Julian Assange: Mediale Wucht für Wikileaks wichtiger als Transparenz

Ein ausführliches Portrait von Julian Assange blickt auch auf den US-Wahlkampf zurück. Der Wikileaks-Gründer erläutert darin, wie er damals mit einem eigenen Algorithmus für größtmögliche mediale Aufmerksamkeit kämpfte. Transparenz war zweitrangig.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 91 Kommentare lesen
Julian Assange: Mediale Wucht für Wikileaks wichtiger als Transparenz

Mit der Welt ist Assange fast nur noch digital verbunden.

(Bild: Medialab Prado, CC BY 2.0)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Wikileaks-Gründer Julian Assange hat vergangenes Jahr extra einen Algorithmus entwickelt, der Veröffentlichungen vor der US-Präsidentschaftswahl so steuern sollte, dass sie einen möglichst großen Einfluss haben würden. Das hatte er schon angedeutet, aber für einen umfangreichen Artikel hat er dem New Yorker nun genauer erläutert, worauf es ankam.

Demnach hat er den "Stochastic Terminator" so programmiert, dass der unter Bezugnahme auf den wöchentlichen Nachrichtenzyklus vorschlägt, welche E-Mails aus dem Umfeld der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton wann veröffentlicht werden sollten, um maximale Wucht in den Medien zu erzeugen. Es ging ihm also nicht vorrangig um Transparenz, sondern um einen maximalen medialen Effekt.

In dem langen Artikel, in dem der Journalist Raffi Khatchadourian Assanges Jahre in Ecuadors Botschaft in London zusammenfasst, geht er auch ausführlich auf dessen Rolle im jüngsten US-Präsidentschaftswahlkampf ein. Dabei trägt er unter anderem die unzähligen Hinweise und Indizien zusammen, die darauf hin deuten, dass die von Wikileaks veröffentlichten Informationen von russischen Hackern stammen – mutmaßlich im Auftrag des Kreml.

Eine zentrale Figur – ein Hacker unter dem Pseudonym "Guccifer 2.0" – ist demnach nur eine Ablenkung, hinter der ebenfalls Russland steckt. Gegen diese Darstellung hat sich Assange immer wieder gewehrt. Intern habe er sich unter anderem geärgert, dass damit Putin die Anerkennung für den Hack bekomme, obwohl Wikileaks so "hart gearbeitet" habe.

Nachdem ein Hack erkannt und eine Sicherheitsfirma engagiert wurde, hatte die Demokratische Partei in den USA ihre Systeme offline genommen, um die Kontrolle zurück zu erlangen. Nur Tage später kündigte Assange Enthüllungen zu Hillary Clinton an. Aus dem Artikel geht nun hervor, in welcher Art und Weise Wikileaks offenbar von der Quelle der geleakten Daten unter Druck gesetzt wurde. Als das Portal im Juli 2016 nicht rechtzeitig mit der Veröffentlichung der weitergegebenen E-Mails begann, veröffentlichte "Guccifer 2.0" Anhänge der E-Mails, die zeigten, dass er in deren Besitz war. Kurz darauf leakte er weitere E-Mails an einen Journalisten, bevor Wikileaks dann selbst mit der Veröffentlichung loslegte. Die Reaktion von "Guccifer 2.0": "Endlich".

Bei der Veröffentlichung der E-Mails von Clintons Wahlkampf-Manager John Podesta zielte Wikileaks im Herbst dann klar auf die mediale Reaktion ab. Assange beschreibt Wikileaks in dem Zusammenhang als einen Panzer, der getarnt ist und dessen Route der Gegner nicht kennt. In diesem Zusammenhang habe Assange auch erläutert, wie wenig Probleme er damit habe, die Wahrheit zu verbiegen, wenn andere dadurch verwirrt werden könnten. Dabei habe er sich auf Geheimdienstoperationen im Zweiten Weltkrieg bezogen, erklärt Khatchadourian.

All das steht im Zusammenhang mit der wohl umstrittensten Episode in der noch gar nicht so langen Geschichte von Wikileaks – den Leaks im US-Präsidentschaftswahlkampf. Welchen Einfluss die Plattform auf die Wahl Donald Trumps hatte, wird sich möglicherweise nie klären lassen. Sicher ist aber, dass die Leaks ein großes mediales und öffentliches Interesse nach sich zogen.

Trotz damit verbundener Geschichten von echtem Nachrichtengehalt, wie Khatchadourian zusammenfasst – etwa dass Clinton unangenehm nah daran schien, gegen Spenden politischen Zugang zu gewähren – enthüllten sie keine wirklichen Skandale. Trotzdem hielten sie Beobachter in Atem und nährten Verschwörungstheorien, während der mutmaßliche Souveränitätsverlust der USA daneben verblasste.

Darüber hinaus zeichnet der äußerst lesenswerte Artikel das Bild eines Julian Assange, der von seinem selbstgewählten Exil in der Botschaft nicht nur körperlich gezeichnet ist. Die westliche Welt steht ihm zufolge kurz davor, eine orwellsche Dystopie zu werden. Das würde erklären, warum er Entwicklungen hier für kritikwürdiger hält als "konventionelle Unterdrückung" in Minsk oder Moskau. Während er sich von den USA und deren Verbündeten verfolgt fühlt, meint er, Putins Russland habe sich entschieden, die Wahrheit zu sagen. Im Zusammenhang mit der Ukraine und anderer Nachbarstaaten, würde der Kreml zwar Dinge verdrehen, aber in Bezug auf den Rest der Welt, würden sie sagen, "was meiner Meinung nach ziemlich richtig ist".

Raffi Khatchadourians Portrait von Julian Assange hat der New Yorker komplett online gestellt:

(mho)