Wieso erlebt der Kampfradler eine so feindselige Realität?

Klartext: Im Kopf des Kampfradlers

Für manchen Radfahrer scheint es das Höchste, wenn er endlich eine riskante Situation provoziert hat, über die er sich echauffieren kann. Dieser Satz wird wahrscheinlich provozieren. Ich halte ihn aber für wahr

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 326 Kommentare lesen
Klartext 6 Bilder
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Für manchen Radfahrer scheint es das Höchste, wenn er endlich eine riskante Situation provoziert hat, über die er sich echauffieren kann. Ja, mir ist vollkommen bewusst, wie quer manchem Leser dieser Satz im Hals stecken wird, ich habe sogar eine Probefahrt mit ebendieser Buchstabenfolge auf Facebook unternommen zur Messung des Querwinkels. Er beschreibt jedoch eine Wahrheit, die es nicht nur unter Radfahrern gibt, sondern auch unter Motorradfahrern. Was treibt diese Leute zu ihren extremen Auswüchsen des passiv Aggressivseins an?

Der Anlass zu diesem Text war meine Probefahrt im neuen E-Golf. Ich überholte einen Rennrad-Fahrer. Um ihm bestes Verhalten zu zeigen, ließ ich über drei Meter Abstand beim Überholen, beschleunigte nur langsam, und aufgrund des Elektroantriebs blies ihm der VW auch keine Abgase in seine Ansaugkanäle. Am nächsten Kreisverkehr dann staute sich der Autoverkehr, sodass der Radfahrer wieder aufschloss. Ich fuhr in den Kreisverkehr, blinkte rechts, schaute über die Schulter und blickte auf sich unter Elasthan und Polyamid deutlich abzeichnende Geschlechtsteile, denn der Radler wollte mich gerade rechts überholen, mit einem Abstand von etwa 30 Zentimetern. Ich bremste, aber er hatte auch schon gebremst, wahrscheinlich in Reaktion auf den Blinker. Überhaupt war alles zu spät: Er gestikulierte mir seinen fürchterlichen Ärger.

Das war eng, ja. Es war eng, weil er von hinten bis auf fast Kontakt heranfuhr und dann im Kreisverkehr rechts ohne nennenwerten Abstand überholen wollte, obwohl in einem Kreisverkehr die Wahrscheinlichkeit, dass andere Verkehrsteilnehmer nach rechts abbiegen, bei etwa 100 Prozent liegt. Schon 20 cm mehr Abstand hätten seinen Schreck am Blinker vermieden. Ein einfaches Hinterherfahren oder links überholen hätte ihm eine zehntausendmal sicherere Route durch den Kreisverkehr erlaubt, die selbst im konservativen Fall nur zwei Meter gekostet hätte (vielleicht fuhr er ja auf Zeit). Er hatte eine haarige Situation provoziert. Ich hatte eine Berührung verhindert. Vielleicht hatte ihn auch gerade das so aufgeregt. Das Schlimmste fand ich an der Situation jedoch, dass dieser Mensch ganz sicher am Abend allen seinen Radfahrerfreunden erzählt, wie ihn heute wieder ein Autofahrer umbringen wollte.

Der Kampfkradler

Er erinnerte mich an einen Bekannten, der dasselbe Verhalten auf dem Motorrad zeigt. Er fährt gern sehr dicht auf Autofahrer auf. Wenn sie dann mit zu geringer Blinkzeit vorher abbiegen oder sonstwie sündigen, hupt er, wedelt mit der Faust, schimpft und das Höchste für ihn war immer, wenn er sich vor sie setzen konnte, um ihnen eine Standpauke zu halten über ihr asoziales Verhalten. Meistens hielt er diese Standpauke dann unsicheren Fahrern, denn ein Handelsvertreter macht durch beständige Übung einfach wenige Fahrfehler pro Streckeneinheit. Wenn wir später von den Maschinen stiegen, erzählte er uns seine Sicht der Dinge: „Habt ihr gesehen? Fast hätte sie mich umgebracht!“ Wir hatten es gesehen. Er hätte sich fast selbst, naja, wahrscheinlich nicht umgebracht, aber vielleicht wehgetan. Und die arme Frau hatte einen kleinen Fehler gemacht, der ihm nicht einmal aufgefallen wäre, wenn er nicht mit unter einem halben Meter Abstand hinter ihr wütende Schlangenlinien gefahren wäre wie eine fallobstberauschte Hornisse.

Den Satz vorher in den Facebook-Piranhatopf werfen hat sich als ergiebig herausgestellt. Es erinnerte mich an die alten Klassenausflüge im Usenet von de.rec.motorrad nach de.rec.fahrrad, wenn wir über Radwege oder Katzen trollten. Denn auf so einen Satz melden sich sofort Radfahrer, die (mit Variationen im Ausdruck) in etwa diesen Satz sagten: „Das kann ja nur ein Autofahrer schreiben. Wer je mit dem Fahrrad in einer Großstadt mal gependelt ist, weiß genau, dass Autofahrer einem ständig die Vorfahrt nehmen. Du bist als Radfahrer für die das Letzte.“