US-Akten belasten Ex-VW-Chef Winterkorn im Dieselskandal

Dass der Ex-VW-Chef Winterkorn an einer Sitzung Ende Juli 2015 zur Strategie gegenüber den US-Behörden teilnahm, war bekannt. Aber wie viel wusste der Konzernlenker vom Diesel-Betrug? Einem neuen Bericht zufolge mehr als bisher bekannt.

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US-Akten belasten Ex-VW-Chef Winterkorn im Dieselskandal

(Bild: dpa)

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  • dpa

Im Dieselskandal bei Volkswagen wird der frühere Konzernchef Martin Winterkorn einem Bericht der Bild am Sonntag zufolge von Kronzeugen und US-Ermittlungsakten schwer belastet. Winterkorn habe mindestens zwei Monate vor Bekanntwerden des Skandals von den Manipulationen erfahren, schrieb die Zeitung. Ein VW-Abgasspezialist habe dem damaligen VW-Chef sowie VW-Markenchef Herbert Diess bei einem Treffen am 27. Juli 2015 ausführlich die Betrugssoftware erklärt, mit der weltweit etwa elf Millionen Fahrzeuge manipuliert wurden.

"Ich hatte nicht das Gefühl, dass Winterkorn zum ersten Mal davon gehört hat", zitiert die BamS den Experten und heutigen Kronzeugen. Das Blatt beruft sich auf "Hunderte Zeugenbefragungen, FBI-Berichte, interne E-Mails und geheime Präsentationen". Volkswagen erklärte dazu auf Nachfrage: "Vor dem Hintergrund laufender Ermittlungen äußern wir uns zu den genannten Sachverhalten inhaltlich nicht." Winterkorn war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Nach Konzernangaben hat die VW-Führungsspitze um den damaligen Konzernchef Winterkorn nur wenige Tage vor Bekanntwerden des Skandals in den USA detailliert von den Manipulationen erfahren. Gegen Winterkorn, Diess, den heutigen VW-Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller sowie den VW-Aufsichtsratschef und ehemaligen Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch laufen in Deutschland bereits Ermittlungen wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Sie sollen den Kapitalmarkt entgegen der Vorschriften nicht rechtzeitig über die Probleme informiert haben.

Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen fast 40 Beschuldigte wegen Betrugsverdachts, auch gegen Winterkorn. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft war am Sonntag zunächst nicht zu erreichen. Das Bundesverkehrsministerium wollte den Bericht nicht kommentieren.

Die Sitzung vom 27. Juli hatte nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur deutlich mehr als ein Dutzend Teilnehmer, dazu kamen weitere Zuhörer wie Büroleiter oder Referenten. Die US-Kanzlei Jones Day, die im VW-Auftrag den Dieselskandal untersucht, habe in diesem Zusammenhang mehr als 50 "Interviews" geführt. Allerdings seien die Aussagen der Teilnehmer widersprüchlich, hieß es. Nicht alle Beteiligten befanden sich durchgehend im Raum; zudem sei das Protokoll der Sitzung nicht von allen unterschrieben worden.

Die kalifornische Umweltbehörde CARB war dem BamS-Bericht zufolge seit Februar 2015 von einem "Defeat Device" ausgegangen und hatte sich mehrfach mit VW-Vertretern getroffen. "Jetzt haben wir Ärger. Sie haben uns erwischt", habe ein VW-Manager nach einem Treffen mit der Behörde am 8. Juli 2015 kommentiert, berichtet das Blatt unter Berufung auf US-Akten. Die Software sollte helfen, die strengen US-Abgasgrenzwerte einzuhalten.

"Winterkorn hat niemanden angewiesen, die Existenz der Software preiszugeben. Und nur Winterkorn konnte diese Entscheidung treffen", zitiert die Zeitung den Kronzeugen. Vielmehr habe der damalige VW-Chef nur genehmigt, das Problem bei Gesprächen mit den US-Behörden "teilweise" offenzulegen. Wie der Kronzeuge nach BamS-Informationen sagte, erklärte er selbst schließlich in einem Treffen mit CARB-Vertretern am 19. August 2015 den Betrug.

Wie die BamS weiter schreibt, wurde Winterkorn, Diess und dem damaligen Entwicklungschef Heinz-Jakob Neußer in einer Sitzung am 25. August 2015 vorgerechnet, dass der Skandal den Autobauer allein in den USA bis zu 18,5 Milliarden Dollar kosten könne.

2015 hatten Behörden in den USA aufgedeckt, dass Volkswagen die Stickoxid-Werte von Dieselfahrzeugen manipulierte. Weltweit waren schließlich rund elf Millionen Autos betroffen, darunter knapp 2,4 Millionen in Deutschland. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden brach der Börsenkurs der VW-Aktie ein. Winterkorn trat bald danach zurück.

Mittlerweile hat der Konzern in den USA Vergleiche in Höhe von mehr als 22 Milliarden Euro geschlossen. Ein VW-Manager sitzt in den USA in Haft, ein langjähriger Ingenieur hat sich in einem US-Verfahren schuldig bekannt, fünf weitere Mitarbeiter sind dort angeklagt, darunter Ex-VW-Entwicklungschef Neußer. Erst kürzlich wurde im Zuge der Ermittlungen gegen die VW-Tochter Audi wegen geschönter Diesel-Abgaswerte erstmals in Deutschland ein Beschuldigter verhaftet. Ihm werde Betrug und unlautere Werbung vorgeworfen. Daneben gibt es in Europa unzählige Klagen von Aktionären und Autobesitzern gegen VW.

Chronologie des Abgas-Skandals (78 Bilder)

Mitte September 2015:  Die US-Umweltschutzbehörde EPA beschuldigt den Volkswagen-Konzern, Diesel-PKWs der Baujahre 2009 bis 2015 mit einer Software ausgestattet zu haben, die die Prüfungen auf US-amerikanische Umweltbestimmungen austrickst. Zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen ist auch das California Air Resources Board (CARB) gekommen. Beide Behörden schicken Beschwerden an VW. (Im Bild: Zentrale der EPA in Washington D.C.)
(Bild: EPA
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(ps)