Post aus Japan: Von Plastikfenstern und Mottenaugen

Ein japanischer Autohersteller setzt Polycarbonat nun auch in einem Straßenauto als Windschutzscheibe ein. Doch das ist nicht der einzige Bereich, in dem Plastik andere Bauteile verdrängt.

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Von
  • Martin Kölling
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Plastik im Automobilbau ist nicht neu. Polycarbonat beispielsweise ersetzt schon lange Scheinwerferglas und seit kurzem in ersten Modellen auch Glas in kleinen Seitenfenstern oder großen Dachfenstern. Aber nun beginnt in Japan möglicherweise ein Durchbruch von Polycarbonat in einem Bereich, bei dem der leichte, beständige und bruchfeste Kunststoff bisher nur in Rennautos, Kleinstserien oder speziellen Einsatzfahrzeugen von Sicherheitskräften mit bruch- oder schusssicheren Fenstern im Einsatz war: der Windschutzscheibe.

Der japanische Sportwagenhersteller GLM will seinen Tommy Kaira ZZ ab Herbst mit einer Frontscheibe aus Plastik ausliefern. Dabei handelt es sich um eine Polycarbonatscheibe des japanischen Materialherstellers Teijin, die dank einer Härtung nun die neuen japanischen Vorschriften für Windschutzscheiben erfüllen kann, die seit Juli gelten.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Die Japaner wollen nun weltweit nach Kunden für ihre Innovation suchen. Und sie dürften zumindest auf Interesse stoßen. Denn die Reduzierung von Gewicht wird immer wichtiger, um härtere Verbrauchsvorschriften für Benzinmotoren zu erfüllen und höhere Reichweiten für Elektroautos zu erreichen. Beim GLM-Flitzer ist die Windschutzscheibe aus Polycarbonat 36 Prozent leichter als die bisherige aus Sicherheitsglas.

Überdies ermöglicht sie ein weiteres Designkunststück für Cabrios: Die A-Säule wurde aus einem verdickten Polycarbonatrahmen ersetzt, so dass das gesamte Fenster rahmenlos erscheint. Nur war der Einsatz dieses Traummaterials bislang auf sicherheitstechnische weniger anspruchsvolle Fenster begrenzt.

Vorne scheiterte der Einsatz hingegen daran, dass der Kunststoff nicht so kratzfest wie Glas war und damit Scheibenwischer ein Problem darstellten. Doch durch ein Coatingverfahren, das das Unternehmen "Plasma CVD" (plasma enhanced chemical vapor disposition) nennt, soll Kunststoffscheibe nun der aus Sicherheitsglas ebenbürtig sein (mehr Details hier).

Doch damit nicht genug: Auch in anderen Bereichen der Außenhaut und des Innenraums von Autos ist der Kunststoff auf dem Vormarsch. Der japanische Spezialchemiekonzern Kaneka entwickelt eine aufschäumbare Polycarbonatverbindung für Karosseriebauteile. Es wiegt bei gleicher Größe eines Bauteils nur ein Drittel einer stählernen Komponente und nur Dreiviertel eines bisherigen Plastikverbundverwerkstoff des Konzerns.

Im Innenraum wiederum will der Druckkonzern Dai Nippon Printing die Sonnenblende durch eine durchsichtige Plastikblende ersetzen, die dank eines dimmbaren LCD-Films stufenlos abgedunkelt werden kann. Und das Startup Imuzak in der Präfektur Yamagata hat kürzlich eine neue Entspiegelung für Autotachos oder -displays vorgestellt, die die Augen von Motten kopiert.

Die Idee ist nicht ganz neu: 2008 erklärten beispielsweise Forscher der Max-Plank-Gesellschaft im Detail, dass Facettenaugen von Motten aus nanoskopisch kleinen, säulenförmigen Ausstülpungen bestehen und so die Reflexion von Licht vermindern. Damit verringern sie nachts die Gefahr, von Fressfeinden erspäht und verzehrt zu werden.

Der Imuzak-Gründer Kazumi Sawamura hat nun eine patentierte Methode entwickelt, rund 200 Naonometer kurze Noppen in Polycarbonat zu pressen. Bis 2020 hofft er, die Technik marktreif zu machen.

Diese Fortschritte werden zu einem Polycarbonat-Boom führen, erwarten Experten unisono. Das Marktforschungsinstitut Technavio sagt beispielsweise voraus, dass der Absatz des Kunststoffs mit der Autoindustrie als Nachfragemotor von 2016 bis 2021 von 13,8 Milliarden auf 18,9 Milliarden US-Dollar steigen wird. Und als eine führende Nation im Autobau und der Materialwissenschaften könnte Japan diesen Trend mitbestimmen.

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