Chrome-Werbefilter: "Nicht der Untergang des Abendlandes"

Google will ab 2018 einen Werbefilter in seinen Browser Chrome einbauen. Insbesondere Verlegerverbände befürchten, dass der Konzern zu seinen eigenen Gunsten neue Werberegeln durchsetzen will. Im Gespräch mit der c't wirbt Oliver von Wersch, Experte für Online-Werbung, jedoch für das Projekt.

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Chrome-Werbefilter: "Nicht der Untergang des Abendlandes"
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Oliver von Wersch leitet Lab "Better Ads" im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) und arbeitet in dieser Funktion mit der "Coalition for Better Ads" zusammen. Vorher war der Experte für Online-Werbung beim Verlag Gruner+Jahr tätig und im Vorstand des Online-Vermarkterkreises im BVDW

c't: Google hat angekündigt, ab 2018 einen Werbefilter im Browser Chrome zu aktivieren, um die störendsten Werbeformen auszufiltern. Der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger nennt dieses Vorgehen heuchlerisch. Wie sehen sie dies?

Oliver von Wersch vom arbeitet als Leiter des Lab "Better Ads" vom Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) mit der "Coalition for Better Ads" zusammen.

Wersch: Man muss das im Kontext sehen: Google hat zwar das Chrome Ad Filtering angekündigt. Die Kriterien jedoch, welche Werbeformen ausgefiltert werden sollen, werden von der Coalition for Better Ads erarbeitet. Dies ist ein unabhängiges und branchenweites Gremium, an dem auch der Bundesverband Digitale Wirtschaft beteiligt ist. Es handelt sich also nicht um den Alleingang eines Unternehmens. Insofern müssen wir den Kollegen vom BDZV widersprechen: Der neue Ad-Filter ist aus unserer Sicht nicht der Untergang des Abendlandes, sondern eine Maßnahme, bei der die ganze Branche zusammenarbeiten kann.

c't: Wie funktioniert die Arbeit in der Coalition for Better Ads?

Wersch: Die Arbeit in der Coalition for Better Ads bestand bislang im Wesentlichen aus der Durchführung einer Panel-Befragung, bei der wir die Wirkung bestimmter Werbeformen untersucht haben. Am Ende entscheidet der Vorstand darüber, welche Ergebnisse publiziert werden und welche Werbeformen wir nicht mehr empfehlen.

c't: Bei der Publikation der ersten Empfehlungen stach insbesondere ein Ergebnis hervor, das viele Leser nicht überraschen wird. Auto-Play Videos in Artikeln werden sehr stark abgelehnt.

Wersch: Viele Werbeformen, die nun auf dieser "Blacklist" stehen, sind nicht sehr überraschend – das ist sicher richtig. Teilweise sind diese Formen im deutschen Werbemarkt auch gar nicht mehr relevant – oder zumindest nicht in hohem Maße. Zum Beispiel Popup-Ads: Wenn sie auf den Webseiten surfen, die von Mitgliedern des Online-Vermarkterkreises betreut werden, werden sie dort Popup-Ads – wenn überhaupt – sehr selten finden.

Beim Thema Auto-Play-Video-Ads muss man genauer hinsehen. Spielt der Sound sofort los, wenn der Nutzer die Seite aufruft, dann muss man das sicher regulieren. Auto-Play-Video-Ads ohne aktivierten Sound sind hingegen noch nicht auf der Liste der Coalition for Better Ads enthalten. Aber diese Liste wird sicher in den nächsten Jahren immer wieder aktualisiert werden. Keine Frage: Auch im deutschen Markt gibt es Werbe-Formate, die es auf lange Sicht nicht mehr geben wird. Aber das ist ja auch letztlich das Ziel der ganzen Aktion: Wenn es nach Einführung der neuen Regeln die gleichen Werbeformen gäbe wie vorher, könnten wir wohl kaum von einem echten Fortschritt sprechen.

c't: Grund für die Verbreitung solcher Werbeformen ist, dass sie in der Regel besser bezahlt werden. Wie kriegt man Verlage an Bord, diese Werbeformen aufzugeben wenn sie doch kurz- und mittelfristig Geld in die Kasse bringt?

