Herbstfarben

Klassiker: Mercedes 280 SL Pagode W 113

Die farbenfrohe Jahreszeit ist fraglos die schönste zum Offenfahren. Wir wählten dazu die legendär schöne Mercedes Pagode – jenen Mercedes SL, der 1963 die schwere Nachfolge von Mercedes 190 SL und 300 SL gleichzeitig antreten musste

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Mercedes Pagode 19 Bilder
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Stefan Grundhoff

Im Sommer ist Cabriofahren anstrengend, weil es tagsüber oft so heiß wird, dass man das Dach bisweilen am liebsten wieder schließen möchte. Aber wie sieht das denn dann aus? Das kann einem an einem schönen Herbsttag nicht passieren. Die farbenfrohe Jahreszeit ist fraglos die schönste zum Offenfahren. Wir wählten dazu die legendär schöne Mercedes Pagode – jenen Mercedes SL, der 1963 die schwere Nachfolge von Mercedes 190 SL und 300 SL gleichzeitig antreten musste.

Ihr Design ist eher nüchtern und zurückhaltend, aber mit gelungenen Proportionen. Das Erscheinungsbild prägen die großen Scheinwerfer mit integrierten Nebelleuchten und Blinkern, die den breiten Grill umrahmen, während die aus heutiger Sicht zierlichen Rückleuchten das Heck filigran wirken lassen. Noch ungewöhnlicher mutet heute der Tankeinfüllstutzen ohne Klappe an. Immerhin, er ist verchromt. Den Beinamen „Pagode” verdanken die SLs dem als Sonderausstattung für 623 Mark erhältlichen Hardtop, weil das Dach seitlich höher war als in der Mitte.

Ein Auto für Kalifornien

Unser Exemplar ist der letzte produzierte SL – vom Band gerollt am 15. März 1971 in Sindelfingen an einem nassgrau-kalten Spätwintertag mit Temperaturen um knappe zwei Grad. Seine Farbe heißt Sandbeigemetallic (Code 467, 699 Mark) und könnte passender für einen Herbstausflug kaum sein. Die Sitzbezüge aus dem Kunstleder MB-Tex fügen sich mit ihrem Ton „Cognac” (Code 140) perfekt ins herbstliche Bild. Die Datenkarte belegt nicht nur solide Sonderausstattungen wie Einzelsitze vorn, Coupédach, Servolenkung, wärmedämmendes Glas oder Weißwandreifen, sondern mit Ausstattungscodes wie 491 (USA-Ausführung) oder 515 (Radio Europa USA) auch, dass sie nach der Produktion eine weite Reise über den Atlantik antrat. So, wie über die Hälfte aller knapp 49.000 gebauten Pagoden-SL, von denen die meisten nach Kalifornien gingen.

Erst vor wenigen Jahren fand der offene Zweisitzer wieder zurück nach Deutschland. Sein 2,8 Liter großer Reihensechszylinder leistet 170 PS bei 5750/min und bringt es auf ein üppiges Drehmoment von 240 Nm bei 4500/min. Er musste im Rahmen der Restaurierung ausgetauscht werden. Ihn ersetzte einer der letzten produzierten Motoren seiner Art, den man beim Daimler seinerzeit wohlweislich auf die Seite gelegt hatte. Der 280er-Motor hat 1968 die bis dahin eingebauten Sechszylinder mit den internen Bezeichnungen M127 und M129 abgelöst, die mit ihren 2,3 bzw. 2,5 Litern Hubraum jeweils 150 PS leisteten und die Pagode schon damals bis zu 200 km/h schnell machten. Mit ihren paarig angeordneten Zylindern waren sie allerdings an ihrer thermischen Leistungsgrenze angelangt.

Souveräner mit dem Sechszylinder

Der 2,8 Liter große M130 machte den Wagen nicht schneller, aber vor allem souveräner. Mit dem manuellen Vierganggetriebe kann man den 1,4 Tonnen schweren Roadster auf der Landstraße vergleichsweise dynamisch bewegen, indem man die Gänge weiter ausdreht. Mit der optionalen Viergangautomatik (1443 Mark) hingegen bleibt das Erlebnis gedämpfter, weil sie die Drehzahlen möglichst weit unten hält.

An die Gefühllosigkeit der Kugelumlauflenkung und das dünne Lenkrad hat man sich schnell gewöhnt. Leitet man die Kurven etwas früher als gewohnt ein, findet das 4,28 Meter lange Cabriolet sicher und durchaus dynamisch seinen Weg zum nächsten Scheitelpunkt. Die Eingelenk-Pendelachse hinten ist kein Agilitätswunder, im Grenzbereich jedoch beherrschbar. Mit der Fahrwerksabstimmung hat Mercedes eine auch heute noch angenehme Balance zwischen straffer Direktheit und ausreichend hohem Reisekomfort gefunden.

Kaum überraschend schneidet die Pagode auf Oldtimerrallyes in Händen ambitionierter Fahrer regelmäßig prächtig ab. Und doch ist die Pagode ein Auto mit Alltagsnutzen, der sich nach heutigen Maßgaben nicht verstecken muss. Vor allem nicht an den farbigen Tagen im Jahr. (fpi)