Energie: Helgoland entschleunigt offshore

Nach einer hektischen Bauphase für drei Windparks im Meer ist Helgoland heute wieder fast so ruhig wie früher. Doch die Insel profitiert von hohen Steuereinnahmen – und will sie nutzen, um mehr Touristen anzulocken.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

Auf den ersten Blick könnte man die bärtigen jungen Männer, die an den Hamburger Landungsbrücken mit dicken Helly-Hansen-Seesäcken auf den Katamaran nach Helgoland steigen, glatt für Surfer halten. Aber wie sich bei der Gepäckausgabe nach der Ankunft zeigt, haben sie keine Sportausrüstung dabei, und anders als die anderen Passagiere gehen sie auch nicht die von kleinen Läden in niedrigen Häusern gesäumte Hafenstraße entlang in Richtung Kurpromenade. Stattdessen ist ihr Ziel eine der drei großen Industriehallen ein Stück westlich der Anlegestelle im Helgoländer Südhafen.

Jahrzehntelang lebte die rund 50 Kilometer vom deutschen Festland entfernte Nordsee-Insel Helgoland hauptsächlich von Tagestourismus und Zuwendungen des Landes Schleswig-Holstein. Doch seit wenigen Jahren ändert sich etwas: Helgoland ist zu einem Zentrum für die Offshore-Windkraftbranche geworden. Etwa 30 Kilometer nördlich liegen die Windparks von drei unterschiedlichen Betreibern mit zusammen rund 200 Windrädern und 900 Megawatt Leistung. Und alle drei lagern auf der Insel Ersatzteile und bringen die Mannschaften unter, die für Reparaturen und Wartung per Schiff oder Helikopter zu den Windrädern gebracht werden.

Mehr Infos

"Das Problem war, dass Helgoland hohe Kosten hatte", sagt Peter Singer, seit 2010 ihr Bürgermeister – fast alles, was dort gebraucht wird, muss vom Festland herangeschafft werden. "Also brauchten wir entweder mehr Einwohner, mehr Gäste oder mehr Geld von außen." Bei seiner Wahl hätten sich die Helgoländer für die Variante "Geld von außen" entschieden – also dafür, zum Standort für die damals neu entstehende Offshore-Branche zu werden.

Die Gelegenheit dafür war selten günstig. In den Jahren 2004 und 2007 hatte das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie drei Offshore-Kraftwerke genehmigt, die näher an Helgoland liegen als an jeder anderen Insel und jedem Ort auf dem deutschen Festland. Endlich also hatte die Insel weit draußen im Meer, die seit Jahren mit Einwohner- und Besucher-Schwund kämpfte, einen Standortvorteil jenseits von guter Luft und steuerfreiem Einkaufen zu bieten.

Im Jahr 2012 begannen die Bauarbeiten im Meer und an den Service-Hallen, und zeitweise waren bis zu 500 Techniker auf der Insel mit ihren rund 1.500 Einwohnern. Einer der drei Offshore-Betreiber, WindMW aus Bremerhaven, der heute mehrheitlich dem chinesischen Versorger China Three Gorges Corporation gehört, mietete sogar für zehn Jahre im Voraus das einzige Wellness-Hotel Helgolands, das Atoll Ocean Resort. Mit Ausnahmegenehmigungen versehene Lastwagen und Baufahrzeuge machten sich auf den schmalen Wegen der an sich autofreien Insel breit.

Hoffnungen auf eine steigende Einwohnerzahl aber erfüllten sich nicht, denn so schnell, wie die Offshore-Arbeiter gekommen waren, verschwanden sie nach der Inbetriebnahme der Parks im Jahr 2015 wieder – zumindest die meisten von ihnen. Um den Windpark Amrumbank West zum Beispiel, betrieben von e.on, kümmern sich jetzt im Sommer 60 Techniker in zwei Schichten. Sie kommen jeweils für 14 Tage nach Helgoland und haben dann 14 Tage frei. Im Winter, wenn das Wetter weniger günstig für Wartungsarbeiten ist, besteht das Team nur aus 15 bis 20 Personen, fast alles Männer. "Vielleicht eine Handvoll" Offshore-Techniker sei bislang ganz auf die Insel gezogen, sagt Singer.

