"Wir haben keine Wundermaschine": Eine Analyse des Würzburger Facebook-Prozesses

In einem Verfahren vor dem Landgericht Würzburg wird gerade die Frage geklärt, ob und in wie weit Facebook für fremde Postings verantwortlich ist. Für das soziale Netzwerk könnten haftungsrechtliche Dämme einreißen.

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Facebook

Kläger Anas M. (2.v.r.) mit seinem Anwalt Chan-jo Jun am Montag vor dem Würzburger Landgericht.
 

(Bild: heise online/ joh)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Joerg Heidrich
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Schon der Ort ist für derartige Verfahren ungewöhnlich: Ausgerechnet vor dem Landgericht Würzburg fand am gestrigen Nachmittag eine mündliche Verhandlung statt, deren Ergebnis für den Social-Media-Giganten Facebook durchaus unangenehm werden könnte. Formal geht es um zwei Fotos, die im Rahmen des Netzwerkes geteilt wurden. Durch die Verwendung der beiden Bilder fühlte sich Anas M., ein Flüchtling aus Syrien, in seinen Rechten verletzt. Für Facebook geht es aber durchaus um mehr. So fürchteten etwa deren Anwälte in dem Verfahren nicht weniger als das Einreißen von haftungsrechtlichen Dämmen.

So war auch der Andrang vor Gericht immens. Aufgrund des großen öffentlichen Interesses wurde die Verhandlung extra in einen größeren Raum verlegt. Über ein Dutzend Kamerateams umlagerten die Prozessbeteiligten. Im Gerichtssaal blieb der Platz neben Facebook allerdings leer, da der zweite Verfügungsbeklagte, ein AfD-Politiker aus Kerpen, nicht erschienen war. Dieser hatte eines der Bilder als eigenen Beitrag hochgeladen und sich geweigert, es zu löschen. Gegen ihn wurde ein Versäumnisurteil beantragt. Verhandelt wurde dann vor drei Richtern, die nach eigenem Bekenntnis alle drei nicht über Facebook-Accounts verfügen.

Eine Analyse von Joerg Heidrich

Joerg Heidrich ist Justiziar und Datenschutzbeauftragter bei Heise Medien und gehört als Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht selbst zu der berechtigterweise aussterbenden Gattung der Nutzer von Faxgeräten.

Verfahrensgegner ist die Facebook Ireland Limited als Betreiberin der Plattform für User außerhalb von Amerika. Inhaltlich geht es in dem Verfahren (Az.: 11 O 2338/16) um zwei Bilder des Syrers, der durch sein Selfie mit Bundeskanzlerin Merkel bekannt wurde. Auf der Social-Media-Plattform wurde dieses Selfie neben Fahndungsfotos der Berliner Polizei vom Mordversuch gegen einen Obdachlosen gezeigt. Dazu wurde die Beschreibung ergänzt: "Obdachlosen angezündet. Merkel machte 2015 Selfie mit einem der Täter!" Hier sollte offenbar eine Ähnlichkeit von einem der Täter mit M. suggeriert werden, die offensichtlich auch viele Nutzer bereitwillig geglaubt haben. Tatsächlich hatte M. mit der Tat nicht das Geringste zu tun.

Facebook wurde über das erste Bild, was einen klaren Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Syrers darstellt, mit Hilfe der Meldefunktion informiert. Als Antwort kam jedoch nur der Hinweis, dass die Abbildung "nicht gegen Gemeinschaftsstandards verstoße " und daher auch nicht gelöscht werde. Eine Antwort auf eine Anfrage per Mail erfolgte nicht. Erst später hat das Netzwerk dann allerdings explizit benannte Postings gelöscht. Dies reichte dem Betroffenen jedoch nicht. Er will, dass das Hetz-Bild gänzlich von Facebook gelöscht wird, also auch bei mehr als fünfhundert anderen Nutzern, die es geteilt haben.

Das zweite Bild zeigt das Selfie von M. und Merkel in einer Fotomontage vor dem Breitscheidplatz mit dem im Rahmen des Anschlags verwendeten LKW und der Aufschrift: "Es sind Merkels Tote". Inhaltlich sei dies nach Ansicht des Antragstellers eine sogar zulässige Meinungsäußerung. Allerdings sei der Syrer im Gegensatz zu Merkel keine Person der Zeitgeschichte, deren Bildnis man ohne sein Einverständnis für eigene Zwecke verwenden darf. Vielmehr soll die Nutzung des Bildes unter anderem gegen das Recht am eigenen Bild aus den Paragrafen 22, 23 des Kunsturheberrechtsgesetzes (KunstUrh) verstoßen. Der entsprechende Antrag in dem Verfahren ist laut einer FAQ des Klägeranwalts daher darauf gerichtet, es zu untersagen Bildnisse von M. ohne dessen Zustimmung in Verbindung mit Terroranschlägen und Straftaten zu verbreiten.

