AOL macht politischen Druck bei der Flatrate

Unterstützt von einer neuen Studie will der Online-Dienst mit einem Lobbyistenbüro in Berlin der Regierung Dampf machen.

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Wenn die Internet-Wirtschaft in Deutschland boomen soll und die Pläne zur Umstellung auf das E-Government greifen sollen, muss sich die Bundesregierung jetzt für eine erschwingliche Flatrate stark machen. Das ist für Uwe Heddendorp, Vorsitzender der Geschäftsführung von AOL Deutschland, die verkürzte Schlussfolgerung einer Studie der Universität Münster über "Akzeptanzhürden des Internet in Deutschland". Der AOL-Chef forderte in einer Pressekonferenz in Berlin heute die politischen Entscheider auf, "die Richtung vorzugeben" und die Verhinderungspolitik der Deutschen Telekom zu beenden: "Wenn die Bundesregierung sagt, wir müssen die Gesellschaft ins Internet bringen, dann muss sie sich auch im nächsten Schritt für günstige Pauschalpreise einsetzen."

Wenn die Deutschen einen Spitzenplatz in der Oberliga der vernetzten Nationen einnehmen wollten, müsste das Internet hierzulande "wie ein Massenmedium" genutzt werden, sagte Heddendorp. Von einer "kritischen Masse" der Surfer sei Deutschland aber noch weit entfernt. "Rund 20 Millionen Nutzer gibt es hier, aber nur 40 Prozent davon gehen täglich ins Internet", weiß der AOL-Chef. Selbst die Erwartungen der Bundesregierung, die Ende 2000 mit 25 Millionen deutscher User gerechnet habe, seien damit nicht erfüllt worden. Wie seit einem guten Jahr in Deutschland in Mode gekommen, warnt Heddendorp daher vor der drohenden digitalen Spaltung, die gravierende wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen würde: Denn wenn Deutschland nicht online geht, sei Schluss mit dem Traum von neuen Arbeitsplätzen und sinkenden Verwaltungskosten.

Was noch fehlt zum großen Glück ist laut Heddendorp vor allem eine Flatrate für einen Preis zwischen 40 und 50 Mark im Monat. Dass die Minutenkosten für den Netzzugang im vergangenen Jahr um bis zu 80 Prozent gesunken seien, reiche nicht aus, um die Bürger scharenweise ins Internet zu treiben. "Da haben die Verbraucher ja immer keine Ahnung, welche Löcher die Preise ihnen in die Kasse reißen", fürchtet der 1995 von Bertelsmann zu AOL Europe gelangte Marketingexperte. Kosten in Höhe von rund 90 Mark im Monat, die für den pauschalen T-DSL-Breitband-Zugang bei der Telekom anfallen, würden gerade "einkommensschwächere Haushalte" zudem sicher nicht ausgeben. Bleibe also nur die günstigere Flatrate für alle zum Einstieg ins Netz mit Geschwindigkeiten zwischen 56 und 64 kBit pro Sekunde, mit der AOL in den USA und Großbritannien gute Erfahrungen gemacht habe.

Für diesen Tarif sieht Heddendorp in Deutschland eine "extrem hohe Nachfrage". Er rechnet mit einem möglichen Anstieg der Internetnutzung von "500 Prozent in zwei Jahren", falls die Flatrate unter 50 Mark liege. "Das wäre eine Initialzündung für die Telekommunikationsindustrie, für die Dot.Coms und für die Zugangsanbieter", ist sich der AOL-Chef sicher. Auch Multimedia-Agenturen und die Betreiber von Call-Centern würden davon profitieren. Im vergangenen Jahr hat der Provider, dessen Nutzerzahlen sich in England nach der Einführung einer Monatspauschale von rund 15 britischen Pfund im Herbst laut Heddendorp schon fast verdoppelt hätten, bereits in einer Studie prognostiziert, dass hierzulande mit einer vergleichbaren Flatrate rund 400.000 Arbeitsplätze innerhalb eines kurzen Zeitraums neu zu schaffen wären.

Inzwischen hat sich das Unternehmen, das in Deutschland momentan rund zwei Millionen Kunden bedient und 2000 Mitarbeiter beschäftigt, erneut wissenschaftlichen Sachverstand ins Boot geholt: In einer heute vorgestellten Untersuchung machen Miriam Meckel, Professorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Uni Münster, sowie ihr Kollege Bernd Holznagel, der an derselben Hochschule Staats- und Verwaltungsrecht lehrt, als größte "E-Barrier" für die Internetnutzung in Deutschland die "minutengetakteten Zugangskosten" aus. Die "Onlinebeteiligung" der deutschen Bürger liege daher weit hinter der von US-Amerikanern oder Skandinaviern, wo sie zwischen 55 und 60 Prozent erreicht habe. Dadurch sei, meint Meckel, die "langfristige soziale und wirtschaftliche Anschlussfähigkeit der Gesellschaft" in Gefahr.

