Blockade im Kopf
Bosch hat ein Antiblockiersystem für Fahrräder entwickelt. Braucht man das wirklich?
Kürzlich kam ein Beitrag im Fernsehen, wo es um Unfälle mit Pedelecs ging. Als eine Ursache wurde allen Ernstes genannt: Die Pedelec-Fahrer sehen auch bei vergleichsweise hohem Tempo noch entspannt aus, deshalb unterschätzen Autofahrer oft deren Geschwindigkeit.
Also, liebe Strom-Radler: Schaut künftig bitte etwas gequälter und kippt euch ab und zu ein Glas Wasser über den Kopf, damit Ihr verschwitzter ausseht. Es dient Eurer Sicherheit!
Deutlich wirksamer dürfte hingegen ein Antiblockiersystem für Pedelecs sein. Schließlich bringen sie – und ihre Fahrer – mitunter eine ziemliche Masse mit. Vor zwei Tagen konnte ich ein solches System auf der Teststrecke von Bosch ausprobieren. Ziemlich beeindruckend. Die Kombination von griffigem Asphalt, breiten Reifen und einer hydraulischen Vier-Kolben-Scheibenbremse von Magura ermöglicht ziemlich brachiale Verzögerungen. Trotzdem war es schwer, das ABS überhaupt in den Regelbereich zu treiben. Zumindest habe ich wenig von den Eingriffen gemerkt, was für das System spricht.
Es wirkt nur auf das Vorderrad, aber am Hinterrad sitzt ebenfalls ein Sensor fĂĽr die Radumdrehungen. Wenn es eine Differenz zwischen Vorder- und Hinterrad gibt, erkennt die Regelelektronik: Das Hinterrad droht abzuheben und der Fahrer ĂĽber den Lenker abzusteigen. Dann gibt sie die Vorderradbremse kurz frei.
Anders ist die Lage auf Schotter. Hier kostet es ziemliche Überwindung, voll in die Anker zu gehen. Erst beim dritten Anlauf konnte ich die Regelung bei der Arbeit beobachten: Das Vorderrad blockiert tatsächlich kurz, wird aber schnell wieder freigegeben. Passiert so etwas in der Kurve oder bei leicht eingeschlagenem Lenker, würde die kurze Verzögerung vermutlich ausreichen, um mich doch zu schmeißen. Die Physik lässt halt nur begrenzt mit sich spaßen.
Ein deutlicher Fortschritt ist das System trotzdem. Seine eigentliche Wirkung ist vor allem eine psychologische: Die eigentliche Haftgrenze ist am Vorderrad sehr viel später erreicht, als die meisten Fahrrad- und Motorradfahrer glauben. Doch ohne ABS traut sich kaum jemand, ausreichend hart in die Eisen zu gehen.
Der ABS-Regler von Bosch ist an einem Kästchen unter dem Lenker angebracht, etwa halb so groß wie ein Schuhkarton. Das muss man wirklich wollen. Eine schlanke Linie macht das System jedenfalls nicht. Es wird ab Herbst 2017 zuerst bei den City- und Trekkingrädern von Flottenbetreibern verbaut. Auf den freien Markt kommt es erst ein Jahr später.
Wenn irgendwann alle Moppeds und Pedelecs vernetzt sind, freue ich mich schon auf eine geographische Auswertung der ABS-Eingriffe. Meine Erfahrung nach zehn Jahren ABS-Motorrad ist: Wirklich vor einem Unfall bewahrt mich das ABS in Deutschland etwa null bis ein Mal in fĂĽnf Jahren. In Italien aber gefĂĽhlte drei Mal am Tag. (grh)