Gesetzeskontrolleur: Erst die Flüchtlingswelle hat E-Government etwas vorangebracht

Vor allem Vertreter der Kommunen stellten sich bei einer Anhörung gegen die Regierungspläne, mit denen die elektronischen Verwaltungsangebote ausgebaut und vernetzt werden sollen. Der Streit dreht sich hauptsächlich ums Geld.

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(Bild: dpa, Ole Spata)

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Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates, zeigte sich am Montag in einer Anhörung im Bundestag erleichtert, dass die Politik mittlerweile die Weichen rund um digitale Dienste der staatlichen Verwaltung neu stellen will. Voriges Jahr habe er angesichts einer einschlägigen Studie noch die Ansage machen müssen: "E-Government in Deutschland gibt es de facto nicht", konstatierte Ludewig. Zuvor sei die Resonanz auf seine seit Jahren alarmierenden Hinweise verhalten gewesen. "Richtigen Schub" habe dann erst "die Flüchtlingskrise gegeben".

Die zunehmende Migration und die damit verknüpften Herausforderungen haben dem früheren Bahnchef zufolge gezeigt, welche beschränkten IT-Möglichkeiten es bei den Ländern und auch bei der Polizei bis vor Kurzem noch gegeben habe: "Da war nichts miteinander kompatibel." Seitdem hätten die Verantwortlichen zumindest "einen Zahn zugelegt" und endlich erkannt, wie weit Deutschland im E-Government zurückgefallen sei, nämlich "im EU-Ranking auf Platz 18 hinter Italien". Ihm sei unerklärlich, wie ein derart gravierendes Struktur- und Standortproblem so lange unter den Teppich habe gekehrt werden können.

Prinzipiell befürwortete Ludewig das Vorhaben der Bundesregierung, bis 2020 die elektronischen Verwaltungsangebote von Bund, Ländern und Kommunen deutlich auszuweiten und eine "Portalverbund" einzuführen. Damit würden qualitativ andere Anstrengungen unternommen, um die hiesige E-Government-Misere anzugehen. Das langjährige CDU-Mitglied mahnte aber: "Es muss zu einer konstruktiven Zusammenarbeit von Bund und Länder kommen", auch der zeitliche Druck über die Fünfjahresfrist sei richtig und wichtig. Die nötige Kooperation könne letztlich nur über den IT-Planungsrat erfolgen.

Andere Experten sehen in den Entwürfen der Exekutive einen Versuch, das noch vergleichsweise junge Schnittstellengremium zwischen Bund und Ländern auszuhebeln. Zusammenarbeit "müsste gefördert werden, das atmet das Gesetz aber nicht", gab Matthias Kammer vom Deutschen Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) zu bedenken. Die Initiative erlaube es, "von der Bundesebene bis in die letzte Kommune vermeintlich durchzuregieren". So solle bei dem Portalzusammenschluss etwa "aus Sicherheitsgründen" der Einsatz konkreter Komponenten vorgeschrieben werden.

Der frühere Chef des Länder-IT-Dienstleisters Dataport warnte vor der Ansicht, "die Bevölkerung wartet dringend auf dies alles". Die meisten Bürger hätten nicht täglich Termine beim Amt und seien gerade gegenüber staatlichen Stellen um die Sicherheit ihrer persönlichen Daten besorgt. Zudem wären bei dem geplanten "Servicekonto" eine "eindeutige Identifizierung" und ein leichter Zugang nötig: "Das wird nur was, wenn Convenience über Sicherheit gewinnt in diesem Fall."

Hoffnungen auf eine eierlegende Wollmilchsau bei der Pforte zum digitalen Rathaus dämpfte Jürgen Henning Müller von der Bundesdatenschutzbehörde. Vor allem die einheitliche Steuernummer darf laut dem Rechtsexperten nicht zur Authentifizierung bei Online-Portalen verwendet werden. Das Bundesverfassungsgericht habe längst klargestellt, dass ein einheitliches Personenkennzeichen, mit dem Bürger umfassend kategorisiert und Profile gebildet werden könnten, mit der Menschenwürde unvereinbar sei. Auch eine Pseudonymisierung der ID etwa mit einem Hashverfahren ändere daran nichts, da der Personenbezug damit letztlich erhalten bleibe.

Bei der alternativ einsetzbaren Online-Funktion des elektronischen Personalausweises (eID) gebe es derweil nach wie vor ein "Akzeptanzproblem", ergänzte der nordrhein-westfälische Beauftragte für Informationstechnik, Hartmut Beuß. Der "große Durchbruch" werde sich da wohl erst abzeichnen, wenn breite Anwendungsmöglichkeiten in der Wirtschaft erschlössen würden. Beim neuen Perso habe die Politik "ein Auto ohne Räder geliefert", hieb Helmut Fogt vom Deutschen Städtetag in die gleiche Kerbe. Die essenzielle Zutat "wäre das Lesegerät gewesen".

Als größtes Manko betrachtete Fogt aber die ungeklärte Kostenfrage für den Portalverbund. Die vorgesehene Vernetzung sei "mit erheblichen Kosten" verbunden, die Rede von 1,7 Milliarden Euro Investitions- und Betriebskosten, die durch später Effizienzgewinne kaum mehr wettgemacht werden könnten. Schließlich gebe es Überlegungen im federführenden Bundesinnenministerium, eine einheitliche Struktur übers Layout "bis hin zu den berühmten Lebenslagen" zu schaffen, die einen Einstieg in digitale Verwaltungsleistungen erleichtern sollen. Dafür müssten viele bestehende städtische Portale neu aufgesetzt werden. Eine "intelligente Verknüpfung" sei durchaus von den Kommunen gewollt, "aber wir haben Vorbehalte gegen Zentralismus".

Die von der Regierung ins Spiel gebrachte Grundgesetzänderung, wonach der Bund die alleinige Gesetzgebungskompetenz erhalten soll, um den Zugang zu Behördendiensten auszugestalten, hielt Kay Ruge vom Deutschen Landkreistag für überzogen. Schon jetzt habe Berlin die Kommunen mit Gimmicks wie einem "einheitlichen Ansprechpartner" in IT-Fragen und Angeboten wie De-Mail konfrontiert, was das E-Government aber nicht vorangebracht habe. Was der Bund nun alles regeln wolle auf der Suche nach einem Dachportal, wirke sich innovationsfeindlich und "eher monopolisierend" aus. Helmut Krcmar von der TU München meinte dagegen, dass der IT-Planungsrat jahrelang keine Standards für gemeinsame E-Government-Dienste gesetzt habe, der Bund also Vorgaben für Interoperabilität machen sollte. (axk)