In ihrer Studie listen die Sozialwissenschaftler weitere Punkte auf, die die Verbreitung des Internet blockieren: Dazu zählen neben zu hohen Kosten für die erforderliche Computerausrüstung die mangelnde Kompetenz der Verbraucher, mit den Datenwelten etwas Nützliches anfangen zu können, genauso wie mangelnde Sicherheit und Datenschutz im offenen Netz. Meckel und Holznagel bemängeln allerdings auch, dass die Bundesregierung keine echte Vorreiterrolle übernommen habe und gestartete Initiativen zwischen Bund und Ländern nicht abgestimmt würden. So vermisst Holznagel "eine Person in der politischen Führungsriege", die so wie AOLs Werbeheld Boris Becker "fürs Internet steht". Er empfiehlt dem Kanzler daher, schnellstmöglich einen "E-Beauftragten" oder eine Ressort-übergreifende Arbeitsgruppe einzurichten.

Die nötigen Anstrengungen zur Vernetzung der Bürger sind für Meckel sogar vergleichbar mit der Einführung der Schulpflicht in Preußen vor rund 100 Jahren. So wie es damals ums Lesen und Schreiben gegangen sei, müsste es jetzt um die Internetkompetenz der Schüler gehen. Holznagel erinnerte sogar daran, dass die Einführung des Hörfunks erst mit dem staatlich subventionierten Volksempfänger "richtig abgegangen" sei. Heute käme dem Staat aber eher eine Bündelungs- und Vorbildfunktion zu. "Wirtschaft, Verwaltung, die Universitäten und die Bürger selbst – alle müssen das Problem des aufbrechenden digitalen Andreasgraben gemeinsam anpacken", ergänzt Meckel, die als "jüngste Professorin Deutschlands" gilt und vom März an das Amt der Regierungssprecherin des Landes Nordrhein-Westfalen antreten wird.

Um die Politik auf die Defizite aufmerksam zu machen und Nachhilfe im Bereich Internet zu geben, eröffnet AOL heute Abend als "erstes Unternehmen der Internet-Wirtshaft" ein "Verbindungsbüro" unweit des Reichstags. "Die E-Community und die Politik haben bisher kaum Berührungspunkte, es fehlt ein gemeinsames Grundverständnis", weiß Jan Mönikes, der die Hauptstadt-Repräsentanz des Hamburger Unternehmens leitet. Der alte Hase im Lobbying-Geschäft – der 30-Jährige war jahrelang als Parlamentarischer Mitarbeiter für den Internetexperten der SPD, Jörg Tauss, sowie für den heutigen Staatsminister im Kanzleramt Hans Martin Bury tätig – will in den neuen Räumlichkeiten "zielgruppenspezifische Gespräche" mit Politikern in kleiner Runde durchführen. Dort sei es für die Abgeordneten und Regierungsmitglieder sicher einfacher als in öffentlichen Veranstaltungen, zuzugeben, etwas nicht verstanden zu haben.

Im Bereich Flatrate wird auf Mönikes nun harte Arbeit zukommen. Bisher verhindern laut Heddendorp die hohen Minutengebühren, die die Deutsche Telekom von ihren Konkurrenten für die Benutzung ihrer Ortsnetze verlangt, die von AOL geforderte Flatrate. Mitte November hatte die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) die Telekom dazu verdonnert, eine günstigere Großhandelsflatrate bis zum 1. Februar einzuführen. Zwar hat das Unternehmen ein Angebot zu solch einer Großhandelsflatrate vorgelegt, die bei der Konkurrenz aber auf wenig Gegenliebe stieß. Außerdem wehrt sich die Telekom gerichtlich gegen die Umsetzung der Anordnung. Mönikes' erste große Aufgabe wird es daher sein, die Bundesregierung, die nach wie vor Mehrheitsgesellschafter bei der Telekom ist, an den Beschluss des Regulierers zu erinnern und auf die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für das Internet zum günstigen Pauschalpreis zu dringen.

AOL plant laut Heddendorp, nach Einführung einer Großhandelsflatrate die Verbraucherpauschale im 50-Mark-Bereich spätestens innerhalb von drei Monaten anzubieten. Bisher kostet die nicht weiter vermarktete Flatrate bei dem Provider 78 Mark und damit eine Mark weniger als bei T-Online. Den Bedenken der Deutschen Telekom, wonach sich Flatrates als reiner Verlustbringer erweisen, will sich der AOL-Chef nicht anschließen: Seiner Meinung nach profitieren letztlich alle von der Monatspauschale, auch die Telekom könne schließlich mehr ISDN-Anschlüsse dadurch verkaufen. (Stefan Krempl) / (jk)