Helgoland: Einnahmen durch Offshore-Windkraftanlagen (4 Bilder)

Das Hotel Atoll Ocean Resort ist Helgolands einziges Wellness-Hotel – und für die nächsten zehn Jahre nicht für externe Gäste buchbar.
(Bild: Sascha Mattke )

Auf dem etwas unansehnlichen Gebiet abseits der Katamaran-Anlegestelle stehen heute einträchtig nebeneinander die schmucklosen Service-Hallen von e.on, RWE und WindMW sowie der neue Hubschrauber-Landeplatz, den sich die drei Betreiber teilen (genutzt wird er wegen der hohen Kosten nur in Notfällen, also wenn ein Windpark ausfällt und das Wetter für Anfahrten per Boot zu schlecht ist). Davon abgesehen liegen im Hafen umgebaute Fischkutter mit dicker Gummischnauze für das Andocken an Windrädern. Außerdem hat sich zwischen die bunten Hummerbuden entlang des Wegs vom Hafen zu den Hotels der eine oder andere Offshore-Dienstleister gemischt.

Der Verkäufer in einem der vielen Duty-Free-Shops auf Helgoland jedenfalls ist zufrieden: "Die Service-Leute kaufen hier gern alkoholische Getränke und Zigaretten – viele sind ja Ausländer, und bei denen sind Zigaretten noch teurer als sonst in Deutschland." Weniger begeistert zeigt sich die Dame in einem der Andenkenläden: "Hier ist nicht mehr los als früher." Außerdem würden sich manche Touristen beklagen, dass der freie Blick aufs Meer gen Norden jetzt tagsüber durch die Windräder und nachts durch ihre roten Lichter gestört werde. "Dabei hieß es vorher, man würde die Parks von der Insel aus gar nicht sehen können."

Immerhin das erhoffte Geld von außen hat für die Helgoländer tatsächlich zu fließen begonnen. Laut Bürgermeister Singer betrugen die Gewerbesteuereinnahmen 2016 rund 22 Millionen Euro, 21 Millionen mehr als früher. Statt sich vom Land Schleswig-Holstein durchfüttern zu lassen, müsse die Insel jetzt zwar zwei Drittel ihrer Einnahmen abgeben – könne aber immerhin selbst entscheiden, was sie mit ihrem Anteil macht. Konkret beschlossen ist der Bau von 100 neuen Wohnungen, geplant sind Verbesserungen an der Infrastruktur, ein luxuriöses Hotel und die Sanierung des seit 2015 geschlossenen Aquariums. In zehn Jahren solle Helgoland eine hochklassige Urlaubsinsel sein, entschleunigt und mit inselweitem WLAN, sagt Singer.

Im September 2016 wurde er mit einer Mehrheit von fast zwei Dritteln im ersten Anlauf erneut zum Bürgermeister gewählt. Was noch an linker Opposition auf Helgoland zu finden ist, heißt Hans Stühmer, war früher in der SPD und wohnt in einem der schmucken Reihenhäuschen auf dem höher gelegenen Oberland der Insel. Auch Stühmer, bis zu seiner Pensionierung Leiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts auf Helgoland, sagt von sich selbst, er sei "nicht mehr politisch aktiv".

Ein bisschen plaudern kann man dann aber doch mit ihm. Das Südhafen-Gebiet, in dem jetzt die Service-Hallen stehen, sei früher grün gewesen, und auch manche der "gemütlichen Ecken", die bei Stammgästen beliebt waren, seien durch die Umbauarbeiten verschwunden, kritisiert er. Außerdem sei von den versprochenen neuen Arbeitsplätzen auf Helgoland nicht viel zu sehen. Insgesamt aber, sagt Stühmer über die Offshore-Ansiedlung, "profitieren hier natürlich alle davon". Bei der Bürgermeisterwahl 2016 hat er den Amtsinhaber Singer unterstützt.

(sma)