Klartext: Premium Paid Beta Test

Neufahrzeuge sind unzuverlässiger als junge Gebrauchte

Wenn einem Autofahrer der Kragen platzt aufgrund einer Murphy'schen Häufung von Reparaturen, dann sucht er sein vermeintliches Heil gern im Neuwagenwunsch. Aber neu fahren heißt fast immer beta fahren

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

„Ich kaufe mir jetzt ein neues Auto, dann hat sich das erledigt mit Defekten!“ So lautet ein typischer Ausruf von Fahrern alter Klumpen, die noch nie ein Neufahrzeug gekauft haben. Sollten sie ihre Ansage verwirklichen können, kommen sie vom Regen in die Traufe, denn ein Auto ist so komplex, dass ein fabrikneues mitnichten besonders niedrige Ausfallzahlen zeigt, sondern im Gegenteil besonders hohe.

Die Hersteller geben sich natürlich alle Mühe, sorgfältig zu testen. Tatsächlich läuft das Testprozedere bei Fahrzeugen dann auch deutlich besser als zum Beispiel bei Unterhaltungselektronik, die trotz viel geringerer Anforderungen viel häufiger Ausfälle zeigt. Letztendlich läuft das Problem auf Systemkomplexität hinaus. Wollte der Autohersteller so viel testen, dass die Ausfälle auf eine irrelevant geringe Anzahl reduziert würde, dann müsste der Kunde dafür viel mehr zahlen.

Das möchte er verständlicherweise nicht. Der Neukunde zahlt daher nicht in Devisen, sondern in ausgerissenen Haaren, denn er führt den Langzeit-Echtwelt-Test des Fahrzeugs durch. Davon profitiert die Mehrheit der Autokäufer, die diese Autos dann übernehmen, wenn jemand anders ihre Kinderkrankheiten durchgestanden hat. Irgendwo zwischen Kinderkrankheiten und Altersverschleiß liegt ein Optimum der Zuverlässigkeit, je nach Hersteller und Modell im Bereich von ein, zwei, drei Jahren Betatest.

Rückrufe, Rückrufe!

Bei den etwas weniger komplexen Motorrädern liegt der Fall kaum anders. Meine neu gekaufte KTM 690 Duke R hatte einen KBA-Rückruf wegen einem Massekabel, das am Rahmen durchscheuern kann, einen ohne jede Regenfahrt beschlagenen Tacho, der auf Garantie getauscht wurde, ein Ölleck am Zylinderkopf und die Bremsscheibenaufnahme der hinteren Felge ist so schief gefräst, dass sie den hinteren Schwimmsattel beim Rollen hin und her bewegt. Man kann sich glaube ich vorstellen, wie das bremst. Das Problem wird verschärft durch Boschs MSC, das bei jedem Start neu aktiviert bei einer Bremsung am Handhebel beide Räder bremst statt wie beim Motorrad immer noch üblich nur das vordere. Das ist jetzt auch als Garantiefall eingetragen. Ich fahre das Motorrad sehr gern, würde es aber lieber kaufen, wenn jemand anders diese Werkstatt-Trips für mich schon gemacht hätte. Auch die kleine Kawasaki Ninja 300 hatte drei Rückrufe und ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass die vordere Bremse eine Fehlkonstruktion ist.

Gerade recherchiere ich Nissans Leaf wegen einer Gebrauchtberatung. Die ersten Versionen hatten drei KBA-Rückrufe: die Lenkradbefestigung konnte sich lösen, der Startknopf konnte sich verklemmen und der Beifahrer-Airbag konnte sich trotz besetztem Beifahrersitz abschalten. Dazu stellten Nutzer schnell fest, dass die Federbeinaufnahmen von oben voll Wasser liefen, das dann dort stehen blieb, um Rost zu füttern. Oder sie stellten in heißen Gegenden fest, dass der chemische Energiespeicher dort schneller altert, als sie hofften (beides keine KBA-Rückrufe).