Share Economy: "Einfach nur Mobilität ohne Stress"

Reisende denken gründlich über die Wahl ihres Verkehrsmittels nach, so die allgemeine Annahme. Stimmt nicht, meint Daniel Kurth. Er belegt das in seiner Analyse von Carsharing-Nutzern.

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Daniel J. Kurth blickt in seiner Studie hinter die Fassade von Nutzern der Share Economy anhand des Carsharings. Die Untersuchung ist unter dem Titel "Generation Unverbindlich" als Buch im oekom Verlag erschienen.

Technology Review: Wie kamen Sie auf die Idee, die Motivation von Carsharing-Nutzern zu untersuchen?

Daniel J. Kurth

Daniel Kurth: Bei üblichen Mobilitätsbefragungen gehen Wissenschaftler und Unternehmen davon aus, dass die Menschen über die Wahl ihres Verkehrsmittels nachdenken, abwägen und dann entscheiden. Ich fand das immer ziemlich schräg. Denn wer füllt morgens ein Excel-Sheet aus, damit er sich entscheiden kann, ob er das Auto oder das Rad nimmt? In Befragungen rechtfertigen die Teilnehmer ihr Verhalten, dabei wissen sie selbst meist gar nicht, warum sie es so machen. Aber gerade das, was diese ins Bewusstsein vorgedrungene Entscheidungswelt ist, wollte ich mit meiner Untersuchung herausfinden.

TR: In Ihrer Studie bekommen die Carsharing-Nutzer das Label "Generation Unverbindlich". Worin zeigte sich das?

Kurth: Es wurden zwei Carsharing-Angebote einbezogen: ein klassisches Modell mit einem vordefinierten monatlichen Mitgliedsbeitrag und ein Modell ohne festen Beitrag, aber mit der Option, Bausteine dazubuchen zu können. Darunter fällt etwa ein günstigerer Stundenpreis bei regelmäßiger Nutzung. Es zeigte sich: Je geringer die Verbindlichkeit, desto eher nutzt der Kunde das Angebot, weil er sich so gar nicht mehr richtig entscheiden muss.

Mehr Infos

Aktuelle Umfrage zum Thema Carsharing:

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und der Lehrstuhl für Marketing, Innovation und E-Business (Universität Trier) von Herrn Univ.-Prof. Dr. Rolf Weiber führen gerade eine Erhebung zum Thema Car-Sharing durch. Ihre Meinung ist gefragt.

TR: Was gaben die Nutzer als Motivation für die Anmeldung an?

Kurth: Hauptgrund war, dass die Nutzer sich nicht binden wollten, sondern einfach mal probieren. Und sie wussten auch selten richtig, was sie eigentlich mit dem Angebot machen wollen. Da wurden auch gerne mal höhere Stundenpreise bezahlt, obwohl man mit ein wenig durchrechnen hätte feststellen können: Wenn ich jeden Monat 100 Kilometer fahre, kann ich beim Stundenpreis ein paar Euro sparen, wenn ich vorher den entsprechenden Zusatzbaustein buche.

TR: Nachhaltiges Wirtschaften spielte also keine Rolle?

Kurth: Als das Carsharing aufkam, waren die ökonomischen Gründe sekundär zu den Ökologischen. Dann kamen mehr und mehr die finanziellen Effekte dazu. Heute dreht es sich eher um die Bequemlichkeit. Wer hat schon Lust, sich mit den Reparaturen und dem TÜV rumzuärgern und einen Parkplatz anzumieten? Und dann braucht man das Auto doch selten. All das nervt ja auch. Also wird das Auto zur Belastung.

TR: Ist also der Gedanke des Teilens und der Nachhaltigkeit nur ein "vorgeschobener" Grund der Nutzer der Sharing Economy?

Kurth: Es gibt einige, die Teilen aus Nachhaltigkeit. Das sind vor allem die Ur-Väter und Ur-Mütter des Carsharings. Andere machen es des Geldes wegen. Aber die Generation Y und Z nimmt das Angebot sicher kaum aus diesen Gründen an – auch wenn es natürlich hip ist, sowas zu behaupten. Dieser Unterschied zwischen Grund und Begründung war auch ein Ergebnis meiner Studie. Etwa gegenüber Freunden stellt man sich als der schlaue Sparer oder der nachhaltige Umweltfreund dar. Die Realität ist aber, dass man sich vor seiner Entscheidung kaum mit diesen Themen auseinandergesetzt hat. Man wollte einfach nur Auto-Mobilität ohne Stress. Nicht zu vernachlässigen ist zudem, dass die Autos im Carsharing zum Großteil von professionellen Verleihfirmen angeboten werden. Echtes Teilen ist der Ursprung, aber schon lange nicht mehr die aktuelle Motivation. Echtes privates Teilen ist zudem eine Nische. Professionelle Anbieter wie BlaBlaCar oder die Deutsche Bahn professionalisieren und kommerzialisieren die privaten Angebote und behalten oft ein Öko-Image als Deckmantel bei.

