Tricorder aus dem Baumarkt

Diagnosegeräte, die wie bei "Star Trek" beliebige Krankheiten diagnostizieren, sind noch Science-Fiction. Aber nicht mehr lange.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Dr. Christina Czeschik

Die Szene ist jedem "Star Trek"-Fan bekannt: Enterprise-Bordärztin Dr. Crusher hält mit kreisenden Handbewegungen einen Sensor in die ungefähre Richtung eines Patienten – und runzelt sorgenvoll die Stirn, während sie die Diagnose vom Display ihres Tricorders abliest.

Bis sich Ähnliches auch in Hausarztpraxen abspielt, dürften noch einige Jahre vergehen. Aber der erste Schritt ist getan: Die gemeinnützige XPrize Foundation hat die Gewinner ihres Tricorder-Wettbewerbs gekürt. Die Aufgabe bestand darin, ein tragbares Gerät zu entwickeln, das fünf Vitaldaten messen und zwölf Krankheiten diagnostizieren kann. Es muss zudem weniger als 2,3 Kilogramm wiegen und von Laien zu bedienen sein.

TR 6/2017

Die US-Stiftung hatte den Wettbewerb 2012 ausgerufen. Ursprünglich sollte der Gewinner bereits 2016 feststehen. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Schwierigkeiten größer waren als erwartet. Die Anforderungen wurden teilweise gesenkt, die Siegerehrung mehrmals verschoben, bis sie am 12. April endlich stattfinden konnte.

In die Schlussrunde kamen sieben Finalisten. Ausschlaggebend für den Gesamtsieg war dann die diagnostische Genauigkeit. Hier lag DxtER (gesprochen "Dexter") des US-Start-ups Final Frontier Medical Devices vorn. Gegründet hatte es der Notarzt Basil Harris mit seinen Brüdern. Ihm war bei seiner Arbeit aufgefallen, dass viele Menschen wegen Bagatellen in die Notaufnahme kamen, weil sie keinen Zugang zu Hausärzten hatten. Zudem störte es ihn, wie mühselig es war, die Daten dieser Patienten zu erheben. Anfangs haben die Brüder nach Feierabend an dem Tricorder gebastelt. Mittlerweile ist ihr Team auf sieben Spezialisten angewachsen.

Auf Platz zwei landete die Dynamical Biomarkers Group mit ihrem DeepQ. Das Unternehmen sitzt in Taiwan, wird von Chung-Kang Peng von der Harvard Medical School geleitet und vom Smartphone-Hersteller HTC unterstützt. Beide Systeme messen – wie vom Reglement vorgeschrieben – Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung des Blutes, Atemfrequenz und Körpertemperatur. Darüber hinaus erkennen sie Blutarmut, Vorhofflimmern, die chronische Lungen-erkrankung COPD, Diabetes mellitus, Leukozytose (eine erhöhte Konzentration weißer Blutkörperchen), Lungenentzündung, Mittelohrentzündung, Schlafapnoe und Harnwegsinfektionen.

Weitere drei Krankheiten durften die Teilnehmer aus einer Liste auswählen. Die Harris-Brüder entschieden sich für Bluthochdruck, Pfeiffersches Drüsenfieber und Keuchhusten. Das taiwanesische Team wählte ebenfalls Bluthochdruck, darüber hinaus schwarzen Hautkrebs und Windpocken.

Zu Beginn der Diagnose fragen sowohl DxtER als auch DeepQ zunächst ausführlich die Vorgeschichte des Patienten ab. Ein Expertensystem schließt anhand der Antworten bereits einige der möglichen Diagnosen aus. Schon an dieser Stelle gab es die ersten unerwarteten Schwierigkeiten: Patienten mit der gleichen Erkrankung nehmen ihre Symptome unter Umständen völlig unterschiedlich wahr.

Nach der Anamnese kommen die Sensoren zum Einsatz. DxtER besitzt eine Handgelenksmanschette, einen Fingerkuppensensor für die Sauerstoffsättigung, eine Kamera sowie ein Atemanalysegerät. DeepQ ist ähnlich ausgestattet, hat aber statt einer Atemanalyse einen chemischen Sensor für Blut und Urin. Die Daten werden jeweils drahtlos an Smartphones oder Tablets übertragen und in der Cloud analysiert.

Das US-Team bekommt nun ein Preisgeld von 2,5 Millionen Dollar, die Zweitplatzierten eine Million. Mit weiteren 5,5 Millionen sollen alle sieben Finalisten gefördert werden – etwa damit sie ihre Tricorder als Medizinprodukte bei der US-Gesundheitsbehörde FDA zertifizieren können. Dann ließen sie sich zum Beispiel über Baumärkte verkaufen.

Das eigentliche Ziel ist aber eine bessere Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Zugang zu medizinischen Einrichtungen. Dynamical Biomarkers überlegt, ihren DeepQ in abgelegenen chinesischen Dörfern zu testen, in denen ausgebildete Ärzte rar sind. Bei DxtER gibt es konkrete Pläne für einen Einsatz in Mosambik.

So klobig die Systeme im Vergleich zu den handlichen Tricordern aus der Science-Fiction auch wirken mögen – wenn sie sich dort bewähren, würden sie ihre Vorbilder zumindest in einer Hinsicht übertreffen: Selbst bei "Star Trek" hantieren nur Dr. Crusher und ihre Kollegen damit herum, keine medizinischen Laien. (bsc)