Ökowende: Es wirkt

Die Kosten der erneuerbaren Energien fallen drastisch, die CO2-Emissionen steigen nicht mehr, der ökologische Fußabdruck des Menschen wird kleiner – Anzeichen für den Beginn einer globalen Umweltwende.

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Lesezeit: 18 Min.
Von
  • Jan Oliver Löfken
  • Richard Martin
Inhaltsverzeichnis

Einsam ragt der gigantische Betonstumpf aus der staubigen Einöde nahe der Stadt Ouarzazate im Osten Marokkos. Noch dieses Jahr wird der Solarturm "Noor III" mit 242 Metern Höhe alle anderen Gebäude Afrikas übertrumpfen und Solarstrom mit einer Leistung von 150 Megawatt liefern. 7400 Heliostaten mit jeweils 180 Quadratmetern Spiegelfläche folgen dazu dem Lauf der Sonne und werfen deren Licht gen Turmspitze. Dank der konzentrierten Strahlen heizen sich im Turm zirkulierende flüssige Salze auf 540 Grad auf.

Die Mischung aus Kalium- und Natriumnitrat gibt ihre Hitze sogar noch nach Sonnenuntergang an Wasserdampf ab und lässt die Turbine eines Generator fast rund um die Uhr rotieren. "Dieses weltgrößte Solarturmkraftwerk spielt eine wichtige Rolle für die Energieversorgung Marokkos", sagt Mamoun Bedraoui Drissi, Projektmanager von Masen, der marokkanischen Agentur für erneuerbare Energien. Es ist das von Weitem sichtbare Symbol für die marokkanische Energiewende mit einem klaren Ziel: 42 Prozent Strom aus Sonne, Wind und Wasser bis 2020.

"Damit ist Marokko in Afrika Vorreiter bei der Umstellung auf erneuerbare Energiequellen", sagt Markus Faschina von der Kreditanstalt für Wiederaufbau, Außenposten Rabat. Die deutsche Entwicklungsbank steuert mit 864 Millionen Euro – größtenteils als zinsvergünstigte Kredite – ein gutes Drittel zu den Baukosten des Noor-Solarparks bei. 2019 soll der Noor-Komplex fertig sein und dann insgesamt 580 Megawatt Leistung aus drei Solarthermie- und einer Photovoltaikanlage liefern. Mit geringen Kosten zwischen drei und dreizehn Eurocent pro Kilowattstunde sieht sich Marokko als Vorbild für Schwellenländer. Die Nation will zeigen, dass Wirtschaftswachstum und Entwicklung mit dem Klimaschutz vereinbar sind.

Es wäre eine fundamentale Wende, und lange galt sie als realitätsfern. Nun aber belegen jüngste Fakten, dass dieses Ziel zum Greifen nah ist. Nach einer Analyse des Forschungsverbunds Global Carbon Project stagniert der globale CO2- Ausstoß seit drei Jahren trotz stetigen Wirtschaftswachstums nahezu. 2015 betrug er nur noch 0,2 Prozent. Für Studienleiterin Corinne Le Quéré von der britischen University of East Anglia ist das ein "klarer und beispielloser Bruch". Natürlich reicht er nicht. "Nun müssen die globalen Emissionen schnell sinken, anstatt nur zu stagnieren", fordert Le Quéré.

Die Aussichten darauf stehen gut. 2015 errichtete die Welt erstmals mehr neue Wind-, Wasser- und Solarkraftwerke als alle fossil oder nuklear befeuerten Anlagen zusammengenommen. 150 Gigawatt waren es laut dem aktuellen World Energy Outlook der Internationalen Energieagentur IEA. Zudem flossen 288 Milliarden Dollar in die Erneuerbaren – und damit 70 Prozent aller Investitionen im Stromsektor. "Für die kommenden 25 Jahre sehen wir Erdgas, aber besonders auch Wind und Solar als die neuen Champions", sagt IEA-Direktor Fatih Birol. Bis 2040 werden nach der IEA-Analyse neue Kraftwerke zu mehr als 80 Prozent diese beiden Energiequellen nutzen. Auch wenn Erdgas als letztes dominantes Fossil übrig bleiben wird, steckt dahinter auch eine gute Nachricht: Bei der Stromerzeugung setzt es nur halb so viel Kohlendioxid frei wie Kohle.

Noch eine dritte Zahl belegt den hoffnungsvollen Trend: Forscher mehrerer kanadischer Universitäten und von der Wildlife Conservation Society wiesen einen schrumpfenden Fußabdruck der Menschheit nach. Zwischen 1993 und 2009 wuchs die Weltbevölkerung um ein knappes Viertel, die Wirtschaft legte gar um 153 Prozent zu. Parallel stieg der weltweite Verbrauch an Ressourcen nur um neun Prozent. Noch beeindruckender ist die Bilanz in vielen Industrieregionen, etwa in Europa. Dort wurde der menschliche Fußabdruck sogar kleiner.

Diese Länder benötigten also weniger Ressourcen für ihre Wirtschaft, sie förderten weniger Rohstoffe, bauten weniger neue Straßen oder Schienen. Dafür steigern sie stetig ihre Effizienz.

Es wird zugegeben eine gigantische Herausforderung, diesen Weg beizubehalten. Die wirkliche Hürde ist, dass mit den Sektoren Verkehr, Wärme und Industrie fossile Brennstoffe – Kohle, Öl und Erdgas – noch immer mehr als 80 Prozent des globalen Bedarfs an Primärenergie decken. Und weil die Erzeugung der Erneuerbaren schwankt, müssen derzeit immer wieder konventionelle Kraftwerke einspringen. Selbst wenn also der Anteil an Sonne und Wind am Strommix steigt, sinkt nicht in gleichem Maße der CO2-Ausstoß. Zudem geht der Wandel noch zu langsam, um die Erwärmung wirklich auf höchstens zwei Grad bis zum Jahr 2100 begrenzen zu können.

Sollten alle Staaten ihre bisher verkündeten Klimaschutzpläne umsetzen, würde die Erde nach Abschätzung der IEA 2,7 Grad wärmer als im vorindustriellen Zeitalter. Die Ein-Grad-Schwelle wurde 2015 bereits überschritten, 2016 mit 1,3 Grad sogar deutlich. Die Zeit drängt. Umso mehr, als dass in Ländern wie Indonesien, Indien, Japan und Korea Kohlestrom noch auf viele Jahre hinaus eine tragende Rolle spielen soll. Russland setzt weiterhin auf Erdgas sowie Kernkraft und hat keine nennenswerte Strategie für erneuerbare Energien.