurz schlagen Flammen hervor

Zur Kraft braucht es aber auch Können: Wenn Plag vorher nicht so viel Öl gepumpt hat, bis in den Schaugläsern im Cockpit stete Tröpfchen fallen, von Hand die Kompression im Zylinder erzeugt und entsprechend Druck auf der Benzinleitung gebracht hat, wird er nie am ältesten Autorennen der Welt teilnehmen. Und statt wie damals im November 1896 die Befreiung des Automobils vom „Red Flag Act“ zu feiern, muss er auf ewig im Hyde Park stehen.

Doch der Mechaniker aus dem Mercedes-Museum hat das Glück des Tüchtigen und schon nach ein paar schweren Schwüngen huscht ein Lächeln über sein Gesicht: Es zischt zwei, drei Mal. Unter der offenen Motorhaube schlagen kurz die Flammen hervor, dem Auspuff entweicht eine dunkle Wolke, und dann stellt sich ein Tuckern ein, das tapfer seinen Takt hält wie das Herz eines gut trainierten Sportlers: 114 Jahre nach seiner Jungfernfahrt ist der Rennwagen bereit und nimmt die knapp 100 Kilometer nach Brighton unter seine Holzspeichenräder.

Heute, da man zum Starten oft nicht einmal mehr einen Zündschüssel braucht, klingt diese Routine nach automobiler Steinzeit und ist etwa so antiquiert wie die Fahnenschwenker, die bis zu eben jener ersten Ausfahrt von London nach Brighton jedem Auto mit einer roten Flagge vorauslaufen mussten und so buchstäblich den Fortschritt eingebremst haben.