Wersch: Ich glaube, das Problem sind nicht die Verlage. Die jetzige Situation wurde von der gesamten Branche verursacht. Vom Publisher, über den Vermarkter, über den Adtech-Anbieter bis hin zu der Mediaagentur und dem Werbetreibenden – alle zusammen haben den jetzigen Zustand gemeinsam zu verantworten und müssen ihn nun auch gemeinsam lösen.

Würden wir nur Publisher in die Selbstverpflichtung nehmen, dann würde das dazu führen, dass es auf ihrer Seite Umsatzverluste geben würde. Wenn aber alle Marktteilnehmer an einem Tisch sitzen und sich darüber unterhalten, wie sie bestmögliche Werbewirkung einerseits und andererseits die größtmögliche Nutzer-Akzeptanz erreiche, sind die Chancen höher, dass es am Ende keinen einseitigen Umsatzverlust gibt, sondern dass am Ende der Umsatz sich einfach auf andere Formate verteilt.

c't: Rechnen Sie damit, dass das klappt? Oder müssen sich einige Marktteilnehmer doch auf Umsatzverluste einstellen?

Wersch: Ich glaube, dass der digitale Werbemarkt auch langfristig weiter wachsen kann. Er wächst eben nur auf eine andere Art mit anderen Formaten als er in der Vergangenheit gewachsen ist. Eine Entwicklung geht beispielsweise ein Stück weit weg von der klassischen Display-Werbung hin zu nativeren Formaten. Eine andere Entwicklung ist, dass sich die Nutzung von stationären hin zu mobilen Endgeräten verschieben. Dort wirken andere Werbeformate als auf dem Desktop. Wenn jetzt Google eine neue Gatekeeper-Funktion einnimmt, ist es für uns natürlich ambivalent. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir mitbestimmen können, wie diese Filter-Kriterien sind.

Die Coalition for Better Ads zeigt auf ihrer Homepage, welche Werbeformen sie für besonders nervig hält.

c't: Wenn jetzt bestimmte Werbeformen abgeschafft werden – wird der Preis für andere Werbung steigen?

Wersch: Gute Frage. Ich glaube, dass am Ende ein Bewusstsein entsteht in der Coalition for Better Ads, dass qualitativ hochwertige Werbung ihren Preis hat. Wenn Kampagnen rein auf Reichweite optimiert werden, führt das dazu, dass Publisher immer mehr Werbung in den sichtbaren Bereich quetschen. Dieses Modell wird langfristig nicht funktionieren. Leider ist unsere Glaskugel nicht tief genug, um die Entwicklungen genau vorherzusehen. Insofern darf man gespannt sein. Ich bin überzeugt, dass die Netto-Ausgaben in der Online-Werbung weiter wachsen werden. Die Frage ist, auf welche Parteien sie sich verteilen.

c't: Aus diesem Grund sehen einige in der Branche die Rolle von Google kritisch. War tatsächlich eine solch massive Intervention von Google nötig, damit Bewegung in den Markt kommt?

Wersch: Wir haben in der Vergangenheit immer wieder über die Firma Eyeo, den Hersteller von Adblock Plus, gesprochen. Mir ist ein Gatekeeper und ein Plattformbetreiber wie Google, der inzwischen sehr viel kooperationsorientierter arbeitet als noch vor fünf Jahren, der sich an Standard hält, der in Verbänden mitwirkt, erheblich lieber als eine Firma, die sich an zweifelhaften Kriterien orientiert.

Wer sollte das Problem Adblocker lösen, wenn nicht diese Runde von Unternehmen, die in der Coalition for Better Ads organisiert sind? Es wäre wahrscheinlich möglich, auch eine Selbstverpflichtung der Werbebranche zu organisieren, die weltweit Wirkung zeigt. Das wäre aber ein sehr langwieriger Prozess. Dass die Politik Werbeformen reguliert und das weltweit – das ist relativ unwahrscheinlich.