TR: Es klang eben bereits an, dass das Auto durch die Anschaffung zur Belastung wird. Ein Auto oder einen anderen Gegenstand zu besitzen, ist also aufgrund der Möglichkeit der Vernetzung durch das Internet nicht mehr so wichtig?

Kurth: So einfach ist es nicht. Man muss wohl unterscheiden, dass es unterschiedliche Typen von Menschen gibt und man unterschiedlichen Aufwand betreiben muss. Kleine Dinge, die günstig sind könnte ich mir leihen. Da ist aber das Leihen schon aufwendiger, als wenn ich mir das um die Ecke kaufe oder per Amazon schicken lasse. Auf der anderen Seite stehen die größeren, komplexeren oder teureren Dinge. Je komplexer und teurer etwas wird, desto mehr steigt die Verbindlichkeit beziehungsweise die Auswirkung meiner Entscheidung. Das bedeutet mehr Entscheidungsaufwand und Arbeit bei der Auswahl, um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Was aber, wenn ich das Ding dann nicht häufig nutze? Das wiederum macht das Teilen oder Leihen attraktiv. Klassischerweise ist das Verhältnis von Aufwand zu Nutzen der Grund für die Wahl von Kaufen oder Leihen. Dabei spielt auf der Aufwandsseite nicht nur das Geld die zentrale Rolle. Aufwand ist auch, darüber nachzudenken und sich mit dem Thema zu beschäftigen. Das wird auch in den meisten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen ausgeblendet.

TR: Ab einem gewissen Punkt aber müssen sich doch auch Nutzer in der Share Economy entscheiden. Wann ist das der Fall?

Kurth: Müssen ja, wollen nein. Sie müssen sich entscheiden, wenn es keine offensichtliche Lösung gibt, die ihnen vor die Füße fällt. Die erste Entscheidung ist dann: "Ist das Thema überhaupt so wichtig, dass ich nachdenken will?".

TR: Wie sehen Sie die Zukunft der Share Economy, gerade dann, wenn Sie von Nutzern sprechen, die eigentlich eher faul in der Entscheidung sind und nur dann handeln, wenn es akut nötig ist? Kann dann eine ausgewogene Sharing Economy funktionieren und dauerhaft Bestand haben?

Kurth: Klar, kann sie das. Die Frage ist nur, wie diese Share Economy definiert ist. Aus meiner Sicht, sprechen wir nicht von einem echten Kultur- oder Wertewandel hin zu einer besseren Gesellschaftsform des Teilens. Share Economy sollte eigentlich eher als Ökonomie der Kleinteiligkeit anstelle des Teilens verstanden werden. Im Prinzip geht es um Bündelungen der kleinteiligen Angebote und der Nachfrage über Plattformen. Diese Plattformen sind professionell organisiert und ermöglichen Einzelpersonen etwas anzubieten, zum Beispiel ihre Wohnung oder ihr Auto. Doch das nutzen vor allem organisierte, professionelle Anbieter. Die mehrere Autos dann ausschließlich vermieten oder Wohnungen kaufen, damit diese vermietet werden. Schlichte Investition, wenig Idealismus. Das gilt für Airbnb ebenso wie für das Carsharing oder BlaBlaCar. Echtes, ideelles Teilen findet man hier jeweils als Randerscheinung. Im Marketingprospekt ist das aber ganz groß geschrieben. Die professionellen Anbieter stricken die Angebote so, dass die Entscheidung naheliegend ist, weil das empfundene Risiko minimal ist. Technologien wie Mikropayment oder Free-to-Use sind hier notwendige Entwicklungen. Je kleiner das Problem einer Entscheidung gemacht wird, desto leichter fällt die Entscheidung – auch der "Generation Unverbindlich". Die Ökonomie der Kleinteiligkeit bleibt sicher – auch als Share Economy vermarktet. (jle)