Sensoren: Wenn die Umwelt sprechen lernt

Sensoren und Satelliten erfassen unterschiedlichste Daten über Tiere, Pflanzen und Landschaften. Die Ergebnisse könnten Eingang in viele Alltagsanwendungen finden.

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Von
  • Ronja Gysin

Flackern warnt vor Tsunamis

"Eigentlich erforschen wir, wie sich Klimasignale in der Atmosphäre ausbreiten", sagt Michael Bittner vom Earth Observation Center des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen. Beim Beobachten der sogenannten Airglow-Schicht – ein Bereich in etwa 90 bis 500 Kilometern Höhe, in dem spezielle chemische Reaktionen Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle zum Leuchten bringen – fällt den Wissenschaftlern allerdings etwas anderes auf: Richten sie ihr Infrarotspektrometer auf der Erde während eines Seebebens auf die Koordinaten des Epizentrums, zeigt ein Flackern der Airglows an, ob eine Flutwelle folgt.

"Die derzeitige Tsunami-Frühwarnung ist unpräzise", sagt der Professor für Atmosphärenfernerkundung. Bei Seebeben ab Stärke sieben – eine Stärke, die an Land zu katastrophalen Zerstörungen führen würde – werde automatisch vor Monsterwellen gewarnt. Oft treffen diese allerdings nicht ein. Die Folge: Strandbesucher und Anwohner nehmen den Alarm nicht mehr ernst. "Nur wenn sich tektonische Platten vertikal verschieben, also nicht aneinander vorbei, sondern übereinander, entsteht ein Tsunami", erklärt Bittner.

8/2017

Der Meeresboden hebt oder senkt sich. Die darüberliegende Luft wird gestaucht oder auseinandergezogen, wodurch eine Infraschallwelle entsteht, die zu langwellig ist, um hörbar zu sein. Sie wird aber durch ein Flackern im Airglow sichtbar. Etwa 16 Minuten dauert es, bis ein Tsunami auf Land trifft. Die Forscher brauchen nur sechs Minuten, um Alarm zu schlagen oder Entwarnung zu geben. Im Moment können sie allerdings nur nachts messen, denn Sonnenstrahlung stört das Signal. Der erste Tsunami-Praxistest soll 2018 vor der Küste Chiles stattfinden, wo Statistiken eine hohe Wahrscheinlichkeit für Seebeben vorhersagen.

Federvieh rettet Leben

"Wenn wir lernen, Tiere zu verstehen, verstehen wir das Leben", meint Martin Wikelski, Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell. Der Zoologe und sein Team statten weltweit Fische, Vögel, Säugetiere – und künftig gar Insekten – mit Minisensoren aus. Als Rucksack, Ohrknopf, Hautkleber oder Fußring reisen die Messgeräte in der Größe einer Fingerkuppe mit ihren Trägern um den Globus. Eine integrierte Solarzelle stellt die Stromversorgung sicher. Daten zu Standort, Beschleunigung oder Energieverbrauch der Tiere werden per Handynetz oder Satellit übertragen. Manche davon tragen dazu bei, Menschenleben zu retten. Chinesische Enten etwa sagen durch ihre Körpertemperatur voraus, in welcher Region eine Grippewelle heranrollt.

Denn die Tiere dienen dem Virus als Wirt und tragen es entlang ihrer Zugstrecken über weite Distanzen. Neuesten Erkenntnissen zufolge könnten Nutztiere zudem als Frühwarnsystem vor Naturkatastrophen wie Erdbeben fungieren. "Hühner, Schafe und Hunde in italienischen Erdbebengebieten reagieren bereits Stunden vor dem Ereignis – also lange vor technischen Messgeräten", so Wikelski. Das beweisen Sensordaten vom Oktober 2016, als ein Erdbeben in Mittelitalien die Wohnungen von über 25000 Menschen zerstörte.

"Die zuvor mit Sensoren ausgestatteten Testtiere wachten nachts auf, bewegten sich viel und schienen nervös", erzählt Wikelski. Ein ähnliches Verhalten zeigen dem Wissenschaftler zufolge auch Ziegen vor Vulkanausbrüchen am Ätna. "Gelingt es uns, diese Daten mit bestehenden Echtzeitsystemen zu koppeln, können wir Anwohner früher evakuieren."

Straßenlaternen weisen den Weg

Seit Juni 2007 umrundet TerraSAR-X die Erde, 2010 kam TanDEM-X dazu. Im Verbund vermessen die Radarsatelliten stereografisch die Erdoberfläche. Durch Zufall fand DLR-Forscher Hartmut Runge heraus, dass metallische Landmarken wie Straßenschilder, Laternenmasten und Leitplanken auf den Satellitenbildern sehr gut sichtbar sind. Das Forschungsteam begann, Radarbilder mit Aufnahmen optischer Satelliten zusammenzuführen. "Auf diese Weise können wir auf wenige Zentimeter genaue digitale Straßenkarten erzeugen", berichtet Robert Klarner vom DLR-Technologiemarketing.

Das macht sich DriveMark zunutze, ein Projekt, bei dem das DLR mit deutschen Autoherstellern zusammenarbeitet. Denn mit detaillierten Straßenkarten, die Landmarken und Fahrbahnbegrenzungen exakte Koordinaten zuweisen, können autonome Fahrzeuge ihre Position unabhängig von Satellitensignalen bestimmen. Anders als herkömmliche digitale Straßenkarten ist die sogenannte "Future Map" maschinenlesbar und lässt sich mit den Umfelddaten der Bordsensoren kombinieren.

"Durch dieses Zusammenspiel wird automatisiertes Fahren mit eindeutiger Spurführung und komplexen Fahrmanövern wie Spurwechseln und Abbiegen möglich", sagt Klarner. "Aktuell überprüfen wir die Genauigkeit unserer Daten." Im Oktober will das DLR erste Gebietskarten vorstellen.

Schluss mit dicker Luft

Sieben Millionen Menschen weltweit sterben jährlich an den Folgen verschmutzter Luft. Aktivisten aus Stuttgart, Deutschlands Feinstaubhauptstadt, wollen mit einem Open-Source-Netzwerk aus selbst gebauten Messgeräten dafür sorgen, dass die Betroffenen ein Bewusstsein für das Problem bekommen. Für 30 Euro können sich Bürger ihren eigenen Feinstaubmesser zusammenbauen, aus einem passenden Sensor, einem Prozessor mit WLAN-Chip, einer USB-Stromversorgung und zwei Plastikröhren als Wetterschutz. Via Software lässt sich die Messstation anschließend mit anderen verknüpfen.

"So entsteht ein Netzwerk, das sämtliche Stadtgebiete abdeckt", erklärt Projektinitiator Jan Lutz vom OK Lab Stuttgart. Wie es um die Luftqualität im Wohnviertel steht, kann jeder – ob Sensorbauer oder nicht – auf Luftdaten.info per Echtzeitkarte nachschauen. "Aufklärung und Sichtbarmachen führen zu Handlungsdruck", hofft Lutz. Wer täglich einen Blick auf die Feinstaubwerte werfe, überlege zweimal, ob er für den morgendlichen Einkauf beim Bäcker wirklich das Auto braucht. In Stuttgart sind aktuell über 250 Luftqualitätsmesser online, 300 private Luftmesser sollen nach Plänen des OK Lab 2017 hinzukommen. (bsc)