Warum fährt man am Fischereihafenrennen in Bremerhaven?

Klartext: Die bronzene Ananas

Am Fischereihafenrennen von Bremerhaven kann man Pfingsten so verbringen, dass man es nicht mehr vergisst. Es geht eigentlich um nichts bei diesen Rennen, aber dann wieder doch um alles im Leben. "Warum tu ich mir das an?", fragt er sich und tut es sich dann wieder an

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Mir fällt keine größere emotionale Achterbahn ein als der Motorsport, vor allem der im weiten Bereich zwischen den wenigen gut bezahlten Racing-Profis und Amateuren, die ganz ohne Geldverdienst zum Spaß mitfahren. „Warum tu ich mir das an?“, dürfte wohl die häufigste Frage in den Fahrerlagern rund um die Welt lauten. Hier ein Porsche für eine halbe Million Euro an der Betonwand Macaus zu Kernschrott verdichtet. Dort eine Renn-Ducati nach zehnfachem Rittberger in den Reifenstapel gezwirbelt, sodass sie danach ausschaut wie ein exotisches Metallkunstwerk, das brennt. Und da haben wir noch nicht von den körperlichen Kosten gesprochen, die der junge Mensch als günstig auf Kredit hinnimmt, bis sie ihm im Alter mit Zinsforderungen kommen. Wenn nichts kaputt geht, kriegst du üblicherweise für dein gesammelt an einem Renntag verbranntes Gespartes einen feuchten Händedruck, weil es ja nur drei Podiumsplätze gibt, aber Millionen Menschen mit mehr Geld oder Talent als dich.

Die Fahrerlagerfrage lässt sich dennoch sehr einfach beantworten: Du tust das, weil du nicht anders kannst. Eine bestimmte Sorte Mensch hat den Drang zu siegen, selbst, wenn es aus Laienbetrachtung um nichts geht. Für den Racer geht es jedoch sehr wohl um etwas. Es geht darum, besser zu sein, und sei es nur besser als der Nächstplatzierte. Ich habe einmal an der Rennstrecke einen Motorradfahrer getroffen, der Zeiten aus dem Graupenkalender fuhr, und selbst der hatte sich seinen eigenen Besser-Benchmark gezimmert, der da war: Wenigstens bin ich der Beste, der sich noch nie gefratzt hat. True story.

Im Schatten des Trawlers

All das schwamm mir im Kopf herum, als wir endlich in Bremerhaven anlegten zum Fischereihafenrennen. 800 Kilometer gefahren, denn wir mussten ja noch ein Motorrad abholen. Das startete natürlich nicht, also Batterie erst laden, dann wegen Defekts doch tauschen, dann passte es nicht in den Bus, dann halfen wir beim 18-Tonner leerräumen, damit sie da mitfahren kann. Prüfstandslauf. Ritzel tauschen am anderen Motorrad. Als wir am Freitagabend das erste Fischbrötchen einnehmen konnten, schielten wir beide bereits derart, dass ich meinen Plan hinterfragte, den Kollegen Toby aus Entspannungsgründen zu begleiten.

Das letzte Mal war ich vor zehn Jahren beim Fischereihafenrennen. Es pfiff ein eiskalter, feuchter Wind durch den Norden. Die Redaktions-Delegation MO aus Stuttgart-Degerloch wärmte sich an ihren Vorräten mitgebrachter Tannenzäpfle, sponsored by Chef. DAS war noch entspannend. Als Neuling in der Motorradszene drehte ich freudig unbedarft wie die anderen dummen Kinder an Gasgriffen mit angeschlossener Beschleunigerpumpe, bis die Mechaniker mich freundlich, aber bestimmt auf Entfernung komplimentierten. Fischbrötchen. Mettwürste. An Bars herumhängen. Bis auf die Kälte alles sehr urlaubig. Dieses Mal war es umgekehrt. Die Sonne schien fast durchgängig warm auf den Hafen. Aber es war alles viel zu aufregend für Urlaubsgefühle, weil ich in Verdrängung meiner Nachtschichten bei den 24 Stunden von Le Mans Toby zusagte, ihm etwas zur Hand zu gehen, wo er doch in zwei Klassen startete. Das stellte ich mir nicht schwer vor. Sind ja genügend Leute da, dachte ich. Da werde ich Bücher lesen und überfällige Texte fertig schreiben, dachte ich. Wenn der Mensch so denkt, lacht Gott herzhaft.

Entspannend auch die Show an sich. Der Wettbewerb des Rennens erreicht den Zuschauer üblicherweise etwas abstrakt. Rein logisch versteht er schon, dass die Buben da ihre Hälse riskieren, das Herz kann sich aber nicht um alle 30 Mann eines Feldes gleichzeitig gleich stark sorgen. Doch wenn du irgendjemandem hilfst, dann hast du deinen Fahrer, und der ist fortan das einzig Wichtige im Feld – Position egal. Man sorgt sich um ihn wie um ein Kind, wenn er da draußen seine Runden zieht. Am ärgsten trifft es immer die Freundinnen oder Frauen. Manche wollen gar nicht mehr zu den Rennen kommen, weil sie die Sorge jedes Mal so zerrüttet. Aber dann kommen sie eben doch. Da standen wir dann bangend um den Bub an der Strecke. Habe ich alle Verschraubungen noch einmal kontrolliert? Wenn er in einen Strohballen einschlägt, vom Motorrad geschleudert wie eine Puppe, werde ich mich mitschuldig fühlen, denn ein besseres Setup hätte das doch sicherlich verhindert!

Das Tal der Ananassafttränen

Ich fand, das Zeitfahren lief super. Toby fand, das Zeitfahren lief kacke. Die Diskrepanz erklärt sich aus dem Fahrerfeld: Zum 60sten Jubiläum des Fischereihafenrennens nahmen einige sehr schnelle Menschen die ersten Plätze für sich in Anspruch. „Wir fahren hier nur um die goldene Ananas“, sagte Toby, „und selbst die wird einem verwehrt!“ Er wollte diese Ananas haben. Er wollte aufs Podest. Das gestaltete sich wohl zäher als gedacht.

Mechaniker Micha von MGM Yamaha stellte ihm dann erst einmal die MT-09-Rennmaschine etwas auf ihn ein, während der Rest von uns das Fahrerlager nach einem Ersatz für die im Training weggeflogene Lenkkopfschraube suchte (“Ich hab‘ mich schon gewundert, was da beim Wheelen so klackt.“). Zack, eine Sekunde schneller im zweiten Zeittraining als im ersten. Ich noch zufriedener. Toby noch unzufriedener. Zeit für Logik meinerseits. Mit der Startaufstellung (Startplatz 5) in der Hand argumentierte ich: „Schau, den Ersten kriegst du hier sowieso nicht, der fährt viel schneller als schon der Zweite. Aber ab Zwei liegen alle so dicht, dass alles drin ist. Der Startplatz ist super für die erste Kurve. Alles richtig gemacht im Zeitfahren.“