Das Sitzplatzproblem

Elektrokleinstfahrzeuge

Die verkorkste Pkw-Maut, die drohende Pleite des privaten Autobahnbetreibers A1 Mobil sowie das Dieselgate-Desaster haben den Verkehrsminister mutmaßlich eine Menge Kraft gekostet. So blieb offenbar wenig Zeit für ein scheinbar nachrangiges Projekt: Die Zulassung von Elektrokleinstfahrzeugen

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Elektroantrieb, alternative Antriebe 9 Bilder
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  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat Nehmerqualitäten. Im Boxsport ist das die Fähigkeit, Treffer einstecken zu können ohne umzufallen. Die verkorkste Pkw-Maut, die drohende Pleite des privaten Autobahnbetreibers A1 Mobil sowie das Dieselgate-Desaster haben mutmaßlich eine Menge Kraft gekostet. So blieb offenbar wenig Zeit für ein scheinbar nachrangiges Projekt, das für ein zukunftsorientiertes Verkehrssystem wichtig ist: Die Zulassung von Elektrokleinstfahrzeugen.

Im EU-Jargon heißen sie PLEV (für Personal Light Electric Vehicle) und im Marketingsprech „Last Mile Scooter“ oder „Surfer“. Solche Produkte gibt es massenhaft. Sie haben einen E-Motor, können schneller als 6 km/h fahren und sind darum im Sinn des Gesetzgebers Kraftfahrzeuge. Und für deren Nutzung im öffentlichen Raum braucht man eine Versicherung, einen Führerschein und eine Zulassung – die aber steckt in der Bürokratie fest.

Fahrzeuge mit „nicht mindestens einem Sitzplatz“

So hat der Bundesrat die Bundesregierung am 23. September 2016 aufgefordert, die Voraussetzungen für den Betrieb von selbstbalancierenden Fahrzeugen und Fahrzeugen mit Elektromotor, „die nicht mindestens einen Sitzplatz haben“ unter Beteiligung der Länder zu regeln.

Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hatte vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) bereits am 24. November 2014 den Auftrag erhalten, sich „einen Überblick über elektrisch betriebene Kleinstfahrzeuge zu verschaffen und zu prüfen, ob eine Einteilung in Kategorien möglich ist“, wie die BASt auf Anfrage von heise Autos mitteilt.

Die BASt prüft also nicht die eigentliche Zulassung, sondern zuerst lediglich die Möglichkeit der Einteilung in Kategorien.

„Aufgrund der Zwischenergebnisse hat sich die Notwendigkeit ergänzender Tests ergeben“, schreibt die Bundesregierung als Antwort auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion Die Grünen. Und weiter: „Die BASt hat die bisherigen Ergebnisse am 24. Mai 2017 vorgelegt“ – und nicht wie etwa in der Wissenschaft üblich veröffentlicht. Wann diese Studie veröffentlicht werde, sei unbekannt, heißt es vom BASt.

Unbegrenzte Fantasie bei Elektrokleinstfahrzeugen

Zugegeben, die technische Einfachheit der Kombination von Batterie und E-Motor hat zu einem breiten und kaum überschaubaren Spektrum interessanter Fahrzeuge geführt: Da sind die E-Scooter, die seit Jahren als Designerstücke im Kofferraum von Messeautos liegen. Schaut her, sagen die Premiumhersteller, das ist unser stylischer Last Mile Scooter. Dann gibt es die E-Longboards, die gerne von erwachsenen Skatern in Großstädten benutzt werden, den Gasgriff unauffällig in der Hand haltend. Für Menschen mit funktionierendem Gleichgewichtssinn sind außerdem Hoverboards und Solowheels am Markt.

Auch an klugen Mobilitätsideen mit Elektrokleinstfahrzeugen mangelt es nicht. In Hamburg hat die Firma Floatility https://www.floatility.com/ in Zusammenarbeit mit BASF einen leichten dreirädrigen E-Scooter entwickelt, der als Sharing-Konzept überall in der Stadt verfügbar sein sollte. Eine echte Konkurrenz für Car2Go und DriveNow, und natürlich ist es aus ökologischer Sicht viel sinnvoller, einen E-Scooter statt eines Autos zu bewegen. Wenn nur die Sache mit der Zulassung nicht wäre. Als Konsequenz hat Floatility den „E-Floater“ jetzt in Asien vorgestellt.

Marsch durch die Institutionen

Ebenfalls aus der Hansestadt Hamburg kommt Florian Walberg, der vor zwei Jahren auf sich aufmerksam gemacht hat, weil er den Marsch durch die Institutionen gewagt hat. Ausgangspunkt war der von ihm entwickelte E-Roller EGRET. Walberg ist nach Brüssel zur Europäischen Union gegangen, wo er ein TCVM (für Technical Committee on Motor Vehicles) initiiert hat, um seine Produkte und die der Konkurrenz zu legalisieren. Mit Erfolg, denn in der Arbeitsgruppe, in der auch Vertreter von Honda und Toyota saßen, wurde ein Katalog zu Typisierung und Standardisierung erarbeitet. Hat dieses TCMV die Aufgabe der BASt längst erledigt?