Mit Googles Adfilter gibt es jedoch einen Hebel, mit dem wir auf den gesamten Markt einwirken können. Die Browser-Hersteller sind ja mit verantwortlich dafür gewesen, dass das Adblocker-Problem technisch überhaupt entstehen konnte: Sie haben zur Verbreitung der Plugins beigetragen. Umgekehrt ist der Browser-Hersteller Google auch jemand, der technisch zur Umsetzung eines Standards für gute Werbung beitragen kann.

c't: Die Browser-Hersteller haben zur Verbreitung der Plug-ins beigetragen. Ich würde eine Gegenthese aufstellen: Die Werbebranche hat selbst Blocker massiv gefördert.

Wersch: Die Werbeindustrie hat Fehler gemacht – und das haben wir aber auch schon oft gesagt. Wir haben es übertrieben an vielen Stellen, deshalb reagieren viele Nutzer genervt. Am Ende ist der Browser-Hersteller aber das technische Tool, über das der Nutzer an seinen Adblocker kommt. Deshalb ist Verbreitung von Adblockern auf mobilen Endgeräten so viel geringer, weil der Nutzer nicht so einfach an Adblocker kommt.

c't: Glauben Sie dass über den Initiative von Google dieses Katz-und-Maus-Spiel von Adblockern und Adblock-Blockern beendet werden kann?

Wersch: Es gibt wenige Unternehmen, die tatsächlich nachhaltig wirksame technische Lösungen zum Blocken von Adblockern liefern können. Facebook hat offensichtlich eine relativ gut funktionierende Umgehungs-Lösung implementiert– allerdings nur auf der eigenen Plattform. Ich erwarte einen positiven Effekt, wenn das Chrome Ad Filtering 2018 kommt. Es wäre auch ein guter Zug von Google, gleichzeitig die Finanzierung von Adblock Plus einzustellen. Damit wäre das Problem Adblocking zwar nicht weg, würde aber kleiner.

c't: Sie haben gerade die erfolgreiche Lösung von Facebook angesprochen. Die basiert darauf dass Facebook auch keine externe Infrastruktur mit Ad-Servern angewiesen ist. Ist ein grundsätzlicher Umbau notwendig?

Wersch: Ich glaube, dass viele Probleme, die wir derzeit in der Werbebranche sehen, damit zu tun haben dass sich die Publisher, die Vermarkter, die Agenturen und Werbekunden mehr Transparenz als bisher verschaffen müssen. Was passiert in dieser technischen Auslieferungskette und wie kann ich das kontrollieren? Welche Daten werden erhoben, welche Cookies gesetzt und welche Werbeformate kommen durch meine durch meine Pipeline durch? Auch die Datenschutzgrundverordnung und EPrivacy-Verordnung, die im kommenden Jahr wirksam werden, sind eine massive Herausforderung für die Branche.

c't: Sie haben eben das Thema Tracking erwähnt. Google selbst scheint das Thema nicht auf der Agenda zu haben – so ist die Lösung Google Contributor, bei der Nutzer für werbefreien Zugang bezahlen können, ja wieder auf das Tracking von Nutzern angewiesen.

Wersch: Die Arbeit der Coalition for Better Ads hat aus unserer Sicht gerade erst angefangen. Das hängt ganz simpel auch mit einer Priorisierung zusammen. Man konnte nicht mit allen Themen gleichzeitig anfangen und daher haben wir uns zunächst auf Werbeformen beschränkt. Künftige Standards der Coalition for Better Ads müssen mehrdimensional sein, und dabei die verschiedenen Faktoren berücksichtigen, die Nutzer dazu bringen Adblocker zu installieren. Dazu gehört unter anderem die Frage, wie viel Werbung auf einer Website ausgespielt wird oder wie lange es dauert die Werbung zu laden. Und auch das Tracking ist hier sicher ein Faktor. (jo)