Da das zweite Bild auf Basis einer Urheberrechtsverletzung bei Facebook gemeldet wurde, reagierte das Netzwerk mit der Antwort, dieses sei gesperrt und in Deutschland nicht mehr sichtbar. Tatsächlich wurde eine IP-basierte Sperre für das Bild für hiesige User errichtet. Allerdings war die Abbildung aus dem Ausland, z. B. aus Österreich, immer noch sichtbar. Mit dem Verfahren wird nun versucht, auch diese Zugriffsmöglichkeiten zu unterbinden. Schadensersatz oder Schmerzensgeldansprüche sind dagegen nicht Inhalt dieses Verfahrens und können in der gewählten Form des juristischen Eilverfahrens nicht durchgesetzt werden.

So ging es in der Verhandlung auch in erster Linie um die Frage, ob und wie Facebook für fremde Inhalte, die von den Usern hochgeladen werden, rechtlich verantwortlich ist. Die eigentlichen Verbreiter der beiden Bilder waren dagegen nicht mehr zu ermitteln. Grundsätzlich haften Plattformbetreiber nach Paragraf 10 des Telemediengesetzes (TMG) solange nicht für fremde Inhalte, wie sie keine Kenntnis von diesen aufweisen. Werden sie jedoch darauf aufmerksam gemacht, dann müssen sie rechtswidrige Inhalte nach dem Gesetzeswortlaut unverzüglich löschen oder sperren. Tun sie dies nicht, so haften sie auf Unterlassung und unter Umständen sogar auf Schadensersatz.

Unstreitig hatte Facebook mehrere zunächst gemeldete Fundstellen der Bilder für Zugriffe aus Deutschland gesperrt. Diese sind allerdings nach wie vor aus dem Ausland abrufbar. Nach Aussage des Klägers habe man über das Facebook-eigene Meldesystem allerdings 40 weitere Stellen mitgeteilt, an denen die Bilder veröffentlicht sind. Es sei aber nur eine geringe Anzahl der bemängelten Postings tatsächlich gesperrt worden. Facebook sei überdies sogar verpflichtet, das eigene Angebot hinsichtlich der Abbildungen zu durchsuchen und diese zu löschen, nicht nur zu sperren.

Dem widersprachen die Anwälte von Facebook allerdings. Dies sei schon technisch gar nicht möglich. Facebook habe keine "Wundermaschine", die in der Lage sei, das Netzwerk auf die Existenz von Bildern und Texten zu durchsuchen. Dieser doch etwas erstaunlichen Einlassung widersprach der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun, der M. in diesem Verfahren vertritt, dann auch vehement unter Verweis auf die überaus rege Löschpraxis etwa bei Urheberrechtsverletzungen oder Nacktbildern.

Die Frage, ob Facebook zu einer dauerhaften Überwachung des Contents seiner Nutzer verpflichtet, war zwischen den Parteien der eigentlich strittige Punkt. Gerade auch eine proaktive Überwachung von Nutzerpostings, wie sie derzeit auch von Seiten der Politik gefordert wird, sehen Bürgerrechtlern äußerst kritisch als "Türöffner für Zensur".

Anwalt Chan-jo Jun wird von Pressevertretern befragt.

(Bild: heise online/ joh)

Für Kopfschütteln sorgten die Vertreter von Facebook schließlich, als sie explizit auf die Schadensersatzpflichten hinwiesen, die ein Kläger im Fall des Erlasses einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung zu leisten hat. M. sei als Flüchtling sicher finanziell eher schwach ausgestattet und könne sich dies möglicherweise nicht leisten. Als Drohung wollte man dies aber ausdrücklich nicht verstanden wissen.

Eine gütliche Einigung, etwa durch eine einmalige Zahlung von Schmerzensgeld, konnte zwischen den Parteien nicht erreicht werden. Immerhin wolle man über eine vom Gericht angeregte Lösung nachdenken, die eine Löschung der Bilder im europäischen Bereich vorsieht. Kommt diese nicht zustande, so wird das Gericht am 7. März seine Entscheidung verkünden. Dies wird allerdings höchstwahrscheinlich nicht das letzte Wort sein. Anwalt Jun kündigte für seinen Mandanten bereits an, auch Schadensersatzansprüche durchsetzen zu wollen und eine höchstgerichtliche Entscheidung anzustreben. (kbe)