Machen Klimaklagen Norwegen arm?

Im Staatsfonds des skandinavischen Landes stecken fast 900 Milliarden Euro – generiert durch Einnahmen aus Öl und Gas. Von der Erderwärmung gebeutelte Regionen könnten Ansprüche erheben, meinen Rechtswissenschaftler.

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Norwegen befindet sich seit Jahrzehnten in einer beneidenswerten Situation: Das Land im Norden Europas ist komplett schuldenfrei und häuft Jahr für Jahr sogar noch (viel) mehr Kapital an. Der sogenannte staatliche Pensionsfonds ist momentan fast 900 Milliarden Euro wert und breit investiert – so ist das Königreich etwa einer der größten ausländischen Besitzer von Immobilien in London und New York und hält ein umfangreiches Aktienportfolio, darunter Milliardenanteile an Apple oder Google.

Das gigantische finanzielle Polster soll den Norwegern eine sorgenfreie Zukunft sichern – auch wenn der Staat bei Investitionen ins eigene Land vergleichsweise konservativ vorgeht, um die Inflation im sowieso schon teuren Fjordreich nicht weiter anzukurbeln.

Das Geld im Staatsfonds stammt zu 100 Prozent aus den staatlichen Einnahmen aus Öl und Gas, weshalb der riesige Berg an Kronen auch gerne Ölfonds genannt wird. Die Abgaben, die die Energiekonzerne abführen müssen, fließen direkt hinein, zusätzlich zu den erzielten Gewinnen aus den Investitionen, um die sich ein großes professionelles Investmentteam kümmert. Dass dieses Geld von heute auf morgen verschwinden könnte, daran glaubt keiner der knapp 5,2 Millionen Norweger – die Summe ist einfach zu gigantisch. Doch was wäre, wenn Städte, Gemeinden oder ganze Länder auf die Idee kämen, den Ölfonds zu verklagen, weil er aus Einnahmen besteht, die durch die Beförderung des Klimawandels erzielt wurden?

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Was zunächst verrückt klingt, ist eine Fragestellung, die Rechtswissenschaftler in dem Land beschäftigt. Jørn Øyrehagen Sunde, Professor an der juristischen Fakultät der Universität Bergen, verfasste im September ein Essay, in dem er die Gefahrenlage darstellte. Denn der norwegische Staat wird bereits verklagt: Die Organisation Greenpeace geht mit einer historischen Klage gegen die Öl- und Gasbohraktivitäten des Landes in der Arktis vor.

Dass Ölkonzerne wegen des Klimawandels verklagt werden, ist keine neue Entwicklung. So entschieden sich etwa die kalifornischen Städte San Francisco und Oakland, die fünf Energieriesen Chevron, ConocoPhillips, ExxonMobil, Shell und BP direkt zu verklagen, weil diese das Überleben der am Meer gebauten Städte gefährdeten.

Sie hätten jahrzehntelang hervorragend verdient, obwohl sie vom Klimawandel gewusst hätten. "Der Schaden, den wir dadurch erleiden, hat begonnen und wird schlimmer", so die Chefanwältin von Oakland. Die Klagestrategie erinnert dabei an das Vorgehen gegen große Tabakfirmen.

Es geht dabei um viel Geld. Norwegen könnte schon aufgrund der Größe seines Ölfonds und der stabilen Gerichtsbarkeit ein lohnenswertes Ziel sein – ähnlich aufgestellte Fonds in Saudi-Arabien oder den Emiraten sicher auch. Øyrehagen Sunde glaubt, dass sich das Risiko nur reduzieren lässt, wenn der Fonds dazu eingesetzt wird, den Klimawandel zu bekämpfen und den Umstieg auf saubere Energieformen zu beschleunigen.

Die Ironie des Schicksals: Norwegen selbst hat das längst geschafft. Der Großteil der Stromproduktion des Landes basiert auf Wasserkraft, die Energie billig und sauber macht. Gleichzeitig boomt in dem Land aufgrund – bislang noch – großzügiger Subventionen die Verwendung von Elektroautos. Doch gänzlich aus dem Ölgeschäft zurückziehen würde sich die Regierung wohl kaum. Es ist nach wie vor Hauptgrundlage der norwegischen Wirtschaft. (bsc)