Es wird doch nicht immer alles nur schlechter

Klartext: Fortschritt vs. Vorurteil

Der Deutsche ist von Natur aus eher ein Pessimist. Er sieht, was nicht geht, was schlecht ist, was früher besser war. Das hat seine Gründe und seinen Nutzen, diesmal jedoch wollen wir sehen, was gut gelaufen ist

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Ich arbeite als Schreiber. Als solcher verdiene ich nicht viel, deshalb schreibe ich so viel Quatsch, denn ich werde nach Volumen bezahlt oder Bürositzzeit. Informationsbrocken fallen mir zufällig auf den Kopf, nur manche davon durchdringen den Schädel. Meine Fehlerrate wäre im Beruf des, sagen wir: Gasturbineningenieurs nicht hinnehmbar. Aus dieser Position heraus ergibt sich mein Konflikt mit dem technischen Fortschritt. Ich wusste vielleicht einmal, was Sache war. Dann drehte sich die Welt unbemerkt unter mir weiter. Die dumme Sau. Danach schrieb ich unabsichtlich Quatsch, der nur wenige Jahre zuvor kein Quatsch gewesen wäre. Entgegen anderslautender Meldungen auf Facebook bewegen wir uns nicht zurück ins Mittelalter, sondern es geht immer noch Einiges voran. Der Fortschritt ist besser als sein Ruf. Man muss ihn nur bemerken. Ich versuche es einmal.

Argumente die mein Weltbild bestätigen

Ein konservativ-ängstliches Argument gegen Automatisierungstechnik blieb mir klar im Gedächtnis: "Wenn wir die schlechte Performance heutiger Fahrhilfen anschauen, wie soll dann es jemals ein Auto auch nur einen Kilometer alleine durch einen von Radfahrern durchsetzten Stadtverkehr schaffen?" Das Argument blieb mir deshalb im Gedächtnis, weil ich als Mensch alle Argumente liebe, die mein Weltbild bestätigen. Mein Weltbild zu dieser Zeit bestand aus Testfahrten, in denen mich Fahrhilfen in ein nervliches Wrack verwandelt hatten. Die Notbremslampe flackerte ständig auf und schrie, sobald ein Blatt vom Baum fiel. Die Seitenradare verzweifelten an der Fahrstreckenbegrünung. Die Abstandstempomaten fuhren alle wie empfindlich verspätete Vertreter in Audis: Bremse, Gas, Bremse, Bremse, Gas, Gas, Vollbremsung, Lichtzeichen, Fehlermeldung. Der Alltag zeigte, wo die Technik wirklich stand.

Von außen

Wer die Ablehnung solcher Systeme verstehen will, muss sich in diese Zeit zurückversetzen, indem er entsprechende Baujahre fährt. Doch die Baujahre (O Wunder!) änderten sich. Das erste Mal fiel es mir im Frühjahr 2016 auf. Ich irrte durch eine mittelalterliche Innenstadt im Norden Spaniens. Irgendwo bog ich falsch ab. Das führte dazu, dass ich versehentlich zwanzig Meter eine Einbahnstraße gegen ihren Strich fuhr. Die Stadt war menschenleer, bis auf einen Peugeot-Fahrer mit Einbiegewillen, der mich sah und wütend Vollgas gab, um mich durch lautes Hupen plus einen Auffahrunfall zu belehren. Es gibt solche Menschen. Doch das Auto machte nur das typische "Kronk!", das diese Notbremssysteme von sich geben, dann stand er da und verfluchte mich bis in die neunte Generation. Ich entschuldigte mich gestikulierend aus Gewohnheit. Wirklich froh war ich jedoch nicht über ihn, sondern über die Notbremse, die den Fahrer zwar noch weißer erglühen ließ, den Unfall aber vermieden hatte.